Mastodon
Markantes Eckgebäude der Rotaprintfabrik

Behutsamer Umgang mit Bausubstanz:
Ganz in weiß: ExRotaprint strahlt in den Kiez hinein

Von einem vorbildlichen Projekt im Wedding, das der Spekulation etwas entgegenzusetzen wusste - und vor allem ein Baudenkmal mit besonderer Bedeutung für den Arbeiterbezirk erhalten hat.

Als die bei­den Künst­ler Danie­la Brahm und Les Schlies­ser im Jahr 2000 von der Rei­ni­cken­dor­fer Stra­ße aus, im damals ziem­lich uncoo­len Wed­ding, das Gebäu­de mit den auf­ein­an­der­ge­sta­pel­ten und inein­an­der ver­scho­be­nen Beton­ku­ben sahen, wuss­ten sie: Da wol­len wir unse­re Ate­liers haben! Sie mie­te­ten die Räu­me, Teil der frü­he­ren Druck­ma­schi­nen­fa­brik Rota­print, beim Bezirk. Doch die­ser woll­te das Gelän­de los­wer­den – der Aus­ver­kauf droh­te. „Wir muss­ten als Mie­ter etwas tun“, erzählt Les Schlies­ser bei einer Füh­rung. Dar­aus wur­de spä­ter die Ret­tung des gan­zen ver­blie­be­nen Fabrik­ge­län­des, ein schnee­wei­ßes Kon­glo­me­rat mit Flä­chen für Sozia­les, Kunst und Gewer­be, ExRotaprint.

Eher zufällig Ikone der Nachkriegsmoderne

Ein Blick zurück: Wie so vie­le Fabri­ken pro­du­zier­te auch der Druck­off­set­ma­schi­nen­her­stel­ler Rota­print mit­ten im Arbei­ter­be­zirk. Von der Rei­ni­cken­dor­fer Stra­ße aus­ge­hend erwei­ter­te die wach­sen­de Fir­ma ihre Flä­che fast auf den gesam­ten Block zwi­schen Gottsched‑, Bornemann‑, Ufer- und Wie­sen­stra­ße. Nach teil­wei­ser Kriegs­zer­stö­rung ging es in den 1950ern wie­der rapi­de auf­wärts. „Um im Kiez blei­ben zu kön­nen, muss­te erwei­tert wer­den, unter Ver­bin­dung des Alten mit dem Neu­en“, erzählt Danie­la Brahm. Die Fir­men­lei­tung nahm Kon­takt zu einem jun­gen Archi­tek­ten auf, der die Chan­ce bekam, die ver­blie­be­nen Gebäu­de­tei­le modern zu ergän­zen. „Die Idee war, das Maxi­ma­le her­aus­zu­ho­len“, so die Künst­le­rin. So wur­den an ein Trep­pen­haus aus dem Jahr 1906 ver­schie­de­ne Beton­ge­bäu­de regel­recht „ange­hängt“, so auch das mar­kan­te Eck­ge­bäu­de aus Beton, bei dem die Ver­scha­lungs­spu­ren noch immer sicht­bar sind. 1958 wur­de der Turm von Klaus Kirs­ten erbaut – und wie sich im Lau­fe der Zeit her­aus­stell­te, nie­mals voll­endet. „Eigent­lich war geplant, den Scha­lungs­be­ton zu ver­put­zen“, erklärt Les Schlies­ser. Zwei wei­te­re Stock­wer­ke soll­ten noch auf­ge­setzt wer­den – ob das nur wegen des her­an­na­hen­den Win­ters unter­blieb, dar­über kann heu­te nur noch spe­ku­liert wer­den. Trotz­dem wur­de das unvoll­ende­te Bau­werk eine Art Iko­ne der Nach­kriegs­mo­der­ne. Die Sanie­rung in den letz­ten Jah­ren gestal­te­te sich uner­war­tet auf­wän­dig. „Beton war zur Bau­zeit teu­er und so wur­de hier min­der­wer­ti­ges Mate­ri­al, ver­setzt mit Zie­gel­splitt aus Trüm­mern, ver­wen­det“, sagt Danie­la Brahm. Vie­le Tei­le des dün­nen Betons waren abge­platzt, die Beweh­rung schau­te her­aus. Am fla­chen Anbau in der Born­emann­stra­ße lässt sich die­ser Zustand auch heu­te noch able­sen. Des­sen Sanie­rung, und die des Büro­trakts dar­über, steht noch aus. 

Rund um das Hofrondell

Beson­ders beein­dru­ckend ist aber der Hof der frü­he­ren Fabrik. In einem reprä­sen­ta­ti­ven thea­ter­ähn­li­chen Zen­tral­bau mit rie­si­ger Glas­front wur­den 1956 das tech­ni­sche Büro und die Fir­men­lei­tung unter­ge­bracht, an einem begrün­ten Ron­dell. „Von hier konn­te man das Gesche­hen über­bli­cken, aber man sieht auch alles, was dort drin geschieht“, erklärt Danie­la Brahm. Heu­te kann man den Pro­jekt­raum der „Glas­kis­te“ tage­wei­se mie­ten. Der Rah­men trägt heu­te wie­der die ursprüng­li­che Far­be Rot, die Far­be des geschwun­ge­nen Fir­men­lo­gos und Akzent­far­be auf den Druck­ma­schi­nen von Rota­print. Deren Pro­duk­te waren in Betrie­ben, Schu­len und Behör­den all­ge­gen­wär­tig – ihre Maschi­nen erlaub­ten Ver­viel­fäl­ti­gung in klei­nen Auf­la­gen, bis dann die Foto­ko­pie­rer und PC-Dru­cker der 80 Jah­re lang pro­du­zie­ren­den Fabrik den Gar­aus mach­ten. 1989 kam dann die end­gül­ti­ge Plei­te, das Land Ber­lin als Bür­ge wur­de Eigentümer.

Neustart durch Erbbaurecht

„Als Anfang des neu­en Jahr­tau­sends Inves­to­ren zu Schnäpp­chen­prei­sen zugrif­fen, wur­den auch wir Mie­ter aktiv“, erin­nert sich Danie­la Brahm. Sie über­zeug­ten das Land mit ihrem Kon­zept, eine Mischung aus einem Drit­tel Nut­zung durch sozia­le Ein­rich­tun­gen, einem Drit­tel pro­du­zie­ren­dem Gewer­be und Hand­werk und einem Drit­tel durch Künst­ler, Musi­ker und Desi­gner. Dass es im Sep­tem­ber 2007 gelun­gen ist, die Fabrik durch die “ExRo­ta­print gGmbH” zu über­neh­men, war ein Signal des Auf­bruchs. Eini­ge der dama­li­gen Mie­ter gin­gen gemein­sam vor, um zu ver­hin­dern, dass das Are­al vom Ber­li­ner Lie­gen­schafts­fonds an einen Inves­tor ver­kauft wird. Die Rechts­form einer nicht-gewinn­ori­en­tier­ten gemein­nüt­zi­gen GmbH war die Lösung, auf die sich die Akteu­re einig­ten. Zwei Stif­tun­gen, deren Ziel­set­zung es ist, sich gegen die Spe­ku­la­ti­on mit Grund und Boden zu rich­ten und Alter­na­ti­ven zu för­dern, hal­fen beim Kauf des Grund­stücks. Mit den Stif­tun­gen hat die ExRo­ta­print gGmbH einen 99-jäh­ri­gen Erb­bau­rechts­ver­trag geschlos­sen und ist somit allein­ver­ant­wort­li­che Betrei­be­rin des Gelän­des. Statt sich für den Grund­stücks­kauf zu ver­schul­den, kann die gGmbH die Miet­ein­nah­men für Bau­kre­di­te der drin­gend benö­tig­ten, behut­sa­men Gebäu­de­sa­nie­rung verwenden. 

Respektvoller Umgang mit dem Baudenkmal

Damit ist man schon weit gekom­men: Wie schon vor 60 Jah­ren, erstrahlt der Kom­plex aus Fabrik­tei­len der Kai­ser­zeit und Anbau­ten der 1950er wie­der in hel­lem Weiß und gibt dem somit ein­heit­lich wir­ken­den Ensem­ble einen medi­ter­ra­nen Touch. Mit ein­fa­chen Mit­teln wird eine gro­ße Wir­kung erzielt, denn für die expan­die­ren­de Fabrik stand nur wenig Platz zur Ver­fü­gung. Die eigent­li­chen Pro­duk­ti­ons­hal­len wur­den 1992 aber abge­ris­sen, sodass heu­te nur noch die Hälf­te der für den Wed­ding einst so wich­ti­gen Fabrik mit bis zu 1000 Arbeits­plät­zen vor­han­den ist. Die ein­zi­ge Remi­nis­zenz an die frü­he­ren Shed­dach­hal­len ist ein neu errich­te­ter Dach­auf­bau auf einer der Werkstätten. 

Ansons­ten ist das Denk­mal heu­te so erhal­ten, wie es sich dem Besu­cher einst gezeigt hat. Auch das ist ein Ver­dienst der ExRo­ta­print gGmbH um Danie­la Brahm und Les Schlies­ser, die damit ein authen­ti­sches Stück des eins­ti­gen Indus­trie­stand­orts Wed­ding erhal­ten haben. Auch die breit gefä­cher­te Mischung aus Gewer­be, NGOs, Bil­dungs­ein­rich­tun­gen und Ate­liers für 10.000 Qua­drat­me­ter Nutz­flä­che tut dem sozi­al schwa­chen Umfeld gut, ist das Grund­stück doch auf Jahr­zehn­te der rück­sichts­lo­sen Spe­ku­la­ti­on ent­zo­gen. Von Anfang an gab es am Hof­ein­gang an der Gott­sched­stra­ße 4 eine Kan­ti­ne, die als Treff­punkt der hete­ro­ge­nen Gemein­schaft des Gelän­des fungiert. 

Das gan­ze Umfeld von ExRo­ta­print pro­fi­tiert von die­sem respekt­vol­len Umgang mit dem Fabrik­ge­län­de, im Gegen­satz zum Stadt­bad Wed­ding, dem es anders ergan­gen ist und das durch gesichts­lo­se Apart­ments ersetzt wur­de. Und so strahlt das ExRo­ta­print-Gelän­de – und erhellt auch den gan­zen Wed­ding mit sei­nem leuch­ten­den Weiß. 

ExRo­ta­print, Gott­sched­str. 4

Unser frü­he­rer Beitrag

Joachim Faust

hat 2011 den Blog gegründet. Heute leitet er das Projekt Weddingweiser. Mag die Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen gleichermaßen.

Schreibe einen Kommentar

Your email address will not be published.

nachoben

Auch interessant?