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Großteils außerhalb des S‑Bahn-Rings:
Vorstadt Wedding?

26. September 2023
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Der Wed­ding gehört zwar zum Bezirk Ber­lin-Mit­te, aber er fühlt sich manch­mal nicht so an wie das pul­sie­ren­de Herz einer Mil­lio­nen­stadt. Auch das von den Medi­en gern stra­pa­zier­te Bild eines Ghet­tos mit­ten in der Stadt mag zum Wed­ding nicht so recht pas­sen, fin­den zumin­dest die meis­ten Bewoh­ner. Wor­an liegt das?

Da ist zum einen die Lage inner­halb Ber­lins. Wenn man die Innen­stadt als das Gebiet inner­halb des S‑Bahn-Rings defi­niert, liegt der größ­te Teil der Orts­tei­le Wed­ding und Gesund­brun­nen außer­halb des Zen­trums. Der Wed­ding­platz mit eini­gen umlie­gen­den Stra­ßen sowie das Brun­nen­vier­tel mit dem Hum­boldt­hain wer­den durch die Ring­bahn vom rest­li­chen, außer­halb des Rings lie­gen­den, Wed­ding getrennt. Man könn­te die Innen­stadt aber auch durch den frü­he­ren Gro­ßen Stra­ßen­bahn­ring (Linie 3) defi­nie­ren, der vom Her­mann­platz kom­mend über den Richard-Wag­ner-Platz, die Beus­sel­stra­ße, die See­stra­ße bis zur Böse­brü­cke ver­lief. Noch heu­te gibt es die­se Trenn­li­nie: Die wie­der­auf­ge­bau­te Stra­ßen­bahn­stre­cke (Lini­en M 13 und 50) und die sehr brei­te See- /Osloer Stra­ße tei­len den Wed­ding in einen dicht bebau­ten Süd­teil und einen grü­nen, locke­rer besie­del­ten Nord­teil, der ohne schar­fe Trenn­li­nie nach Rei­ni­cken­dorf übergeht. 

Wie Berlin angelegt ist

Die Grund­struk­tur Ber­lins folgt dem Bebau­ungs­plan nach James Hob­recht aus dem Jahr 1862. Vor allem zwi­schen 1880 bis 1918 wur­de in den von der Ring­bahn umschlos­se­nen Städ­ten Ber­lin (zu der auch der Wed­ding gehör­te), Char­lot­ten­burg, Wil­mers­dorf, Rixdorf/Neukölln und Schö­ne­berg über­wie­gend eine dich­te Block­rand­be­bau­ung mit klei­nen Hin­ter­hö­fen aus­ge­führt, die noch heu­te typisch für die Alt­bau­sub­stanz Ber­lins ist. Ledig­lich im Wed­ding ging die­se Struk­tur auch weit über den S‑Bahn-Ring hin­aus: Die Kieze süd­lich der Seestraße/Osloer Stra­ße wur­den flä­chen­de­ckend und äußerst dicht bebaut. Nörd­lich die­ses Stra­ßen­zugs erreich­te die Block­rand­be­bau­ung bis 1918 aber nur eini­ge Stra­ßen­zü­ge links und rechts der Mül­lerstra­ße sowie der Prin­zen­al­lee. Ansons­ten waren die Gebie­te im heu­ti­gen Afri­ka­ni­schen Vier­tel, Eng­li­schen Vier­tel, teil­wei­se auch im Brüs­se­ler Kiez und an der Schil­ler­hö­he weit­ge­hend unbe­baut oder nur locker besiedelt.

Mischung aus Mietskasernen und Vorstadt

In meh­re­ren Schrit­ten wur­den die Bau­flä­chen, sofern sie nicht Erho­lungs­zwe­cken (Schil­ler­park, Goe­the­park, Volks­park Reh­ber­ge) oder öffent­li­chen Ein­rich­tun­gen (BVG-Betriebs­hof und Werk­statt, Fried­hö­fe, Virch­ow-Kli­ni­kum) dien­ten, nach moder­ne­ren Richt­li­ni­en bebaut. So kommt es, dass in die­sen Rand­be­rei­chen des Wed­ding zahl­rei­che Sied­lungs­for­men der Zwi­schen­kriegs­zeit vor­kom­men, wie rund um den Zep­pe­lin­platz, die Fried­rich-Ebert-Sied­lung oder die Sied­lung Schil­ler­park. Auch die Gar­ten­stadt Atlan­tic am Gesund­brun­nen, das Gebiet rund um den Fordo­ner Platz oder die Glas­gower Stra­ße sind nen­nens­wer­te Sied­lungs­pro­jek­te aus die­ser Zeit. Auch die Dop­pel­haus­sied­lung Jung­fern­hei­de (am Goe­the­park) und die Mies van der Rohe-Häu­ser an der Afri­ka­ni­schen Stra­ße gehö­ren dazu. Nach dem Krieg wur­de als eine der ers­ten grö­ße­ren Neu­bau­maß­nah­men die Sied­lung Schil­ler­hö­he rund um das heu­ti­ge Kom­bi­bad See­stra­ße errich­tet. Auch die Ernst-Reu­ter-Sied­lung rund um den Gar­ten­platz stammt aus die­ser Zeit.

Zurück in die eng bebau­te Innen­stadt, die im Krieg und durch die Kahl­schlag­sa­nie­rung mas­siv ver­än­dert wur­de. Bei­spiel­los war dann nach dem Mau­er­bau die Zer­stö­rung des im Bezirk Wed­ding gele­ge­nen Teils der Rosen­tha­ler Vor­stadt (heu­te Brun­nen­vier­tel genannt). Ab 1963 wur­de das typi­sche Alt­bau­vier­tel sys­te­ma­tisch abge­ris­sen – 9.000 von 14.000 Woh­nun­gen ver­schwan­den. Der Wie­der­auf­bau erfolg­te eben­falls in Block­rand­be­bau­ung, aber in der For­men­spra­che der 70er und 80er. So kommt es, dass das Brun­nen­vier­tel optisch so anders daher­kommt als die unmit­tel­ba­ren Nach­bar­kieze in Alt-Mit­te oder Prenz­lau­er Berg, die ihre Alt­bau­ten aus der Kai­ser­zeit behal­ten haben.

Die größ­ten Indus­trie­be­trie­be, die Tau­sen­den Men­schen Arbeit gege­ben und den Ruf des Wed­dings als Arbei­ter­stadt­teil begrün­det haben, sind hin­ge­gen fast voll­stän­dig ver­schwun­den, haben aber teil­wei­se noch immer beein­dru­cken­de Gebäu­de hin­ter­las­sen, die heu­te ganz neue Funk­tio­nen erfül­len. Und nur noch Sche­ring, heu­te Bay­er AG, stellt heu­te einen nen­nens­wer­ten Wirt­schafts­fak­tor im “Arbei­ter­vier­tel” dar. Die enge räum­li­che Ver­knüp­fung zwi­schen Fabrik­ar­beit und Woh­nen ist im Wed­ding also heu­te kein The­ma mehr.

An man­chen Stel­len ist der vor­städ­ti­sche Cha­rak­ter ganz beson­ders gut erleb­bar: Die Kolo­nie­stra­ße und die Ver­län­ger­te Kolo­nie­stra­ße mit ihren Neben­stra­ßen Küh­ne­mann­stra­ße und Fisch­hau­ser Weg haben sich in den letz­ten Jahr­zehn­ten so gut wie gar nicht ver­än­dert. Noch immer ist dort das ein­zeln ste­hen­de ältes­te Haus des Wed­ding zu fin­den. Dar­um her­um befin­den sich typi­sche Gewer­be­flä­chen einer Vor­stadt wie Werk­stät­ten in Flach­bau­ten. Zahl­rei­che Klein­gär­ten mar­kie­ren das abrup­te Ende der dich­ten Bebau­ung. Die in Erwar­tung einer wei­te­ren Ver­dich­tung gebau­ten weni­gen Mehr­fa­mi­li­en­häu­ser ste­hen iso­liert am Ende der Koloniestraße.

Wir fas­sen zusam­men: Der Wed­ding liegt größ­ten­teils außer­halb des S‑Bahn-Rings, ver­fügt über vie­le Sied­lun­gen der Moder­ne und an man­chen Stel­len fühlt er sich nicht nur an wie eine Vor­stadt, son­dern ist auch eine. 

Galerie: Industrie, Mietskasernen, Neubauten

Joachim Faust

hat 2011 den Blog gegründet. Heute leitet er das Projekt Weddingweiser. Mag die Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen gleichermaßen.

7 Comments

  1. Grü­ße vom Nordufer!
    Auch Wed­ding… Peking Platz, Nordhafen,Sprengelkiez,Schifffahrtskanal.. alles qua­si vor der Haustür.Eigentlich ei Idyll wenn nicht soviel Sperr­müll und sons­ti­ger Dreck das immer ver­un­stal­ten würde.
    Das muss man ein­fach mal in den Griff bekom­men und die Ver­ant­wort­li­chen echt an den Ohren packen..aber in echt.
    Ansons­ten sehr cool.. kommt mal vorbei 😃

  2. Inter­es­san­ter Bei­trag. Aber inso­fern ver­ste­he ich immer noch nicht, wie BVV Mit­te ein­fach so gegen den Koali­ti­ons­ver­trag des dama­li­gen Senats ver­sto­ßen konn­te, indem ganz ein­deu­tig stand, Park­raum­be­wirt­schaf­tung inner­halb des S Ban Rin­ges aus­zu­bau­en. Mitt­ler­wei­le sind die Park­ge­bühr zum Teil teu­rer als in Berei­chen inner­halb des Rin­ges. Das ver­ste­he, wer will.

    • Das hat ja mit dem The­ma eigent­lich nichts zu tun. Wenn der Bezirk da, wo der Park­druck am größ­ten war, Park­raum­be­wirt­schaf­tung ein­führt, darf er das doch auch außer­halb des Rings tun.

  3. Ich habe mei­ne gan­ze Kind­heit am Net­tel­beck gelebt . Mein Vater hat­te ein Geschäft in der Lin­dower Stra­ße. War als Kind eine Koole Zeit und habe dort viel Erlebt . Schon als 4 oder 5jährige

  4. Die Ring­bahn als Gren­ze ist mMn ziem­li­cher quatsch und führt nur zu Dis­kri­mi­nie­rung. Z.B. was Umwelt­zo­ne oder Sha­ring­diens­te, Tari­fe oder Städ­te­pla­ne­ri­sches angeht. Wer im Wed­ding wohnt darf ganz legal mehr Fein­staub atmen nur weil die Ring­bahn nicht drum­rum führt. Der Wed­ding ist über­wie­gend dicht bebaut und gehört natür­lich zum Zen­trum Ber­lins, irgend­wel­che Bahn­glei­se hin oder her die das Mar­ke­ting von Pro­jek­ten leich­ter kom­mu­ni­zier­bar machen aber kei­ner­lei Logik erfül­len. Im öst­li­chen Fried­richs­hain gibt es auch dörf­li­che Gegen­den und Brach­flä­chen­vom öst­li­chen oder gar süd­li­chen Neu­kölln ganz zu schwei­gen. Bis auf Kreuz­berg und Mit­te zie­hen sich fast alle Bezir­ke bis an den Rand.

  5. Ich zucke auch heu­te noch zusam­men, wenn vom Wed­ding oder Gesund­brun­nen die Rede ist und das gan­ze in die Schub­la­de BERLIN MITTE gesteckt wird.Ein alter Wed­ding gebo­re­ner wird auch immer Wed­din­ger bleiben

  6. Zum Glück, dass der Wed­ding kei­ne Vor­stadt ist! Da ich schon in Vor­städ­ten gewohnt habe, z. B. in Wit­ten­au, ken­ne ich den Unterschied.
    Tags­über pul­siert der inner­städ­ti­sche Wohn­be­zirk Wed­ding durch die Men­schen, die dort viel zu tun haben. Auf der Mül­lerstra­ße ist künf­tig viel­leicht auch wie­der mehr los, wenn der Auto­ver­kehr zurück­ge­drängt ist. Indes­sen die See­stra­ße ein hoff­nungs­lo­ser Fall blei­ben wird. Aber noch mehr “Pul­sie­ren” durch Knei­pen­ge­grö­le an Bier­ti­schen kann ich nicht brau­chen; ich wer­de jetzt schon zu oft nachts wach im Wohn­ge­biet rund um die Utrechter.

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