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Der Wedding, unsere Stadt in der Stadt

24. Juni 2018
Weddingplatz 1

Wie kommt es, dass sich die Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner des Wed­ding so stark mit ihrem Wohn­ort iden­ti­fi­zie­ren? Viel­leicht liegt es dar­an, dass es hier alles gibt, was eine klei­ne Stadt aus­zeich­net.

Für Kin­der gibt es Tep­pi­che mit sti­li­sier­ten Städ­ten. Häu­ser, Parks, Kir­chen, öffent­li­che Gebäu­de und vor allem Stra­ßen sind aus der Vogel­per­spek­ti­ve anhand kind­ge­rech­ter Zeich­nun­gen dar­ge­stellt. Da kön­nen die Klei­nen her­vor­ra­gend ihre Spiel­zeug­au­tos und –bus­se hin- und her­schie­ben. Schnell erfasst das Kind, wie so ein Stra­ßen­netz funk­tio­niert und wie die ein­zel­nen Berei­che der klei­nen Stadt mit­ein­an­der zusammenhängen.

Der Wed­ding lässt sich ähn­lich leicht als Stadt erle­ben. Nicht nur, weil er Teil einer viel­glied­ri­gen, aus­ge­dehn­ten Mil­lio­nen­stadt ist. Son­dern auch, weil der Auf­bau des Wed­ding, aus his­to­ri­schen Grün­den, vie­le Ele­men­te einer eige­nen Stadt besitzt.

Eine städtische Entwicklung

Müller-/ Otawistr. (C) Stef
Bild von der Mül­ler-/ Ota­wistr. im U‑Bhf Reh­ber­ge © Stef

Wie so vie­le Sied­lun­gen ist der Wed­ding an einem Fluss ent­stan­den. In die­sem Fall han­delt es sich um die Pan­ke, den 30 Kilo­me­ter lan­gen letz­ten Neben­fluss der Spree. Eine Müh­le war wohl die Keim­zel­le des Guts­hofs “Vor­werk Wed­ding”, der sich an der Stel­le des Häu­ser­blocks zwi­schen Pank‑, Rei­ni­cken­dor­fer und Wed­ding­stra­ße befand. Auch der Gesund­brun­nen geht auf eine Müh­le zurück, deren Nach­fol­ge­bau gegen­über der Tra­ve­mün­der Stra­ße zu fin­den ist. An der Stadt­mor­pho­lo­gie des Wed­ding ist noch heu­te ables­bar, dass vor der plan­mä­ßi­gen Anla­ge von Häu­ser­blö­cken schon ein älte­res Wege­netz exis­tier­te. So gab es die Mül­lerstra­ße, die Rei­ni­cken­dor­fer Stra­ße, die Trift­stra­ße, die See­stra­ße und die Gericht­stra­ße schon vor dem gro­ßen Bau­boom der Kai­ser­zeit, der aus der Vor­stadt mit ein paar hun­dert Ein­woh­nern einen dicht­be­bau­ten Teil der Innen­stadt Ber­lins mach­te. Die wich­tigs­ten Kreu­zun­gen des his­to­ri­schen Wege­net­zes sind noch als Plät­ze auf dem Stadt­plan erkenn­bar: Wed­ding­platz, Net­tel­beck­platz, Loui­se-Schroe­der-Platz. Der Hob­recht-Bebau­ungs­plan von 1862, der das rasan­te Wachs­tum Ber­lins in plan­mä­ßi­ge Bah­nen lenk­te, füg­te den Sparr­platz und auch den Leo­pold­platz hin­zu. Damit war schon ein städ­ti­sches Stra­ßen­ras­ter fest­ge­legt. Durch den Bau zwei­er sich am Leo­pold­platz kreu­zen­der U‑Bahnlinien und die Lage im Schat­ten der Ber­li­ner Mau­er kris­tal­li­sier­te sich eine neue “Mit­te des Wed­ding” her­aus. Zahl­rei­che wei­te­re Maß­nah­men, wie der Bau des Rat­hau­ses und des Kar­stadt-Kauf­hau­ses am Leo­pold­platz, aber auch die Umbau­ten der letz­ten Zeit, tru­gen dazu bei, dass der Wed­ding heu­te so etwas wie eine City besitzt.

Eine richtige Innenstadt

Weddings Zentrum: der "Leo"
Wed­dings west­li­ches Zen­trum: der “Leo”

So ver­fügt der zen­tra­le Bereich des Wed­ding heu­te über nahe­zu alle Ein­rich­tun­gen, die für eine moder­ne mit­tel­gro­ße Stadt cha­rak­te­ris­tisch sind: ein Haupt­platz, der vor­de­re Leo­pold­platz, ein­ge­rahmt von Rat­haus, Biblio­thek, zwei Kir­chen und einem Kauf­haus. Dazu kommt noch das Job-Cen­ter als wich­ti­ge zen­tra­le Anlauf­stel­le vie­ler Wed­din­ger. Auf dem Platz selbst fin­den Wochen­märk­te und immer mehr kul­tu­rel­le Ver­an­stal­tun­gen statt, vie­le Lini­en des Nah­ver­kehrs sor­gen Tag und Nacht für Gewu­sel. Die baum­be­stan­de­ne Pro­me­na­de vom vor­de­ren Platz­teil in Rich­tung Max­stra­ße ent­spricht der „Fuß­gän­ger­zo­ne“ so man­cher Pro­vinz­stadt und führt in die urba­nen und leben­di­gen Alt­bau­kieze rund um die Mal­plaquet­stra­ße. Dort gibt es inzwi­schen auch eine beacht­li­che Aus­wahl an Knei­pen, Cafés und Restau­rants. Alles, was sonst zu einer typi­schen Stadt dazu­ge­hört, kommt im Wed­ding eben­falls vor: ein Amts­ge­richt, das (Prime Time-) Thea­ter, eine Eis­bahn (Eri­ka-Heß-Sta­di­on), ein ICE-Bahn­hof (Gesund­brun­nen) – eben Attri­bu­te einer veri­ta­blen Stadt!

Ein richtiger Stadtrand

Nebeneingang des Virchow-Klinikums
Virch­ow-Kli­ni­kum

Wie auf dem Ver­kehr­s­tep­pich für Kin­der sind etwas außer­halb des Zen­trums wei­te­re wich­ti­ge Ein­rich­tun­gen ange­sie­delt: mit der Ber­li­ner Hoch­schu­le für Tech­nik, dem Virch­ow-Kli­ni­kum und dem Robert-Koch-Insti­tut hat der Wed­ding in sei­nem west­li­chen Bereich eine Art „Wis­sen­schafts­vier­tel“. Außer­dem gibt es auf dem AEG-Gelän­de am Hum­boldt­hain zahl­rei­che Medi­en und wis­sen­schaft­li­che Ein­rich­tun­gen. Und alle Insti­tu­tio­nen, die ger­ne am Rand von Städ­ten ange­sie­delt wer­den, befin­den sich auch im Wed­ding an der Peri­phe­rie. So schwär­men die Bus­se vom Betriebs­hof an der obe­ren Mül­lerstra­ße aus, die Juli­us-Leber-Kaser­ne liegt fast schon in Rei­ni­cken­dorf und im West­ha­fen wer­den Güter umge­schla­gen. Auch die Indus­trie, in Form der Bay­er AG, liegt – wie es sich für eine rich­ti­ge Stadt gehört – am “Stadt­rand”. Auf der ande­ren Sei­te der „Stadt Wed­ding“ im Nor­den wird eher gewohnt als gear­bei­tet. Dort befin­den sich denn auch mit dem Strand­bad Plöt­zen­see und dem Kom­bi­bad See­stra­ße sowie vie­len Sport­plät­zen die meis­ten Ein­rich­tun­gen für die Frei­zeit der Wed­din­ger. Dazu zählt auch das Alham­bra-Kino an der mar­kan­ten Kreu­zung von Mül­ler- und See­stra­ße. Und der Schil­ler­park, der Hum­boldt­hain sowie der Volks­park Reh­ber­ge haben für den Wed­ding die Funk­ti­on von rie­si­gen städ­ti­schen Grün­an­la­gen. Tret­boot­fah­ren auf dem Plöt­zen­see – genau so stellt man sich doch auch einen Stadt­park vor.

Eine richtige Stadtgrenze

Für die Wahr­neh­mung des Wed­ding als „klei­ne Groß­stadt“ ist sicher auch die Topo­gra­phie ver­ant­wort­lich. Im Süd­wes­ten und Wes­ten ist der Wed­ding durch den Ber­lin-Span­dau­er Schiff­fahrts­ka­nal und die Auto­bahn A 111 abge­schot­tet. Weil die Stadt­struk­tur Ber­lins durch die Mau­er nach­hal­tig zer­schnit­ten wur­de, sind zudem Wed­ding mit Gesund­brun­nen bis heu­te bau­lich und sozi­al stark von Alt-Mit­te, dem Prenz­lau­er Berg und Pan­kow abge­grenzt. „Durch­läs­sig“ ist der Wed­ding höchs­tens in Rich­tung Rei­ni­cken­dorf, wo die Bezirks­gren­ze nicht als sol­che wahr­nehm­bar ist.

Aber auch unsicht­ba­re Gren­zen füh­ren dazu, dass der Wed­ding eine „star­ke Mar­ke“ ist, wenn­gleich sie oft­mals auch nega­tiv besetzt wird. Die Bewoh­ner des 2001 auf­ge­lös­ten Bezirks haben jahr­zehn­te­lang unter einem „Under­dog-Image“ gelit­ten, war der Wed­ding kli­schee­be­la­den als Arbei­ter­be­zirk, als Kom­mu­nis­ten­hoch­burg, sozia­ler Brenn­punkt und ver­nach­läs­sig­ter Teil Ber­lins ver­schrie­en. Heu­te ent­fal­tet das Gefühl, in einem unter­schätz­ten Stadt­teil zu leben, auch eine posi­ti­ve Kraft. Das trägt dazu bei, dass „der Wed­ding“, im Guten wie im Schlech­ten, im Häu­ser­meer der Mil­lio­nen­stadt wie eine eige­ne Stadt in der Stadt wahr­ge­nom­men wird.

Joachim Faust

hat 2011 den Blog gegründet. Heute leitet er das Projekt Weddingweiser. Mag die Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen gleichermaßen.

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