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Bücher von Weddinger Autoren betroffen:
Der Wedding und die Bücherverbrennung am 10. Mai 1933

Unzählige Bücher aus dem Privatbesitz von Weddinger Kommunisten, aber auch von Autor:innen mit Bezug zum Wedding wurden Opfer der Flammen.
10. Mai 2021
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Am 10. Mai jährt sich die von der „Deut­schen Stu­den­ten­schaft“ orga­ni­sier­te Bücher­ver­bren­nung von 1933. Nicht nur in Ber­lin auf dem Opern­platz – heu­te Bebel­platz – wur­den Bücher ver­brannt, auch in ande­ren deut­schen (v.a. Universitäts-)Städten fand die­ser Ter­ror gegen die Mei­nungs­frei­heit statt. Die Akti­on stand unter dem Mot­to „Wider den undeut­schen Geist“; und wei­ter: „Spra­che und Schrift­tum wur­zeln im Vol­ke. Es klafft heu­te ein Wider­spruch zwi­schen Schrift­tum und deut­schem Volks­tum. (…) Unser gefähr­lichs­ter Wider­sa­cher ist der Jude, und der, der ihm hörig ist.“

Opfer der Flammen

Zu den Autoren, deren Wer­ke auf dem Opern­platz ver­brannt wur­den, gehör­ten sozia­lis­ti­sche Klas­si­ker wie Karl Marx und Karl Kaut­sky, poli­ti­sche Publi­zis­ten wie Kurt Tuchol­sky und Carl von Ossietz­ky, Wis­sen­schaft­ler wie Sig­mund Freud und Magnus Hirsch­feld, Schrift­stel­ler wie Hein­rich Mann und Erich Käst­ner. Letz­te­rer war als Beob­ach­ter anwe­send und hör­te die Rede von Goeb­bels, die­sem „klei­nen, abge­feim­ten Lüg­ner“, so Käst­ner. Eines der ver­brann­ten Bücher Käst­ners war der 1931 erschie­ne­ne Roman „Fabi­an. Die Geschich­te eines Mora­lis­ten“; die Natio­nal­so­zia­lis­ten bezeich­ne­ten die­ses Buch als „ent­ar­tet“ und „por­no­gra­fisch“. Die Haupt­fi­gur Fabi­an hält sich im Lau­fe der Roman­hand­lung eini­ge Male im Wed­ding auf, wo er sei­ne Gelieb­te besucht.

Bücher­ver­nich­tungs­ak­tio­nen der Nazis gab es bereits in den Mona­ten zuvor, nicht so zen­tral koor­di­niert und pro­pa­gan­dis­tisch, son­dern als Teil der Ter­ror­wel­le gegen lin­ke Par­tei­en, Gewerk­schaf­ten, Orga­ni­sa­tio­nen und deren Mit­glie­der. Es wur­den Bücher, Akten, Fah­nen auf die Stra­ße gewor­fen und zer­stört, häu­fig mit Ben­zin über­gos­sen und ange­zün­det. Die ers­te grö­ße­re Bücher­ver­bren­nung in Ber­lin fand am 15. März auf dem Lau­ben­hei­mer Platz (heu­te Lud­wig-Bar­nay-Platz) in der Künst­ler­ko­lo­nie Wil­mers­dorf statt: Nach einer Durch­su­chungs­ak­ti­on von SA und Poli­zei wur­den die ent­wen­de­ten Bücher auf dem Platz ver­brannt. In der Künst­ler­ko­lo­nie leb­te auch Ilse Traut­schold, die der lin­ken „Grup­pe jun­ger Schau­spie­ler“ ange­hör­te und mit dem 1929 gedreh­ten Wed­ding-Spiel­film „Mut­ter Krau­sens Fahrt ins Glück“ in einer der bei­den weib­li­chen Haupt­rol­len einem gro­ßen Publi­kum bekannt wurde.

Walli Nagel, Otto Nagel, Buchcover
Cover: Wal­ter Frey Verlag

Auch Wal­li Nagel berich­tet in ihren Erin­ne­run­gen („Das darfst du nicht! Von Sankt Peters­burg nach Ber­lin-Wed­ding“), wie sie und ihr Mann, der Maler Otto Nagel (bei­de waren in der KPD), den Beginn der NS-Dik­ta­tur erleb­ten. Ihre Woh­nung in der Turi­ner Stra­ße 10, nicht weit vom Leo­pold­platz, wur­de im März 1933, kurz nach dem Reichs­tags­brand, von SA-Leu­ten gestürmt: „Sie kamen in unse­re Woh­nung, nah­men Bil­der von den Wän­den, all das flog aus dem offe­nen Fens­ter auf den Hof. Damit es schnel­ler ging, zer­schlu­gen sie das gro­ße Ber­li­ner Fens­ter, und noch mehr flog hin­aus. Als sie gin­gen, nah­men sie den ‘Jung­kom­mu­nis­ten’ [ein Gemäl­de Otto Nagels] und zwei wei­te­re Bil­der sowie eini­ge Bücher mit.“ Wal­li Nagel, eine ener­gi­sche und muti­ge Frau, fand her­aus, dass die SA-Leu­te einen Teil der Bil­der und Bücher in ihr Lokal gebracht hat­ten. Sie ging eini­ge Tage spä­ter hin und ver­lang­te die Sachen zurück. Die dort befind­li­chen Bil­der erhielt sie. „Und die Bücher, bekom­me ich die auch zurück? – Nein, die sind beschlag­nahmt, und sie wer­den vernichtet.“

In den Fol­ge­jah­ren kam es immer wie­der zu regio­na­len Aktio­nen, bei denen Bücher beschlag­nahmt und ver­brannt wur­den. Und die „Aus­son­de­rung“ von miss­lie­bi­ger Lite­ra­tur wur­de sys­te­ma­ti­siert und büro­kra­tisch orga­ni­siert; eine von der „Reichs­schrift­tums­kam­mer“ her­aus­ge­ge­be­ne „Lis­te des schäd­li­chen und uner­wünsch­ten Schrift­tums“ erschien 1935 und erwei­tert 1938: Auf ca. 180 Sei­ten wur­den grob geschätzt weit über 4.000 deut­sche und inter­na­tio­na­le Autor*innen mit ihren Wer­ken auf­ge­führt, die laut Vor­wort „das natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Kul­tur­wol­len gefähr­den“, wes­halb deren Ver­brei­tung „durch öffent­li­che Biblio­the­ken und durch den Buch­han­del in jeder Form“ ver­bo­ten wurde.

Auf die­ser Lis­te stan­den auch „Sämt­li­che Schrif­ten“ des lin­ken, zeit­wei­se dem Anar­cho­syn­di­ka­lis­mus nahe­ste­hen­den Schrift­stel­lers Theo­dor Plie­vier, des­sen Geburts­haus sich in der Wie­sen­stra­ße 29 befand (an dem heu­ti­gen Neu­bau ist eine Gedenk­ta­fel ange­bracht), sowie der Roman „Bren­nen­de Ruhr“ (1928) von Karl Grün­berg, Mit­be­grün­der des „Bun­des pro­le­ta­risch-revo­lu­tio­nä­rer Schrift­stel­ler“. Grün­berg schrieb den Roman, als er für eini­ge Jah­re in Gesund­brun­nen leb­te; 1933 war er ein hal­bes Jahr im KZ Son­nen­burg inhaf­tiert. Und der ‚Klas­si­ker‘ „Bar­ri­ka­den am Wed­ding“ von Klaus Neu­krantz durf­te selbst­ver­ständ­lich nicht feh­len. Neu­krantz wur­de 1933 ver­haf­tet, miss­han­delt, kam in eine Ner­ven­heil­an­stalt; sein wei­te­res Schick­sal ist unbekannt.

Auch ein Werk von Paul Gurk, der im Afri­ka­ni­schen Vier­tel leb­te, der Roman „Tre­sor­ein­bruch“ über das Leben der „Geldschrankknacker“-Brüder Sass, wur­de auf die Lis­te gesetzt. Franz und Erich Sass, in ärm­li­chen Ver­hält­nis­sen in der Moa­bi­ter Bir­ken­stra­ße auf­ge­wach­sen, wur­den 1940 von den Nazis ermor­det. Ande­re Bücher Gurks konn­ten wäh­rend des „Drit­ten Reichs“ erschei­nen, aller­dings nicht sein 1936 fer­tig­ge­stell­ter Roman „Lau­ben­ko­lo­nie Schwa­nen­see“, in wel­chem er den Unter­gang einer Wed­din­ger Klein­gar­ten­ko­lo­nie erzählt.

Im Wed­ding lag der Reichs­tags-Wahl­kreis von Wil­helm Lieb­knecht, dem Mit­be­grün­der der SPD, des­sen „Sämt­li­che Schrif­ten“ eben­falls dem Ver­dikt der Nazi-Lis­te zum Opfer fie­len (genau­so wie „Sämt­li­che Schrif­ten“ sei­nes Sohns Karl Lieb­knecht). Auch drei dem Wed­ding ver­bun­de­ne KPD-Poli­ti­ker fin­den sich auf der Ver­bots­lis­te: So die hier gebo­re­ne Sozi­al­po­li­ti­ke­rin und Reichs­tags­ab­ge­ord­ne­te Mar­tha Are­nd­see mit ihrer Schrift „Kin­der hun­gern! Kin­der ster­ben! Wir kla­gen an“ (1932). Des Wei­te­ren die kurz­zei­ti­ge, spä­ter aus der Par­tei aus­ge­schlos­se­ne KPD-Vor­sit­zen­de Ruth Fischer mit „Sämt­li­chen Schrif­ten“; Ruth Fischer leb­te in Britz, im Wed­ding war sie für das Bezirks­amt als Sozi­al­für­sor­ge­rin tätig. Ihr Bru­der, der Kom­po­nist Hanns Eis­ler, ver­fass­te die Musik für das Arbei­ter­lied „Roter Wed­ding“. Und schließ­lich der Arzt und Bezirks­po­li­ti­ker Georg Ben­ja­min mit sei­ner gesund­heits­po­li­ti­schen Schrift „Tod den Schwa­chen? Neue Ten­den­zen der Klas­sen­me­di­zin“, in wel­cher er „gegen den Abbau der sozia­len Für­sor­ge­ein­rich­tun­gen in Deutsch­land“ argu­men­tiert und sich „mit neu auf­tau­chen­den ras­sen­hy­gie­ni­schen Ideen, die zu aller­erst pro­le­ta­ri­sche Bevöl­ke­rungs­schich­ten betra­fen“, aus­ein­an­der­setzt, so Bernd-Peter Lan­ge in sei­ner Ben­ja­min-Bio­gra­fie „Ein bür­ger­li­cher Revo­lu­tio­när im roten Wed­ding“. Georg Ben­ja­min wur­de 1942 im KZ Maut­hau­sen ermordet.

Georg Benjamin
Georg Ben­ja­min

Nur auf den ers­ten Blick über­ra­schend ste­hen auf der Ver­bots­lis­te auch zwei Bücher von Hein­rich Zil­le: das eine – „Für Alle!“ – erschien 1929 im KPD-nahen Neu­en Deut­schen Ver­lag, her­aus­ge­ge­ben von Otto Nagel, der mit Zil­le befreun­det war. In sei­nem Vor­wort erläu­tert Nagel, wes­halb hier der „unver­fälsch­te, unfri­sier­te“, der sozi­al­kri­ti­sche und anti­mi­li­ta­ris­ti­sche Zil­le zu sehen ist. Das Buch rich­te­te sich gegen den sei­ner­zei­ti­gen kom­mer­zia­li­sier­ten Zil­le-Rum­mel und die Ver­kit­schung von Zil­les Werk. Das war auch die Absicht des Films „Mut­ter Krau­sens Fahrt ins Glück“, des­sen Hand­lung auf eine von Otto Nagel wei­ter­ent­wi­ckel­te Idee Zil­les zurück­geht. Der Film wur­de im April 1933 von den Nazis ver­bo­ten; die auf­find­ba­ren Kopien wur­den zerstört.

Der Autor Wal­ter Frey ist Her­aus­ge­ber der Buch­rei­he „Wed­ding-Bücher“.

Gastautor

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