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Infoveranstaltung zum Leerstand:
Kein Plan B fürs Ex-Diesterweg

27. November 2023

Weitere 12 Jahre Verfall. So hätte die Infoveranstaltung zum ehemaligen Standort des Diesterweg-Gymnasiums im Brunnenviertel am Donnerstag (23.11.) im Olof-Palme-Zentrum überschrieben sein müssen. Baustadtrat Ephraim Gothe (SPD) gab offen zu: Wegen Geldmangel wird in den nächsten Jahren zwischen Putbusser und Swinemünder Straße nichts passieren. Dennoch möchte er an seinem Plan A, der Reaktivierung des Geländes als Schule, festhalten. Konsequenz: Stillstand. (Lest auch den Kommentar "Beendet das Wunschträumen!" am Ende dieses Beitrags.)

Saal im Olof-Palme-Zentrum bei der Infoveranstaltung zum Ex-Diesterweg. Foto: Andrei Schnell

Die Forderung der Anwohner ist unmissverständlich und so lautete auch der Titel der Infoveranstaltung: 12 Jahre Verfall beenden! Das ehemalige Ranke-Gymnasium und später vom Diesterweg-Gymnasium genutzte Schulhaus steht seit 2011 leer. Baustadtrat Ephraim Gothe sagte bei der Infoveranstaltung über den Grund des Stillstands: Man sei über den Schritt, dass der Bedarf erkannt wurde, nicht hinausgekommen. Er nickte, als er von einem Zuhörer im Saal gefragt wurde, ob damit zehn weitere Jahre Stillstand anstehen. Und Norbert Illiges, der für die Berliner Schulbauoffensive die Taskforce Schulbau leitet, sagte: "Im Moment kann man nichts tun". Es gebe kein Geld.

Kein Geld, keine Priorität

Norbert Illiges von der Taskforce Schulbau des Senats. Foto: Andrei Schnell

Dass der Bedarf nach neuen Schulplätzen groß ist, dem stimmte Norbert Illiges von der Taskforce der Schulbauoffensive (SBO) zu. Doch für das Ex-Diesterweg sehe er beim Geld "überhaupt keine Chance". So seien die Neubauprojekte und Sanierungen zwischen Senat und landeseigener Wohnungsbaugesellschaft Howoge bereits zu Beginn der Schulbauoffensive aufgeteilt worden. Das milliardenschwere Investitionsprogramm SBO startete im Jahr 2016. Diese Jahreszahl ist bedeutsam, denn Ephraim Gothe erklärte, er habe 2017 erkannt, dass die 2011 leergezogene Schule in der Putbusser Straße reaktiviert werden müsse. (Der offizielle Beschluss der Bezirksverordneten folgte im Dezember 2019 - siehe Beitrag Ex-Diesterweg: Eine Schule, keine Schule, eine Schule.) Die Jahreszahlen lassen den Schluss zu, dass die Entscheidung für eine Reaktivierung der Schule zu spät fiel.

Auf dem Podium erinnerte Norbert Illiges daran, dass der Bezirk Mitte dafür verantwortlich sei, den Standort als wichtig einzustufen. So habe der Bezirk in seiner Prioritätenliste die Putbusser Straße auf Platz 10 gesetzt. In der Konkurrenz der Bezirke sei das Ex-Diesterweg dann vom Land Berlin auf Platz 58 aller Schulbauwünsche in der Stadt gelandet. Sehr weit hinten.

Woher das Geld für die Sanierung der Schule kommen soll, wenn der milliardenschwere Topf für die Schulbauoffensive schon verteilt ist, darauf hatte Baustadtrat Ephraim Gothe keine Antwort. Es gebe jetzt den Berliner Klimafonds, sprach er seine Hoffnung aus, dass sich in diesem geplanten Sondervermögen Geld finden ließe. Einige im Saal wirkten in diesem Moment überrascht. Hatte das Bundesverfassungsgericht doch wenigen Tagen geurteilt, dass dem Staat Hausthaltstricks und Sondervermögen untersagt sind. Deshalb ergänzte Ephraim Gothe, dass er davon ausgehe, dass der Berliner Senat seinen Sonderhaushalt so gut begründen werde, dass dieser weniger angreifbar sei.

Zeit für Plan B, sagen die Linken

Der Abgeordnete Tobias Schulze (Linke), der seinen Wahlkreis im Brunnenviertel hat, sagte, man müsse sich angesichts des vorhersehbaren jahrelangen Leerstands fragen, ob das Gebäude weiter vor sich hin rotten solle oder ob man über Zwischennutzungen nachdenken müsse. Damit stellte Tobias Schulze die Frage, ob es nicht Zeit für einen Plan B sei. Baustadtrat Ephraim Gothe verneinte, indem er sagte: "Es ist ja unstrittig, dass wir das Gebäude als Schule brauchen." Und: "Zwischennutzungen gegenüber bin ich skeptisch".

Beate Chudowa vom Brunnenviertel e.V. Foto: Andrei Schnell

Für die Anwohner war bei der Informationsveranstaltung der Blick in die Zukunft entscheidend. So forderte Beate Chudowa, Vorsitzende des Brunnenviertel e.V., dass Bezirk und Senat ihr Ping-Pong-Spiel beenden. Es brauche eine Perspektive der Schulsanierung in absehbarer Zeit. Kurzfristig sollten die Räume der ehemaligen Bibliothek für nachbarschaftliches Engagement geöffnet werden. "Wer die Idee hat, das ICC Berlin, das Internationale Congress Centrum an der Autobahn, zu sanieren, der hat auch Geld für Bildung. Die wichtiger ist." Für die Anwohner sei es am wichtigsten, dass endlich der Stillstand beendet werde.

Veranstaltung aus der Mitte der Gesellschaft

Organisiert hatten die Veranstaltung das Quartiersmanagement Brunnenstraße, die Stadtteilkoordination Brunnenstraße-Nord und der Brunnenviertel e.V. Die drei hatten die Verärgerung der Menschen im Brunnenviertel bemerkt, der sich an einem neu aufgestellten, drei Meter hohen Wellblechzaun entzündet hatte. Wie im Beitrag "Stillstand hinterm Wellblechzaun" beschrieben, hatte der Bezirk vor einigen Wochen begonnen, das denkmalgeschützte, orangefarbene Schulgebäude einzuzäunen, um es vor Vandalismus zu schützen. Manche sehen in der Absperrung einen Favela-Zaun, wie ein Gast im Saal sagte. Favelas werden in Brasilien Armen- und Elendsviertel bezeichnet. Katja Niggemeier, Teamleiterin des Quartiersmanagements, beschrieb die Wirkung des Zaunes neutraler: Aus Sicht der Anwohner habe der Zaun den Stillstand manifestiert.

Infoveranstaltung Diesterweg
Podium vor Beginn der Veranstaltung. Foto: Andrei Schnell

Märchen vom Asbest entzaubert

Nebenbei kam ein wichtiges Detail zur Sprache. So wies Denkmalschützer Christoph Rauhut daraufhin, dass für die Entstehungszeit des Schulgebäudes ungewöhnlich wenig Schadstoffe - sprich Asbest - verbaut worden seien. Bisher galt eine angeblich massive Asbestbelastung als Grund dafür, dass ein Abriss unumgänglich sei. Und dass eine Sanierung beinahe unmöglich sei.

Baustadtrat Ephraim Gothe spricht bei der Infoveranstaltung. Foto: Andrei Schnell

Kommentar: Beendet das Wunschträumen!

"Ich habe mir nicht vorstellen können, dass der Senat nicht tätig werden wird", sagte Baustadt Ephraim Gothe. Das kann man als symphatisches Eingeständnis verstehen, sich verschätzt zu haben. Und wer beim Blick in die Zukunft noch nie daneben gelegen hat, der melde sich in den Kommentaren. Aber es ist nicht ausgeschlossen, dass sich hinter dem Satz des Stadtrates eine Politik des Wunschträumens verbirgt. Und die hat leider beim ehemaligen Standorts des Diesterweg-Gymnasiums Tradition.

Das Träumen fing vor gut 25 Jahren an, als Land und Bezirk glaubten, Kosten sparen zu können, indem man Schulen schließt. Raumüberhang lautete das Stichwort. Doch mit dem Ende des Schulbetriebs kamen hohe Leerstandskosten. Mit 700.000 Euro beziffert der Senat die Ausgaben für die Bestandssicherung des Schulgebäudes in diesem Jahr. Traum eins vom Kostensparen ist zerplatzt.

Es gab eine kurze Phase der realistischen Einsicht, dass Bezirk und Land mit dem Grundstück überfordert sind. Im Raum stand die Möglichkeit, dass das landeseigene Wohnungsunternehmen Degewo auf dem Gelände Wohnungen baut und gleichzeitig die Initiative ps.wedding das Schulhaus als soziokulturelles Zentrum herrichtet. Doch es folgte Traum zwei: die Reaktivierung als Schulstandort. Und die Infoveranstaltung am 23. November war der Moment, in dem dieser Traum öffentlich zerplatzt ist. Denn es fehlt an Geld. Und nicht zuletzt an Dringlichkeit. Nun fragt sich, ob jemand an entscheidender Stelle das Platzen gehört hat und davon aufgewacht ist.

Auf wundersamen Goldregen zu hoffen, das ist Wunschträumen. Das beschert dem sozialen Brennpunkt für Jahrzehnte einen Favela-Zaun. Und das Baudenkmal bekommt ein teures Totenbett, auf dem es Stück für Stück zusammenfällt. Jetzt braucht es jemanden, der anpackt und der Bezirk und Land von einem Plan B überzeugt. Jemanden, der akzeptiert: Die Immobilie übersteigt Berlins Möglichkeiten. Ob Verkauf an einen Investor, ein Erbbauvertrag mit einer zivilgesellschaftlichen Initiative oder Überlassung an eine Privatschule, das alles kann entschieden werden, nachdem das ehrenwerte Ziel einer Schulreaktivierung durch die öffentliche Hand fallen gelassen wurde. Nachdem sich für Realismus entschieden wurde.

Die Anwohner unterstützen einen realistischen Weg. Denn für sie kann alles nur besser werden, als das, was aus Wunschträumen folgen wird. Ob in das orangefarbene Haus eine Schule, ein Supermarkt, Wohnungsmieter oder ein Kulturzentrum einziehen wird - das ist für sie zweitrangig. Wer im Brunnenviertel wohnt, der ist dankbar für jeden Schritt nach vorn. Denn die Menschen wollen nicht in einem von Politik und Verwaltung aufgegebenen Elendsviertel leben.

Transparenzhinweis: Autor Andrei Schnell ist Mitglied im dreiköpfigen Vorstand des Brunnenviertel e.V, der die Veranstaltung mitorganisiert hat.

Andrei Schnell

Meine Feinde besitzen ein Stück der Wahrheit, das mir fehlt.

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