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Wo die Weddinger schwimmen lernten:
Wie das Stadtbad Wedding mehrmals schloss

Eröffnet, geschlossen, Drehort, umgebaut, wieder geschlossen, abgerissen.

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Café des Schick­sals steht in geschwun­ge­nen Buch­sta­ben an einem Neu­bau in der Gericht­stra­ße 68. Lei­der erin­nert an den Haus­num­mern 65 – 69 nichts an das Schick­sal der vor­ma­li­gen Gebäu­de, die erst 2016 abge­ris­sen wur­den. An die­ser Stel­le stand einst das Volks­bad Wed­ding – ein Gebäu­de, auf das der Bezirk vor Jahr­zehn­ten sehr stolz war. Und das kurio­ser­wei­se mehr­mals schloss.

Stadtbad Wedding, Abriss, Berlin-Wedding, Foto: Sulamith Sallmann
Abriss des Stadt­bad Wed­dings in der Gericht­stra­ße, Dezem­ber 2016 – Foto: Sula­mith Sallmann

Nicht genau sagen lässt sich, wann das Stadt­bad Wed­ding ende­te. Die genaue Ant­wort lau­tet: Es kommt dar­auf an. Wegen tech­ni­scher Män­gel ende­te der Bade­be­trieb 1999. Doch zu die­sem Zeit­punkt gab es noch ein wenig Hoff­nung, dass das Ende nur eine Pau­se sein wer­de. Im Dezem­ber 2001 beschloss dann der Senat, das Stadt­bad zu schlie­ßen. Ein trau­ri­ger Jah­res­tag – in die­sem Jahr begeht der Wed­ding also “20 Jah­re Spar­op­fer Stadt­bad”. Wirk­lich leer­ge­räumt von den Ber­li­ner Bäde­be­trie­ben wur­de die Anla­ge 2002.

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Aber es kam ein zwei­tes Leben in die Bude. Unter dem Label Statt­bad (tt statt dt) zog in das Gebäu­de ein Ort für Kul­tur ein. Typi­sche Art-Insze­nie­run­gen die­ser Epo­che: “Dau­er­geil im Hai­fisch­be­cken” (2009). Aber auch Klas­sik­kon­zer­te waren zu hören, wie das Foto unten zeigt. Sehens­wert sind die Stra­ßen­an­sich­ten, die Goog­le-Street­view noch heu­te doku­men­tiert: Zu erken­nen ist die groß­flä­chi­ge Tape-Art auf der Fas­sa­de des Hau­ses, ein aus bun­tem Kle­be­band gemal­tes Bild. Doch die­ses zwei­te Leben ende­te 2016, als der Besit­zer Arne Piep­gras die Abriss­bag­ger schick­te und an der Stel­le eine Anla­ge mit Appar­te­ments baute.

Stattbad
Klas­si­sches Kon­zert im Statt­bad (mit tt). Foto: Julia­ne Orsenne.

So war der Betrieb als Bad

Die Wed­ding­chro­nik notiert eine wei­te­re Schlie­ßung – das wäre Num­mer drei in der Rei­he der Schlie­ßun­gen. Der Zwei­te Welt­krieg hat­te näm­lich das Bad schwer beschä­digt. Aber es folg­te die Wie­der­eröff­nung. Von 1951 bis 1954 wur­de das Volks­bad für 840.000 DM instand­ge­setzt. Die Tri­bü­ne fass­te 600 Zuschau­er. Wich­tig, wenn in der Gericht­stra­ße etwa die Ber­li­ner Hal­len­meis­ter­schaf­ten im Schwim­men aus­ge­tra­gen wur­den. Der vor­de­re Teil des Ensem­bles wur­de in den 1960er Jah­ren durch einen Neu­bau ersetzt, an den sich Wed­din­ger, die län­ger als fünf Jah­re im Stadt­teil woh­nen, noch erinnern.

Aber halt, Neu­bau heißt ja, es gab zuvor einen Alt­bau. Den plan­te Archi­tekt Lud­wig Hof­mann, der in Ber­lin als Stadt­bau­di­rek­tor bekannt ist. Im Wed­ding bau­te er das Virch­ow-Kli­ni­kum am Augus­ten­bur­ger Platz und meh­re­re Gemein­de­schu­len wie die heu­ti­ge Rudolf-Wis­sell-Grund­schu­le, das Les­sing-Gym­na­si­um und die Brü­der-Grimm-Grund­schu­le. Die Eröff­nung des Volks­ba­des mit 78 Meter lan­ger Stra­ßen­front war im Juli 1908. Es war die sechs­te Volks­ba­de­an­stalt Ber­lins. Die Gericht­stra­ße gewann gegen die mög­li­chen Stand­or­te Wie­sen­stra­ße 49–54 und Pank­stra­ße 7–12.

Zeichnung Volksbad Wedding
Ansicht der Volks­ba­de­an­stalt. Zeich­nung des Archi­tek­ten Lud­wig Hoff­mann. Scan durch Archi­tek­tur­mu­se­um der TU Ber­lin, gemeinfrei.

In einem Ver­wal­tungs­be­richt aus den 1920er Jah­ren steht, dass der Bezirk das Stadt­bad am 1. Okto­ber 1921 vom Land Ber­lin über­nahm. Eben­falls ein Jubi­lä­um, mit 100 Jah­ren sogar ein run­des. „Es besitzt 2 Schwimm­hal­len von je 25 bzw. 20 m Län­ge und 9 m Brei­te‟, beschreibt der Bericht die Aus­stat­tung. 420 Kubik­me­ter Was­ser fass­te das eine Bas­sin, das ande­re 320 Kubik­me­ter. „Außer­dem sind 77 Wan­nen- und 86 Brau­se­bä­der vor­han­den‟. Ein Stadt­bad war in der dama­li­gen Zeit auch eine Art aus­ge­la­ger­tes Bade­zim­mer. Bezie­hungs­wei­se, das Volks­bad in der Gericht­stra­ße wur­de zum Ersatz für das Frei­bad im Nord­ha­fen, das 1908 schloss.

1923 erhielt das Stadt­bad eine Chlo­rie­rungs – und Fil­trie­rungs­an­la­ge, „eine Ver­bes­se­rung, die auch mit einer Ver­bil­li­gung des Betrie­bes ver­bun­den ist.‟ Stolz ver­merkt der oben erwähn­te Ver­wal­tungs­be­richt, dass nach der Infla­ti­on „mit der Sta­bi­li­sie­rung des Gel­des‟, die Besu­cher­zah­len das Niveau vor dem Ers­ten Welt­krieg wie­der erreich­ten. 41.415 Besu­cher wur­den 1924 regis­triert. Eben­falls mit Stolz erwähnt wird, dass „im Stadt­bad Schwimm­wett­kämp­fe, selbst inter­na­tio­na­len Cha­rak­ters, statt­ge­fun­den‟ haben. Der „Frie­dens­wert‟ des Gebäu­des mit 2.700 Qua­drat­me­ter Grund­flä­che wur­de mit 1,6 Mil­lio­nen Mark bezif­fert. Damit war es für den Bezirk Wed­ding die wert­volls­te Immobilie.

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Blick in die alte Volks­ba­de­an­stalt. Zeich­nung des Archi­tek­ten Lud­wig Hoff­mann. Scan durch Archi­tek­tur­mu­se­um der TU Ber­lin, gemeinfrei.

Tri­via: Immer wie­der erwähnt und gern auch an die­ser Stel­le: Der Film “Die Halb­star­ken” mit Horst Buch­holz wur­de im Stadt­bad gedreht. Der Dreh­ort wur­de von der Havel an den Becken­rand ver­legt, weil die Eröff­nung­sze­ne für das Jahr 1956 als zu wild galt. Und die Schau­spie­ler muss­ten dann doch bit­te­schön Bade­ho­sen tragen.

Eben­falls inter­es­sant: In den 1950er Jah­ren gehör­te das Volks­bad zum Gesund­heits­amt. Das erwähn­te es in Auf­bau­plä­nen in einem Atem­zug mit der Wie­der­errich­tung des Virch­ow­kli­ni­kums. 1953 wur­de der “Wert” der „gro­ße Schwimm­hal­le‟ im Wed­ding mit 350.000 DM beziffert.

Andrei Schnell

Meine Feinde besitzen ein Stück der Wahrheit, das mir fehlt.

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