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Debatte am Dienstag:
Traktoren in der Großstadt

Sind die Proteste wirklich angemessen?
23. Januar 2024
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Foto Domi­ni­que Hensel

Wir leben zwar auf engem Raum zusam­men, aber zu vie­len The­men gibt es sehr unter­schied­li­che Mei­nun­gen. An die­ser Stel­le geben wir einer Sicht auf ein kon­tro­ver­ses The­ma Raum. Am Ende könnt ihr selbst ent­schei­den, ob und wel­che Posi­ti­on ihr teilt. Dies­mal befas­sen wir uns mit der Fra­ge, ob Bau­ern­pro­tes­te im ein­kom­mens­schwa­chen Wed­ding wirk­lich ange­mes­sen sind. 

Allenfalls zum Anschauen 

Die Pro­tes­te der Bau­ern waren in aller Mun­de in den letz­ten Tagen, oft waren auch im Wed­ding gro­ße Tre­cker zu sehen. Der Bau­ern­ver­band hat­te zu Stern­fahr­ten nach Ber­lin auf­ge­ru­fen und mit dem zeit­glei­chen Bahn­streik für grö­ße­re Ver­kehrs­be­hin­de­run­gen gesorgt. Wäh­rend ich die Grün­de (hier) nicht dis­ku­tie­ren möch­te, stellt sich eher die Fra­ge, ob der Pro­test im Wed­ding über­haupt am rich­ti­gen Ort stattfindet.

Der Wed­ding, aber auch Gesund­brun­nen, gehört zu Ber­lins ein­kom­mens­schwächs­ten Stadt­tei­len, laut Mikro­zen­sus von 2017 (Quel­le) belegt Mit­te dort knapp vor Neu­kölln den vor­letz­ten Platz mit 1.075€ net­to pro Kopf. Kurz: Vie­le Men­schen hier leben mit sehr wenig Geld. So ist es auch wenig über­ra­schend, dass unser Bezirk auch mit die gerings­te Men­ge an gemel­de­ten Autos hat. Die meis­ten hier fah­ren mit dem ÖPNV, immer­hin sind wir sehr gut ange­bun­den. Ob mit der S- oder U‑Bahn bzw. Stra­ßen­bahn oder mit dem Rad zur Arbeit oder zum Ein­kau­fen, all das pas­siert in einer Groß­stadt oft ohne Auto – anders als außer­halb der Stadtgrenze. 

Wenn also ein Trak­tor zum Bei­spiel die See­stra­ße blo­ckiert, hupend durch die Mül­lerstra­ße fährt oder im Kon­voi minu­ten­lang am Über­que­ren einer Kreu­zung hin­dert, dann bekom­men das viel­leicht gar nicht so vie­le hier mit. Es macht höchs­tens die Bus­se und Stra­ßen­bah­nen noch lang­sa­mer, weil manch ein Pend­ler aus dem Speck­gür­tel nun doch das Auto nimmt. Wäh­rend es auf dem Land sicher eine gro­ße Auf­re­gung ist, wenn eine Stra­ße blo­ckiert wird, gibt es in Ber­lin stän­dig Sper­run­gen, Umlei­tun­gen oder Staus. Manch einer schenkt den gro­ßen Land­ma­schi­nen nur ein Ach­sel­zu­cken, wenn über­haupt. Aber ich habe schon von Fami­li­en gehört, dass sie extra zum Tre­cker­gu­cken ans Fens­ter gesprun­gen sind. Sieht man ja als Stadt­kind nicht alle Tage!

Die Weddinger haben oft keine Lobby

Wäh­rend jedoch der Bau­ern­ver­band auch wohl­ha­ben­de Groß­grund­be­sit­zer ver­tritt, denen es um meh­re­re zig­tau­send Euro Sub­ven­tio­nen geht, fah­ren die Tre­cker hupend und um Sym­pa­thie haschend durch Vier­tel mit Ein­woh­nern ohne Lob­by, Inter­es­sen­ver­band, sub­ven­tio­nier­tem Die­sel oder Fahr­zeug im 6‑stelligen Wert. Dazu kom­men noch Lkw-Kor­sos, die mit­ten in der Nacht im dicht bebau­ten Stadt­ge­biet ein Hup­kon­zert ver­an­stal­ten und Zehn­tau­sen­de um ihren Schlaf brin­gen. Passt so etwas in den Wed­ding (oder Gesund­brun­nen)? Im roten Wed­ding ist Streik und Arbeits­kampf schon frü­her zuhau­se gewe­sen, doch wenn eine rechts­of­fe­ne Bewe­gung mit furcht­ein­flö­ßen­den Schil­dern, Gal­gen und völ­ki­schen Fah­nen durch die Stra­ßen rollt, ist es aus mit der Sym­pa­thie – zumin­dest bei mir.

Und jetzt seid ihr gefragt: Wie seht ihr die Proteste?

Umfra­ge­er­geb­nis­se:

Samuel Orsenne

Samuel ist ein Großstadtmensch, der im Wedding sein Zuhause gefunden hat. Mit seiner Familie lebt er im Kiez rund um die Bellermannstraße. Neben der Arbeit als IT-Fachmann engagiert er sich im Quartiersrat und natürlich beim Weddingweiser und betreut u.a. Marktstände, Technik und die Verwaltung der Weddingweiser UG.

5 Comments

  1. Wir Ber­li­ne­rIn­nen erhal­ten 4500 Demos pro Jahr in der Stadt, zuzüg­lich der unan­ge­mel­de­ten Demons­tra­tio­nen. Auch die Kli­makle­ber behin­der­ten schon den Durch­gangs­ver­kehr Rich­tung Kut­schi. Es ver­bleibt uns kei­ne Ent­schei­dung darüber.

  2. Die Pro­tes­te sind über­re­gio­nal und betref­fen grund­sätz­li­che Fra­gen, die nicht nur Bau­ern betref­fen. Daher sind eben­so Hand­wer­ker und Men­schen aus der Logis­tik­bran­che betei­ligt. Von daher ist der Ver­such das Gan­ze auf die loka­le Ebe­ne her­un­ter­zu­bre­chen irrele­vant, zumal es hier eben­so Gewer­be­trei­ben­de gibt, die sich durch­aus mit den Inhal­ten der Pro­tes­te soli­da­ri­sie­ren. Das Pro­blem mit der poli­ti­schen Rech­ten ist bekannt, es wäre aber fatal des­we­gen berech­tig­te (und nöti­ge) Pro­tes­te abzu­sa­gen. Just my 2 Cent

  3. Die­ser Pro­test ist soooo geheu­chelt. Der Lebens­mit­tel­ein­zel­han­del dik­tiert die Prei­se. Da müss­te man anset­zen. Dann wäre allen geholfen.

  4. Natür­lich gehö­ren auch und gera­de sol­che Pro­tes­te in den ärm­li­chen Wed­ding! Die hie­si­ge Bevöl­ke­rung hat mit am stärks­ten unter all den unse­li­gen Beschlüs­sen die­ser unsäg­li­chen Ampel­re­gie­rung zu leiden!
    Immer­hin gehen die Bau­ern mit ihren Pro­tes­ten auch für uns auf die Stra­ße und zei­gen deut­lich, dass man sich mit allen Mit­teln den Ent­schei­dun­gen wider­set­zen muss! I.Ü. gehört auch der Bahn­streik dazu – zeigt er doch, dass sich wie­der­holt die Regie­rung mit ihren fal­schen Ent­schei­dun­gen auch immer mit den Fal­schen anlegt! Hof­fent­lich öff­net sowas auch dem letz­ten Grü­nen­/SPD-Wäh­ler die Augen!
    Von daher: Jeg­li­cher Pro­test­zug MUSS auch durch den Wed­ding füh­ren und nicht nur die 1. Mai-Demo!

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