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Gutes in schlechten Zeiten – Tagebuch einer Mutter mit kleinen Kindern

28. März 2020
Züge­schau­en

Die Kita ist für min­des­tens 5 Wochen geschlos­sen, auch die Spiel­plät­ze, kein Kon­takt mit Kitafreun­den für mei­ne fünf­jäh­ri­ge Toch­ter und mei­nen andert­halb­jäh­ri­gen Sohn. Wie soll ich das über­le­ben? „Schreib ein Tage­buch!“, meint mein Mann Hen­ri. Ich habe ich ja sonst nichts zu tun. Und was soll ich da rein­schrei­ben? Nö, blö­de Idee. Hen­ris Ant­wort: „Gut, dass Anne Frank das nicht auch gedacht hat“. Mist, jetzt hat er mich. Here we go…

DER ANFANG

Anfang Febru­ar:  Wir sind im Urlaub in Tirol, Coro­na noch weit ent­fernt, sowohl geo­gra­fisch als auch gedanklich.

Anfang März: Bei einer Freun­din wird das Virus dia­gnos­ti­ziert. Gehe für sie einkaufen.

Don­ners­tag, 12. März:  Wir fei­ern in einem Restau­rant mit Freun­den, aber die Stra­ßen sind schon merk­lich lee­rer, es gibt kaum noch ein ande­res The­ma. Unse­rer Baby­sit­te­rin sage ich noch, sie sol­le cool blei­ben und bloß kei­ne Panik machen.

(VERMEINTLICH) GUTE PLÄNE 

Frei­tag, der 13.: Nach­richt über Kita­schlie­ßung ab Mon­tag. Mit Kol­le­gen noch ein Sekt nach der Arbeit: „Auf die Gesundheit!“.

Sams­tag, 14. März: Wir machen einen Aus­flug zum Dino­sau­ri­er­park in Ger­men­dorf (Emp­feh­lung für die Zeit danach, wer es noch nicht kennt!), deut­lich weni­ger Besu­cher als sonst. Hier ver­brin­ge ich dann also die nächs­ten Wochen.

Sonn­tag, den 15. März: Bom­ben­wet­ter, alle Spiel­plät­ze im Hum­boldt­hain sind voll. Ach, so schlimm wer­den die nächs­ten Wochen nicht.

ABSCHIED

Mon­tag, 16. März: Beim letz­ten Abho­len vor der lan­gen Schlie­ßung hat der Lieb­lings­er­zie­her mei­ner Toch­ter Trä­nen in den Augen: „Wenn ich die Kin­der wie­der­se­he, wer­den sie sich so ver­än­dert haben“. Ich wer­de das ers­te Mal rich­tig trau­rig. Von den Kitafreun­den ver­ab­schie­den wir uns mit den Wor­ten: „Bis die nächs­ten Tage auf dem Spielplatz!“.

DER EWIGE SONNTAG BEGINNT

Aben­teu­er im Park

Diens­tag, 17. März: Der ers­te Tag Home-Office ohne Kita­be­treu­ung. Die Gro­ße möch­te auf den Spiel­platz im Hum­boldt­hain. Ich erken­ne es schon von wei­tem: 15 Grad, Son­ne, aber der Spiel­platz ist leer? Dann sehen wir das Ver­bots-Schild und eine dicke Ket­te. Erkennt­nis des Tages: ich habe eine sehr taf­fe Toch­ter, die vol­ler Ideen ist, was man außer­halb der Spiel­plät­ze spie­len könn­te. So wird gleich ein Vogel­haus im Unter­holz gebaut.

DIE LAGE SPITZT SICH ZU 

Mitt­woch, 18. März: Wir tref­fen zufäl­lig Kitafreun­de. Die Kin­der tau­schen Coro­na-Wis­sen aus, aber das scheint nicht ver­in­ner­licht, denn der Kau­gum­m­ia­tem von Ach­met muss inha­liert wer­den. Abends redet Mer­kel und appel­liert an die sozia­le Iso­la­ti­on, da sonst eine Aus­gangs­sper­re dro­hen wür­de. Mist, jetzt bereue ich unse­re Sozi­al­kon­tak­te am Tag.

Don­ners­tag, 19. März: Ich habe Spaß mit den Kin­dern (sie­he Spie­le in der Woh­nung unten). Bin über­rascht, was mei­ne Toch­ter mit Bas­tel­ma­te­ria­li­en kre­iert. Erkennt­nis des Tages: Bas­tel­bü­cher scha­den der Krea­ti­vi­tät! Manch­mal bin ich aber auch ein­fach nur fer­tig. 6 Uhr auf­ge­weckt wer­den, der Klei­ne braucht noch viel Beschäf­ti­gung, aber auch die Gro­ße hat ihre Bedürf­nis­se, schlimms­ten Falls heu­len Bei­de, wäh­rend der Mit­tags­ru­he kein Aus­ru­hen wegen Home-Office… Sport tut gut, ich brau­che öfter Zeit nur für mich, sonst hal­te ich das nicht durch. Ver­dammt, wie machen Allein­er­zie­hen­de das? Sie haben mein volls­tes Mit­ge­fühl. Aber davon kön­nen sie sich eben­so wenig kau­fen wie unter­be­zahl­tes und über­ar­bei­te­tes Kli­nik­per­so­nal von Balkonklatschen.

Waf­feln und Crèpes

Frei­tag, 20. März: Der ers­te Tag wirk­lich ohne sozia­le Kon­tak­te aus der Nähe. Freue mich über vol­le rega­le beim Ein­kau­fen. Das ers­te Mal stel­le ich mir die Fra­ge, ob ich zum Ein­kau­fen Hand­schu­he tra­gen soll­te. Unser High­light heu­te: eine fri­sche Waf­fel bei der Spei­se­kam­mer. Kin­der meckern nicht über Ket­ten vor den Spiel­platz­tü­ren. Erkennt­nis des Tages: Kin­der kön­nen viel­leicht bes­ser auf sozia­le Kon­tak­te und gelieb­te Din­ge ver­zich­ten, als Erwachsene.

Sams­tag, 21. März: Heu­te ist der 7. Tag mit den Kin­dern daheim. Ich bin nicht mehr so gedul­dig, brau­che mehr Aus­zei­ten, Kon­flikt­ge­spräch mit Hen­ri. Alle Restau­rants sol­len nur noch zum Lie­fern & Abho­len geöff­net sein.

Sonn­tag, 22. März: Ich koche zusam­men mit den Kin­dern Hüh­ner­sup­pe. Bei­de Kin­der schnip­peln ordent­lich mit, Zeit für Gesprä­che: „Mama, wie wur­de das Huhn tot gemacht?“- „Betäubt, und dann getö­tet“ – „Macht das ein Jäger?“ – „Nein, der erschießt im Wald Rehe, Wild­schwei­ne…“- „Schießt der alle Tie­re?“ – „Nein, Mamas zum Bei­spiel nicht. Also Tie­re, die Kin­der haben“ – „War­um essen wir nicht Men­schen?“ – „Dann müss­te man ja Men­schen töten“ – „Wir kön­nen ja die Toten essen“ – „Ich den­ke, die wer­den nicht schme­cken. Alte Tie­re sind ja auch zäh“——-rede ich gera­de wirk­lich dar­über mit mei­ner fünf­jäh­ri­gen Toch­ter? Nun ja, aber das muss ja auch mal geklärt wer­den. Nach­mit­tags Fami­li­en­aus­flug zu den Karower Fisch­tei­chen, ab mor­gen soll ein Kon­takt­ver­bot kommen.

Viel Zeit

Mon­tag, 23. März: Die Groß­mutter liest der Gro­ßen jetzt immer nach dem Mit­tag­essen per Video-Chat vor, da kann ich in Ruhe arbei­ten. Abends fragt die Toch­ter, wie vie­le Wochen wir schon daheim sind, Hen­ri und ich müs­sen bit­ter lachen mit Blick auf die ein­zig ver­gan­ge­ne Woche von Fünf.

Diens­tag, 24. März: Die Musik­leh­re­rin nimmt jetzt Vide­os für Bewe­gun­gen und Rhyth­mus auf. Obwohl die Kin­der den gan­zen Tag zusam­men sind, möch­te die Fünf­jäh­ri­ge den Klei­nen nicht zer­flei­schen, son­dern fragt: „Mama, kann man sei­nen Bru­der hei­ra­ten?“. Ich bin gerührt.

Inne­re Ruhe

Mitt­woch, 25. März: Heu­te haben wir 15 Minu­ten die Men­schen auf einer Wie­se beob­ach­tet, wäh­rend wir auf einer Bank kuschel­ten. Erkennt­nis des Tages: Wir waren ganz bei uns mit Zeit, kei­ne Ter­mi­ne, kein Druck, das pas­siert so äußerst sel­ten im Alltag.

Das waren jetzt genau zwei Wochen, in denen sich für unse­re Gesell­schaft und die Wirt­schaft eine abso­lu­te Not­si­tua­ti­on zuge­spitzt hat. Gera­de des­halb muss man in die­sen Zei­ten etwas Gutes finden.

 Was sind eure Tipps für den kitafreien Alltag? Hier habe ich Unsere zusammengefasst:

 Beschäf­ti­gung in der Wohnung

  • ver­ste­cken spielen
  • Luft­bal­lon, am liebs­ten, dass er nicht den Boden berüh­ren darf
  • Sei­fen­bla­sen
  • ver­klei­den
  • bas­teln, ein gro­ßer Kar­ton beschäf­tigt lan­ge und anchhaltig
  • tuschen, der Klei­ne liebt Fingermalfarben
  • gemein­sa­mes kochen, selbst der Klei­ne macht mit sei­nem Kin­der­mes­ser mit
  • Frucht­säf­te pressen 

    Kin­der­ba­cken
  • backen und dann ganz allein verzieren
  • Über­ra­schungs­beu­tel für Kitafreun­de packen und vor die Tür legen
  • ver­schie­dens­te Bade­zu­sät­ze für Kin­der in der Bade­wan­ne aus­pro­bie­ren (High­light der Vulkan)

Beschäf­ti­gung Draußen

  • immer dabei: ein Ball (für den Ram­pen gesucht werden)
  • diver­se Grün­flä­chen erkun­den, z.B. nach Klet­ter­bäu­men (ja, auch abseits der Wege)
  • Klein­tie­re aus­gie­big beob­ach­ten (Feu­er­wan­zen sind bereits fleißig)
  • Züge­schau­en von Brücken 

    Züge­schau­en
  • Ver­ste­cken spielen
  • Spie­le aus­den­ken mit Stei­nen und Stöckern

 

 

 

 

Gastautor

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