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Ärger um Ex-Diesterweg-Gelände:
Stillstand hinterm Wellblechzaun

17. Oktober 2023
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Zwei Berei­che von­ein­an­der abtren­nen, das ist per Defi­ni­ti­on die Funk­ti­on eines Zau­nes. Doch so neu­tral und emo­ti­ons­los betrach­ten es die ein- oder abge­zäun­ten Men­schen nicht immer. Im Brun­nen­vier­tel sorgt der­zeit ein neu­er Zaun um das ehe­ma­li­ge Gelän­de des Dies­ter­weg-Gym­na­si­ums zwi­schen Put­bus­ser Stra­ße und Swi­ne­mün­der Stra­ße für reich­lich Ärger. Die­ser Ärger liegt nicht allein an den aktu­el­len Ereignissen.

Der ehemalige Standort des Diesterweg-Gymnasiums ist jetzt umzäunt. Foto: Hensel
Der ehe­ma­li­ge Stand­ort des Dies­ter­weg-Gym­na­si­ums ist neu­er­dings umzäunt. Foto: Hensel

Die Geschich­te, die zur Auf­stel­lung des Zau­nes durch das Bezirks­amt Mit­te kam, ist lang und kom­pli­ziert. Sie begann damit, dass der Bezirk das Gym­na­si­um an der Put­bus­ser Stra­ße 2011 geschlos­sen hat. Die dama­li­ge Bil­dungs­stadt­rä­tin Sabi­ne Smen­tek (SPD) hat­te noch 2015 bei einer Infor­ma­ti­ons­ver­an­stal­tung im Kiez pro­gnos­ti­zier­te (sin­ken­de) Schü­ler­zah­len als Grund für die Schlie­ßung ange­führt, die im Kiez von den Schul­lei­te­rin­nen, Akti­ven und Anwoh­nen­den stark kri­ti­siert wur­den und die sich spä­ter als ver­al­tet her­aus­stell­ten. Auch die Biblio­thek zog in der Fol­ge aus, das Gebäu­de steht seit­dem leer, ver­fällt und ver­ur­sacht dabei hohe Instand­hal­tungs­kos­ten. In die­sem Jahr hat der Bezirk 700.000 Euro dafür eingeplant.

Nach­dem es unmit­tel­bar nach der Schlie­ßung zunächst kei­ne kon­kre­ten Ideen für eine Nach­nut­zung sei­tens der öffent­li­chen Hand gab, mel­de­te sich 2012 eine Initia­ti­ve namens „ps wed­ding“. Die Akteu­re stam­men aus dem Kiez und hat­ten sich bereits bei der Ent­wick­lung des ExRo­ta­print-Stand­orts in der Gott­sched­stra­ße ver­dient gemacht. Ihr Kon­zept ver­ein­te güns­ti­gen Wohn­raum mit gemein­wohl­ori­en­tier­ten Nut­zun­gen und stieß nicht nur im Kiez auf Begeis­te­rung. Auch die Bezirks­ver­ord­ne­ten spra­chen sich 2014 für das Kon­zept aus. Danach ent­stand jedoch ein zäher Streit um das Gelän­de, bei dem der Bezirk, das Land, ein städ­ti­sches Woh­nungs­un­ter­neh­men und ver­schie­de­ne poli­ti­sche Inter­es­sen eine Rol­le spiel­ten. Unter­des­sen ver­fiel das archi­tek­to­nisch inter­es­san­te Gebäu­de. 2019 ent­schied sich der Bezirk, die Schu­le wie­der zu reak­ti­vie­ren, favo­ri­sier­te aber einen Abriss des mit Asbest belas­te­ten Gebäu­des sowie einen Neu­bau. In der Inves­ti­ti­ons­pla­nung des Senats (Schul­bau­of­fen­si­ve) ist der Stand­ort aber nicht ent­hal­ten, somit gibt es mit­tel­fris­tig kein Geld für eine Reak­ti­vie­rung der Schule.

Der drei Meter hohe Well­blech­zaun wur­de schließ­lich Ende Sep­tem­ber um das unter Denk­mal­schutz ste­hen­de Gebäu­de gezo­gen. Er soll vor Van­da­lis­mus­schä­den schüt­zen und ver­hin­dern, dass das bau­fäl­li­ge Gebäu­de betre­ten wird. So steht es in einer Ant­wort der Senats­bil­dungs­ver­wal­tung auf eine Anfra­ge der Abge­ord­ne­ten Fran­zis­ka Brych­cy und Tobi­as Schul­ze (bei­de Lin­ke) vom Juli die­sen Jah­res. 60.000 Euro soll der Well­blech­zaun gekos­tet haben. Wei­te­re Gebäu­de­si­che­rungs­maß­nah­men sind laut Senat geplant, etwa eine Not­e­in­de­ckung des Daches und die Tro­cken­le­gung des bereits vor Jah­ren mit Was­ser voll­ge­lau­fe­nen Kel­lers. Der Zaun soll künf­tig wohl auch die Schul­kin­der der Ernst-Reu­ter-Schu­le (ERO) fern­hal­ten, die bald in die Put­bus­ser Stra­ße zie­hen sol­len. Weil die Sanie­rung der ERO geplant ist, soll auf dem Schul­sport­platz neben der ein­ge­zäun­ten Schu­le in der Put­bus­ser Stra­ße ein soge­nann­ter Inte­rims­bau entstehen.

Für die, die sich im Brun­nen­vier­tel mit dem ehe­ma­li­gen Dies­ter­weg-Stand­ort beschäf­ti­gen, kommt der neue Zaun einer Bank­rott­erklä­rung gleich. Er steht als Sym­bol, dass an dem Stand­ort auch wei­ter­hin nichts gesche­hen wird: kei­ne Woh­nung, kei­ne neue Schu­le, kein Raum für die Nach­bar­schaft. Spricht man mit Pas­san­ten an der Schu­le oder mit dem Stadt­teil­ver­ein, ist die Wut deut­lich zu spü­ren. Die Stadt­teil­ko­or­di­na­ti­on kri­ti­siert auf Insta­gram auch die Anmu­tung des Well­blech­zauns und schreibt „Will­kom­men im Get­to“. Dabei wird der Begriff als Syn­onym für einen sozia­len Brenn­punkt ver­wen­det. Er steht sinn­bild­lich für das Gefühl des Abge­häng­tseins, das vie­le im Brun­nen­vier­tel nach zwölf Jah­ren Leer­stand wütend macht. Der Tages­spie­gel hat in die­sem Zusam­men­hang von „Slum-Archi­tek­tur“ geschrie­ben und den Zaun eine „Dis­kri­mi­nie­rung des Brun­nen­vier­tels“ genannt. Wie auch immer man es bezeich­net: Der neue Well­blech­zaun trennt nicht nur zwei Berei­che ordent­lich von­ein­an­der ab. Er erin­nert auch täg­lich dar­an, dass nie­mand im Kiez jemals woll­te, dass die Schu­le schließt und zeigt, wie quä­lend lan­ge es dau­ert, eine ein­zi­ge Ent­schei­dung zu korrigieren.

Nach­fra­gen zum auf­ge­stell­ten Zaun ließ das Bezirks­amt bis­her unbeantwortet.

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Mehr über die Ent­wick­lun­gen an der alten Schu­le gibt es unter ande­rem in den Weddingweiser-Beiträgen:

Der ehemalige Schulhof mit seinen Tischtennisplatten ist jetzt auch hinter dem Wellblechzaun und nicht mehr zugänglich. Foto: Hensel
Der ehe­ma­li­ge Schul­hof mit sei­nen Tisch­ten­nis­plat­ten ist jetzt auch hin­ter dem Well­blech­zaun und nicht mehr zugäng­lich. Foto: Hensel

5 Comments

  1. Hal­lo! Woll­te nur kor­ri­gie­ren, dass ich zum Zeit­punkt der Stil­le­gung der Schu­le nicht Bil­dungs­stadt­rä­tin war. Als ich 2014 Stadt­rä­tin wur­de, stand das Gebäu­de bereits leer. Ich habe damals ver­sucht, die Wohn­be­bau­ung mög­lich zu machen. Wo habt Ihr Eure “Infos” her?! Bit­te korrigieren!

    • Das war miss­ver­ständ­lich for­mu­liert. Ich habe mich auf die Infor­ma­ti­ons­ver­an­stal­tung im Super­markt im Mai 2015 bezie­hen wol­len. Da hat­ten sie die Ent­schei­dung zur Schlie­ßung mit den pro­gnos­ti­zier­ten Schü­ler­zah­len begrün­det. Ich war damals per­sön­lich anwe­send. Ich habe die For­mu­lie­rung jetzt kor­ri­giert. Rich­tig ist, dass nicht Sie die Ent­schei­dung getrof­fen haben, sie dort nur ver­tre­ten haben. Ich bit­te um Entschuldigung!

    • Damit wär das Pro­blem dann wohl gelöst, … als Voll­zeit­be­schäf­ti­gung: Ver­ant­wor­tung weg­schie­ben. Und ihr Ton erst. Da wun­dert einen echt nichts weiter.

    • Ein Gebäu­de kann trotz­dem archi­tek­to­nisch erhal­tens­wert sein. Vie­le Denk­ma­le müs­sen zunächst saniert wer­den und auch von Alt­las­ten befreit wer­den, das ist nicht unge­wöhn­lich. Ich glau­be, das ist ein­fach kein Kri­te­ri­um bei der Fra­ge, ob es einen Denk­mal­wert hat oder nicht. Hier geht es allein um die für die 1970er Jah­re typi­sche und damals moder­ne Archi­tek­tur. Wie sehr sich die Zeit ändert, sieht man auch genau dar­an. Wäh­rend bei der Schlie­ßung 2011 das Gebäu­de als unge­eig­net für eine moder­ne Schu­le galt, weil zum Bei­spiel Flu­re und Neben­räu­me zu groß waren, gilt genau das inzwi­schen wie­der als modern und erstre­bens­wert. Genau­so baut man heu­te wieder. 

      Die Asbest­sa­nie­rung fällt übri­gens so oder so an: wenn man das Haus abreißt oder wenn man es umbaut. Das macht kei­nen Unterschied. 

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