Es gibt tausend Gründe, am Sonntag zur Wahl zu gehen. Wir nennen hier drei. 2021 ist die Wahlentscheidung so unbeschwert wie nie. Und außerdem: Wählen hilft gegen Verunsicherung. Drittens: Es ist eine Tempowahl. Hier unser Wahlaufruf. Selbst wenn es zu Schlangen kommen sollte wie am Freitag beim Briefwahllokal im Rathaus in der Müllerstraße.
Erster Grund: Freiheit wie nie
Wann gab es das zum letzten Mal, dass eine Wahl ohne Rechnerei, komplizierte Überlegungen und Abwägungen möglich war? Oder wie eine Brasilianerin mir sagte: “Die Deutschen wählen, als ob sie Schach spielen”. Wenn ich A wähle, koaliert der mit C, den möchte ich aber verhindern, deshalb wähle ich B. So lief es doch in den letzten Jahren. Manch einer glaubt, auch in diesem Jahr zähle die Spekulation der Koalition. So wie in den 1990er Jahren als sich zwei Blöcke gegenüber standen. Sollte man FDP wählen, die einem näher stand oder doch lieber CDU, damit diese erst einmal gewinnt? Die gleiche Überlegung auf der anderen Seite: Soll man Grüne wählen, die einem sympathischer waren oder doch lieber SPD, damit endlich Helmut Kohl abgewählt wird? Taktisches Wählen nannte man diese Verrenkungen. Und in den Nullerjahren? Wen sollte man wählen, wenn plötzlich die einstigen Blockgegner SPD und CDU harmonierten?
Doch 2021 ist alles anders! Jeder hat eine freie Wahl. Wie das gemeint ist? Es stehen beinahe unzählige Koalitionen im Raum. Kenia, Jamaika, Angola und sogar Deutschland. Alles ist möglich. Der Wähler hat es nicht in der Hand, welche Koalition Christian Lindner am Ende schmeckt. Oder Olaf Scholz. Doch gerade, dass man am Wahltag nicht Strippen zieht, sondern schlicht wählt, hat etwas Befreiendes. Bei dieser Wahl, dessen Ausgang offen ist, kommt dem Wähler die ursprüngliche Aufgabe zu, nämlich so zu wählen, wie er es in der Schule gelernt hat. Ohne Hintergedanken, ohne Taktik, ohne komplizierte Was-Wäre-Wenn-Überlegungen. Er darf sein Kreuz dort setzen, wo er es unbeschwerten Herzens möchte. Die eigene Partei stark machen, heißt das offiziell. Gibt es einen schöneren Grund, wählen zu gehen, als den, einmal unbeeinflusst die reine eigene Wahl treffen zu können? Der Aufruf ist: Wählen gehen, um zu wählen.
Zweiter Grund: Wählen gegen die Verunsicherung
Lassen Sie sich nicht verunsichern! Gehen Sie wählen! Treffen Sie Ihre Wahl mit dem Kopf! Ohne Angst im Herzen oder Zorn im Bauch. Denn eines ist wahr: Deutschland steht vor Jahrhundertaufgaben. Wer bezahlt die Coronaschulden? Wie kann die Demokratie mehr Vertrauen erringen? Wo sieht der kluge Ansatz aus, um soziale Ungewichte von Wohnungs- bis Arbeitsmarkt auszubalancieren? Was erwartet uns aufgrund des Klimawandels? Und das sind Aufgaben, die nicht nur die neue Bundesregierung angehen muss. Wenn Schulden abgebaut werden, muss dann im Bezirk gespart werden? Und wenn ja, wo? An der Anna-Lindh-Schule? Bei der Galerie Wedding? Im Jugendklub in der Badstraße? Heißt Klimawandel, die Müllerstraße muss Fußgängerzone werden? Oder erst einmal nur eine Fahrradstraße? Oder ist es vielleicht sogar gut, wenn die künftigen E‑Autos dort fahren und nicht im Kiez, wo die Menschen wohnen? Thema Demokratie: Reicht es die Weddinger zu “beteiligen” oder wäre Mitsprache denkbar? Wo könnte das Bezirksamt Macht teilen?
Ja, angesichts gigantischer Gefährdungen können einem Mut und Zuversicht verloren gehen. Der eine verschließt die Augen und sagt, in Wahrheit müssen wir nichts tun, früher ging es schließlich auch irgendwie. Ein anderer weicht ängstlich aus und redet lieber von Nanochips im Impfstoff. Den Dritten packt Panik, er schreit und bewirft die Politik mit Denkzetteln.
Nein, es hilft nur Mut! Man muss der Wahrheit ins Gesicht sehen! Es stehen wahrhaftig große Probleme an. Jahrhundertaufgaben. Sie müssen angegangen werden. Und vernünftige Lösungen sind nur mit Vernunft zu finden. Dafür braucht es faire Debatten. Und Bürger, die mit Bedacht wählen. Nie war es wichtiger als jetzt, sich nicht beirren zu lassen. Gerade in riskanten Zeiten ist ein kühler Kopf gefragt. Wer Instagram und Facebook für eine Woche ausgeschaltet hat, der hat alles richtig gemacht. Wer an einen stillen See oder in einen tiefen Wald gefahren ist und den Lärm abgeschaltet hat, kann besonnen überlegen. Der Aufruf 2021 heißt: Wählen gehen, um eine abgewogene Wahl zu stärken.
Tempowahl – aber anders
Es ist niedlich, wie verschiedentlich von Richtungswahl gesprochen wird, als ob sich wie in den 1990er Jahren zwei Blöcke gegenüberstehen würden. Als ob nicht bei vielen Fragen, die Antworten quer durch die Parteien gehen würden und nur durch Disziplin eine gemeinsame Parteilinie festgelegt wird. Das Links-Rechts-Schema, das Progressiv-Konservativ-Schema, das hat in Wahrheit ausgedient (auch wenn solche simplen Gegenüberstellungen zur Mobilisierung taugen mögen).
2021 geht es aber nicht um eine Richtungswahl, sondern um eine Wahl des Tempos. Denn (fast) alle relevanten Parteien geben mehr oder weniger zu, dass das Klima sich ändert. Selbst Luisa Neubauer merkte das gestern bei der Fridays for Future-Demonstation an. Unterschied ist lediglich: Partei A sagt Wandel, Partei B sagt Katastrophe. Zweites Beispiel: Bis auf Ausnahmen sind sich die Parteien einig, dass der Staat ordnend eingreifen muss. Die einen sprechen von mehr Schulden und Staatsaufgaben, die anderen von neuen Regeln für den Markt. Drittes Thema: Im Wesentlichen weiß die Politik, dass es mehr Europa braucht. Die einen wollen es auf diesem Wege, die anderen auf einem anderen. So könnte man viele Felder durchgehen. Es gibt nur wenige Themen, bei denen es wirkt, als ob die Parteien einer Kreuzung stünden und die Frage ansteht, welcher der Wege der richtige ist. Bei dieser Wahl ist es so, dass die Parteien überlegen, ob sie flanieren, joggen oder rennen wollen. Und wenn man darüber nachdenkt, dann ist diese Entscheidung tatsächlich schwer: Ist Bedacht oder Eile richtig? Der Aufruf zur Wahl lautet: Wählen gehen, um das Tempo zu bestimmen!
Informationen rund um die Wahl
Wir haben in den vergangenen Wochen oft über die bevorstehenden Wahlen berichtet. Hier sind unsere Beiträge, die Informationen, die aus unserer Sicht besonders wichtig sind:
- Wie wählen? Lest nach in unseren FAQ.
- Wen zum Bürgermeister wählen? Lest nach “Warum sollen wir Sie zum Bürgermeister wählen?” oder “Wer tritt an im Bezirk?”
- Welchen Direktkandidaten für Berlin wählen? Lest nach “Wer tritt an im Land?”.
- Welchen Direktkandidaten in den Bundestag wählen? Lest nach unsere Reihe “Drei Fragen, drei Tweets” und “Wer tritt an im Bund?”.