Der Wedding ist verkauft, bald geimpft, auf Einladung getestet, er spricht Französisch und Latein, gärtnert sehr gern und turnt auch im Winter. Und wenn man jetzt noch erwähnt, dass er in schönen Häusern auch zum Lesen, aber nicht zum Feiern einlädt, dann hat man eigentlich das Wichtigste über den Wedding gesagt, was es in dieser Woche über ihn zu sagen gibt. Verstanden? Zur Sicherheit kommen die sieben wichtigsten Meldungen der Woche jetzt noch Mal in Langform:
Schlagwort: Robert-Koch-Institut
Brüsseler Kiez: raue Schale, gemütlicher Kern

Wer aus Köln kommt, kennt das dortige “Belgische Viertel” eher als Ausgehmeile. Nicht ganz so ausgeprägt ist das in Berlin: das nach belgischen Städten und Regionen benannte Weddinger Viertel besitzt eine schöne Altbausubstanz aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg und aus der Zwischenkriegszeit, ein paar schöne Kneipen und die Vagabund-Brauerei gibt es auch. Leider wirkt es an manchen Stellen aber etwas vernachlässigt. Eine Bürgerinitiative kümmert sich seit Jahren darum, den Kiez wieder nach vorne zu bringen und aus dem Schatten der benachbarten Viertel zu holen. Denn das Potenzial ist enorm: mit der Beuth-Hochschule, dem Wochenmarkt in der Genter Straße (mittwochs und samstags) und seiner schönen Bausubstanz hat der Brüsseler Kiez gute Chancen, ein äußerst attraktives Wohngebiet in zentraler Lage zu werden. Die Grünanlage auf dem Zeppelinplatz in der Mitte des Viertels wurde 2016/17 mit Fördergeldern radikal umgestaltet und aufgehübscht. Ein großer Spielplatz zieht viele große und kleine Weddinger an.
Wichtige wissenschaftliche und kulturelle Einrichtungen gehören aber auch zum Brüsseler Kiez: dort oder in unmittelbarer Nähe befinden sich nämlich das Deutsche Institut für Zuckerforschung mit dem Zucker-Museum (2012 geschlossen), das 1923 gegründete Anti-Kriegs-Museum, die Krankenhausstadt Campus Charité Virchow-Klinikum, das bundesweit bekannte Robert-Koch-Institut und das Institut für Gärungsgewerbe und Biotechnologie.

Klar abgegrenztes Viertel mit Beuth-Hochschule
Vergleichsweise spät ist dieses Viertel bebaut worden. Eine erste Bauphase war die Zeit um das Jahr 1900, als die typischen Mietskasernen rund um die Brüsseler Straße hochgezogen worden. Die Kapernaumkirche, die ursprünglich an einem kleinen Platz stehen sollte, ist heute in die Ecke Antwerpener Straße des Boulevards Seestraße integriert. Mit ihrer Formensprache knüpft die 1902 fertiggestellte Kirche an romanische Sakralbauten im Rheinland an. Die Seestraße selbst ist Teil der Berliner Ringstraßen, die von Peter Joseph Lenné 1841 geplant wurden. Mit ihrem breiten Mittelstreifen, in dem auch die einzige im Westteil Berlins verkehrende Straßenbahnstrecke verläuft, ist sie eine der verkehrsreichsten und breitesten Straßen im Norden der Stadt. Der Abschnitt der Seestraße, der an den Brüsseler Kiez grenzt, erhält durch die geschlossene Bebauung aus der Kaiserzeit einen besonders großstädtischen Charakter.
In einer zweiten Bauphase wurde das Gebiet rund um den Zeppelinplatz bebaut. Mit dem heutigen Haus Beuth, 1909 von Ludwig Hoffmann erbaut, steht ein beeindruckendes Schulgebäude für den ältesten Teil der Technischen Fachhochschule, heute die Beuth-Hochschule mit immerhin 12.000 Studierenden.
Rund um diesen einen ganzen Block einnehmenden Gebäudekomplex sind in den 1920er Jahren zahlreiche Anlagen des sozialen Wohnungsbaus entstanden. Eine Wohnanlage der gleichen Wohnungsbaugesellschaft besteht aus vier sehr unterschiedlich gestalteten Blöcken. Dort lebt es sich, trotz der unmittelbaren Nähe einer Fachhochschule und umrahmt von wichtigen Hauptverkehrsstraßen, überraschend ruhig und grün. Das Brüsseler Viertel ist ein lebendiger und überschaubarer Kiez mitten in der Großstadt, in dem es sich ganz gut leben lässt. Insgesamt ist das Viertel “normal” geblieben – und das ist ja auch schon etwas.
Sprengelkiez: schöner wohnen am Kanal

In einem Ufercafé sitzen oder in einer Hausbrauerei?
Das dicht bebaute Wohnviertel rund um die Sprengel- und die Tegeler Straße verfügt neben einer weitgehend intakten Altbausubstanz aus der Gründerzeit über eine richtige Wasserlage. Im Südwesten des Kiezes verläuft nämlich der Berlin-Spandauer Schiffahrtskanal. Die ausgebaute Uferpromenade mit ihren repräsentativen Wohnhäusern aus der Zeit um 1900 lädt zu Spaziergängen und zu Cafébesuchen ein. Wie an keiner anderen Stelle im Wedding reihen sich hier gastronomische Betriebe aneinander, sowohl traditionelle Kneipen ( Deichgraf) als auch neuere Cafés und Restaurants (Fünfundsechzig, Cafe am Ufer). Ebenfalls im Sprengelkiez besteht seit vielen Jahren die Weddinger Hausbrauerei Eschenbräu, wo man im Sommer in einem schattigen Biergarten im Hinterhof sitzen kann. In den letzten Jahren wurde durch ein Quartiersmanagement viel in die vorhandenen Spielplätze investiert.
Neben dem Sparrplatz und dem Pekinger Platz (am Kanal) ist hier vor allem der Sprengelpark zu nennen. Auf dem 10 000 qm großen ehemaligen Industrieareal (hier wurden Wasserflugzeuge gebaut) zwischen der Kiautschoustraße und der Sprengelstraße haben Landschaftsplaner einen urbanen Sport- und Spielpark mit viel Grün geschaffen.

Im Sprengelkiez und in seiner unmittelbaren Umgebung befinden sich wichtige öffentliche Einrichtungen, deren Bedeutung weit über den Wedding hinausreicht. Zu nennen ist hier vor allem das Robert-Koch-Institut am Nordufer. Das 1891 gegründete Institut ist die zentrale Überwachungs- und Forschungseinrichtung der Bundesrepublik für Infektionskrankheiten. Es befindet sich in unmittelbarer Nachbarschaft zum Rudolf-Virchow-Krankenhaus (heute: Charité Campus Virchow). Die zentrale Berliner Einwanderungsbehörde liegt ebenfalls am Kanalufer, jedoch auf der gegenüberliegenden Moabiter Seite. Sie ist mit dem Torfstraßensteg an den Sprengelkiez angebunden. Auch Beschäftigte und Studierende der nahe gelegenen Beuth-Hochschule drücken dem Sprengelkiez ihren Stempel auf. Daher findet man in diesem Kiez mehr studentisches Einflüsse und die passende Infrastruktur als in anderen Vierteln im Wedding.
Sehenswertes am Nordufer und im Kiez
Da das Industriegelände an der Sprengelstraße erst am Ende des 19. Jahrhunderts aufgegeben wurde, konnte sich der westliche Teil des Kiezes am Nordufer erst um 1900 herum zu einem Wohngebiet entwickeln. Die repräsentative Gebäudegruppe zwischen Fehmarner Straße, Nordufer und Buchstraße ist ein besonders gelungenes Beispiel für genossenschaftlichen Reformwohnungsbau. Vor allem die Eckbauten, davon eines sogar mit einem Doppelgiebel, prägen das Kanalufer an diesem Abschnitt. Auch das Eckhaus Torfstraße/Kiautschoustraße ist ein großbürgerlicher Prachtbau, wie es ihn im Wedding eher selten gibt. Die Osterkirche liegt an der Samoastraße / Sprengelstraße und damit exakt in der Mitte des Sprengelkiezes. Die wuchtige Backsteinkirche ist in die Ecke eines Blocks gebaut und vereint Kirchenschiff, Turm und Pfarrhaus in einem einzigen Gebäude. Das gewölbelose Kircheninnere ist mit prachtvollen Malereien versehen. Das Geschäftszentrum des immer beliebter und damit auch teurer werdenden Sprengelkiezes ist neuerdings die Tegeler Straße mit ihren vielen Cafés, Restaurants und Fachgeschäften. Aber auch in die Sprengelstraße zieht es Nachtschwärmer (in das gleichnamige Musiklokal) oder in die vielen kleinen Gastronomiebetriebe.
Roter Wedding, schlechter Wedding
In Richtung Müllerstraße ist der Kiez stärker von sozialen Problemen geprägt, was vor etlichen Jahren auch der Grund für die Einrichtung des Quartiersmanagements Sparrplatz war. Der namensgebende Platz ist eine langgezogene Grünanlage mit Bolz- und Spielplätzen. Genau in dieser Lage ist mit dem Prime-Time-Theater an der Burgsdorfstraße/Müllerstraße ein kultureller Anziehungspunkt von berlinweiter Relevanz entstanden. Dessen Alleinstellungsmerkmal ist eine fortlaufende Seifenoper auf der Bühne namens “Gutes Wedding, schlechtes Wedding”. Doch anders als bei dem vermeintlichen TV-Vorbild gibt es bei diesem Theaterspaß mit Weddinger Originalen echtes Gelächter eines glänzend unterhaltenen Publikums. Direkt nebenan liegt die Berliner SPD-Zentrale (Kurt-Schumacher-Haus) – traditionell eng mit dem “roten Wedding” verbunden. Bedeutend für den ganzen Ortsteil ist auch das Jobcenter direkt gegenüber – untergebracht in einem typischen Arbeitsamtsgebäude aus den 1950er Jahren.
Wedding forscht! Wissenschaft vor der Haustür

Hatten wir euch einem vorherigen Artikel der Serie unter der Überschrift Wohin im Wedding? 10 Tipps für Studenten noch lokale Brauereien und Tränken für den durstigen Gaumen empfohlen, verraten wir euch heute, wo im Wedding aus Bier eine Wissenschaft gemacht wird – und umgekehrt natürlich. Wir schauen dorthin, wo Menschen im Wedding Fragen stellen und nach Antworten suchen. Entdecken, forschen und entwickeln: Schnallt euch an, hier kommt die Wissenschaft!
Nordufer: Immer am Kanal lang – die entspannteste Straße im Wedding
Der Name deutet es schon an – das Nordufer liegt am Wasser. Kaum eine andere Weddinger Straße deckt ein so breites Spektrum an ungewöhnlichen Bauwerken ab: von einer Schleuse über ein historisches Freibad, eine Krankenhausstadt, ein Mausoleum für einen weltberühmten Forscher, über eine denkmalgeschützte Wohnanlage bis hin zu einem „Café Achteck“.
Schwerpunkt Berlins verschiebt sich – was heißt das für den Wedding?
“Die Schließung des Flughafens Berlin-Tegel verändert das Gravitationsfeld der Stadt”, sagt der SPD-Kommunalpolitiker Ephraim Gothe, der bis zur Wahl Baustadtrat von Berlin-Mitte war. Der Schwerpunkt verschiebt sich in Richtung historischer Mitte, wo mit dem BND-Neubau ein gewaltiges Bauvorhaben realisiert wird. Auch im Südosten, in Adlershof und rund um den neuen Flughafen in Schönefeld, ist ein Schwerpunkt großer Investitionsvorhaben. “Dem Berliner Norden droht ein Bedeutungsverlust”, warnt Gothe. Die Nachnutzung des alten Flughafens Tegel sei für Wedding besonders wichtig – darum dürfe man nicht nichts tun und einfach Ruhe einkehren lassen.
Trotz anderer Größenordnungen – der BND-Neubau kostet allein schon über 800 Millionen Euro, das Stadtschloss “nur” 550 Millionen – werden auch in Wedding viele neue Bauvorhaben realisiert. Auch das Robert-Koch-Institut baut an der Seestraße für 75 Millionen Euro ein neues Laborgebäude – Bakterien wie EHEC oder auch Abwehrmittel gegen biologische Kampfstoffe werden dort erforscht. Lächerlich gering erscheint da der Bibliotheksneubau am Standort des Rathauses Berlin-Wedding, “nur” drei Millionen Euro werden für die neue Mittelpunktbibliothek locker gemacht. Gerade ist aus 18 Entwürfen ein Gewinnerentwurf ausgewählt worden. “Ein sehr sichtbares Gebäude wird realisiert, das zur Aufwertung der Müllerstraße stark beitragen wird”, fasste Ephraim Gothe die Entscheidung für den Gewinnerentwurf bei einer Parteiveranstaltung der SPD-Abteilung Rehberge im Frühsommer zusammen. Später könne aus der neuen Bibliothek auch eine Bezirkszentralbibliothek werden.
Durch das Sanierungsgebiet Müllerstraße ist auch diese zentrale Achse wieder in den Fokus geraten. Für den Wedding stellt diese Straße die Anbindung an die Innenstadt dar. Die Steigerung ihrer Attraktivität für Verkehrsteilnehmer, Kunden und Anwohner ist für den Bezirk daher von besonders großer Bedeutung. Private Investoren werden davon indirekt profitieren, allerdings gibt es steuerliche Sonderabschreibungen für Investitionen im Sanierungsgebiet.
Ob Berlin-Wedding und die Müllerstraße im neuen Koordinatensystem der Stadt abgehängt werden? Prognosen über einen Bedeutungsverlust des Berliner Nordens sind schwer zu treffen. Immerhin hat die Politik die Notwendigkeit erkannt, den Standort durch das Sanierungsgebiet Müllerstraße zu stärken. Bedauerlich ist nur, dass das Sanierungsgebiet im Norden an der Barfus-/Transvaalstraße endet und nicht an der Bezirksgrenze zu Reinickendorf.
Hinweis: seit Januar 2012 ist Ephraim Gothe Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt.