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Verkehrswende im Wedding:
Für Autos gibt es weniger Platz

Einiges ist 2022 in Bewegung geraten: Parkraumbewirtschaftung, Parklets am Straßenrand, Fahrradstraßen, Radstreifen und Durchfahrtssperren.
15. Dezember 2022
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Nach der letz­ten Wahl hat die Zähl­ge­mein­schaft aus Bünd­nis 90/Die Grü­nen und SPD im Bezirk Mit­te ein ambi­tio­nier­tes Pro­gramm vor­ge­stellt: In die­ser Legis­la­tur­pe­ri­ode soll­te die Anzahl der Pkw-Park­plät­ze um 25 Pro­zent sin­ken, die Park­raum­be­wirt­schaf­tung in fast ganz Mit­te ein­ge­führt und Kreu­zun­gen siche­rer gemacht wer­den. Was wur­de davon in Angriff genom­men? Wir zie­hen eine Zwischenbilanz.

Parkraum kostet Gebühren

Am 1. Dezem­ber 2021 ging es im Brun­nen­vier­tel los. Im Kiez woh­nen­de Autobesitzer:innen erhiel­ten Info­schrei­ben, Park­schein­au­to­ma­ten wur­den auf­ge­stellt und Mit­ar­bei­ten­de des Ord­nungs­amts schwärm­ten im Kiez aus. Die Park­raum­be­wirt­schaf­tung erreich­te zuerst den Süd­rand des Orts­teils Gesund­brun­nen, wo vie­le Autos von Pendler:innen abge­stellt waren, solan­ge die Nut­zung des öffent­li­chen Raums noch nichts kos­te­te. Die Anwoh­nen­den hat­ten zuvor oft das Nach­se­hen und muss­ten lan­ge nach Park­plät­zen suchen. Das änder­te sich mit dem Start der Park­raum­be­wirt­schaf­tung. Seit­her kön­nen Anwohner:innen mit einer Anwoh­ner­vi­gnet­te für 20,40 Euro zwei Jah­re lang par­ken. Autofahrer:innen ohne Anwoh­ner­pla­ket­te zah­len 2 Euro pro Stun­de. Seit Mit­te Dezem­ber ist die Park­raum­be­wirt­schaf­tung auch im nörd­li­chen Wed­ding, im Afri­ka­ni­schen und Eng­li­schen Vier­tel, ange­kom­men. Und am Ende ver­dient der Bezirk damit auch Geld: Wie der Tages­spie­gel ver­mel­det, hat Mit­te im Jahr 2021 7,5 Mio. Euro an Ver­war­nungs- und Buß­gel­dern sowie 18,9 Mio. Euro über Park­schei­ne ein­ge­nom­men. Nur 11 Mio. Euro wur­den für Per­so­nal- und Sach­kos­ten aufgewendet. 

2008 habe ich immer einen Park­platz direkt vor mei­ner Haus­tür im Brun­nen­vier­tel bekom­men. Zuletzt bin ich regel­mä­ßig im Kiez gekreist auf der Suche nach einem Park­platz, der dann immer wei­ter weg war. Jetzt bekom­me ich wie­der einen Platz vor mei­ner Tür. 

Domi­ni­que Hen­sel, Weddingweiser-Autorin

Beson­ders für Beschäf­tig­te im Schicht­dienst, die nahe der Park­zo­ne arbei­ten und bis­lang an Tages­rand­zei­ten mit dem Auto zur Arbeit fuh­ren, kann das aber zum Pro­blem wer­den, wie sich schnell im Kiez rund um das Virch­ow-Kli­ni­kum zeig­te. Nichts­des­to­trotz: In etwas mehr als zwölf Mona­ten wur­de die Park­raum­be­wirt­schaf­tung auf fast den gan­zen Wed­ding aus­ge­wei­tet. Nur die nörd­lichs­ten Gebie­te an der Schil­ler­hö­he und rund um die Fried­rich-Ebert-Sied­lung blei­ben ausgenommen.

Also obwohl wir direkt am Gesund­brun­nen­cen­ter woh­nen, wirkt die Bewirt­schaf­tung. Die Fuß­we­ge, Feu­er­wehr­zu­fahrt u.v.m. sind weni­ger zuge­parkt und auch sonst ist deut­lich mehr Platz. Nur für Gäs­te der Anwohner*innen wür­de ich mir eine ver­gleichs­wei­se güns­ti­ge Lösung wünschen.

Face­book-Grup­pen­mit­glied Evam

Parklets und sichere Kreuzungen

Dass nicht alle Autobesitzer:innen erle­ben, dass der Park­druck spür­bar gesun­ken ist, liegt auch dar­an, dass ein­zel­ne Park­flä­chen weg­ge­fal­len sind. Zwölf vom Senat geför­der­te Park­lets tauch­ten an den Stra­ßen­rän­dern auf. Park­lets sind aus Holz gebau­te und mit mög­lichst viel Grün aus­ge­stat­te­te Stadt­mö­bel, die anstel­le von gepark­ten Autos auf Flä­chen des ruhen­den Ver­kehrs errich­tet wer­den. An vie­len Kreu­zun­gen wur­den mit Hil­fe von Fahr­rad­bü­geln gesi­cher­te Fuß­gän­ger­que­run­gen errich­tet und mit Pol­lern abge­si­chert, wodurch wei­te­re Park­plät­ze für Autos weg­fal­len, dafür aber neue Fahr­rad­ab­stell­plät­ze ent­stan­den sind.

Gemeinsame Winterfestmachung des Parklets in der Sprengelstraße am 26. November. Links im Bild ist der neue Regenwasserspeicher, der im Frühling in Betrieb gehen soll. Foto: Hensel
Park­let in der Spren­gelstra­ße am 26. Novem­ber. Foto: Hensel

Ich arbei­te im Brun­nen­vier­tel, bin also über­all dort unter­wegs, und wo es immer noch schwer ist, was zum Par­ken zu fin­den, ist die Schwe­den­stra­ße. Ansons­ten ist es so, dass mit Ein­füh­rung einer Park­zo­ne über Nacht Park­plät­ze da sind.

Face­book-Grup­pen­mit­glied Matthias

Wie vie­le Men­schen betrifft das eigent­lich? In Ber­lin-Mit­te ist die Anzahl der ange­mel­de­ten Autos als ein­zi­gem Bezirk in Ber­lin im letz­ten Jahr gesun­ken. Nur noch 19 Pro­zent der Mitte-Bewohner:innen hat­ten 2020 ein eige­nes Kraft­fahr­zeug, also eine kla­re Min­der­heit. In ganz Ber­lin haben 2018 nur 26 Pro­zent der Einwohner:innen ein Auto für ihre Wege benutzt, wohin­ge­gen immer noch die meis­ten Wege zu Fuß oder mit dem Nah­ver­kehr zurück­ge­legt wer­den. Trotz­dem neh­men befahr­ba­re Stra­ßen 48 Qua­drat­ki­lo­me­ter der Ber­li­ner Flä­che ein – gegen­über 4,7 Qua­drat­ki­lo­me­ter für den Rad­ver­kehr (2017).

Fahrradstraßen

Es erscheint also gerecht, die Nut­zung des öffent­li­chen Raums für das Auto, das zudem nur von einer Min­der­heit genutzt wird, um einen klei­nen Teil zurück­zu­neh­men. Auch bei der Schaf­fung von Fahr­rad­stra­ßen, bei denen es nur Anlieger:innen gestat­tet ist, die Stra­ße mit dem Auto zu befah­ren, ist seit dem ver­gan­ge­nen Jahr viel pas­siert. Waren bei der Kame­ru­ner und der Ant­wer­pe­ner Stra­ße als ers­ten Fahr­rad­stra­ßen im Wed­ding kaum Ver­bes­se­run­gen für Rad­fah­ren­de spür­bar, ist die Ein­füh­rung von Fahr­rad­stra­ßen an der Triftstraße/Gerichtstraße und an der Lyn­ar­stra­ße von der Umwand­lung von Park­flä­chen für mehr Abstell­an­la­gen für Fahr­rä­der beglei­tet. An der Trift­stra­ße ver­schwin­den moto­ri­sier­te Zwei­rä­der von den Geh­we­gen und bekom­men eige­ne Abstell­flä­chen. Außer­dem wur­den für Autos gegen­läu­fi­ge Ein­bahn­stra­ßen ein­ge­rich­tet, sodass es weni­ger Durch­gangs­ver­kehr gibt.

Abso­lut dum­me und nicht durch­dach­te Lösung. Also soll der gan­ze Ver­kehr über die Will­de­now­stra­ße füh­ren, vor­bei an einer Grund­schu­le! Wer jetzt aus der Will­de­now­stra­ße in die Mül­lerstra­ße will, muss beson­ders umständ­lich fahren.

Face­book-Fan Ari über die Fahr­rad­stra­ße an der Triftstraße

Fahrradstreifen

Doch auch an ande­ren Stel­len müs­sen Autos Federn las­sen. In Stra­ßen, in denen es drei Spu­ren gibt, sind in die­sem Jahr brei­te Rad­spu­ren ent­stan­den, die auch Über­hol­mög­lich­kei­ten bei­spiels­wei­se von Las­ten­rä­dern bie­ten. In der Mül­lerstra­ße zwi­schen Leo und Bahn­hof Wed­ding und auf der Amru­mer Stra­ße wur­de so ver­fah­ren. Dabei dient auf letz­te­rer Stra­ße eine Spur als Park­flä­che. Für die Autofahrer:innen und den Bus­ver­kehr ver­en­gen sich die­se Stra­ßen auf nur einen Fahr­strei­fen. Die brei­ten Rad­spu­ren kön­nen auch von Ret­tungs­fahr­zeu­gen am Stau vor­bei genutzt wer­den. Gera­de die neu­en Rad­we­ge, die nicht mehr zu Las­ten des Fuß­ver­kehrs, son­dern des moto­ri­sier­ten Ver­kehrs gehen, machen den Men­ta­li­täts­wech­sel hin zu einer neu­en Flä­chen­ver­tei­lung sicht­bar und füh­ren häu­fig zu emo­tio­na­len Diskussionen. 

Schon irgend­wie para­dox: Da bin ich ange­hal­ten, mein Auto mög­lichst ste­hen zu las­sen und den ÖPNV zu benut­zen und dann baut man gleich­zei­tig Park­plät­ze ab, auf denen ich mein Auto ste­hen las­sen könn­te, um auf U/S‑Bahn bzw. Tram und Bus umzusteigen.

Face­book-Grup­pen­mit­glied Philipp

Kiezblocks und Durchfahrtsperren

Beson­ders augen­fäl­lig ist die Ver­kehrs­wen­de an der Bel­ler­mann­stra­ße: Mit zwei Pol­ler­rei­hen wur­de dort die Durch­fahrt für Kraft­fahr­zeu­ge ver­sperrt. Auch an der Kle­ver-/Eu­ler­stra­ße gibt es Sper­ren. Nur Ret­tungs­fahr­zeu­ge und Ein­satz­kräf­te kön­nen die Pol­ler mit ent­spre­chen­den Schlüs­sel umklap­pen. Mit die­ser Maß­nah­me wird der Durch­gangs­ver­kehr aus dem Kiez­block, so der Name die­ses Kon­zepts für Wohn­ge­bie­te, her­aus­ge­hal­ten. Für Auto­fah­ren­de ver­län­gern sich aber ten­den­zi­ell die Wege. Wei­te­re Kieze wie der Brüs­se­ler Kiez sol­len 2023 fol­gen. Und den­je­ni­gen, die das Auto nicht unbe­dingt brau­chen, wird ein Ange­bot gemacht, ein­mal über die Ver­kehrs­mit­tel­wahl nach­zu­den­ken. Denn für Autos ist in Zukunft ein­fach weni­ger Platz. 

Ich wer­de das Auto zuguns­ten des Fahr­rads und des ÖPNV abschaf­fen, weil das Fah­ren an sich ein­fach zu stres­sig gewor­den ist. Auto­bahn­fah­ren ist eine Kata­stro­phe gewor­den und in der Stadt sind auch ein­fach zu vie­le Autos. Ich habe den ÖPNV (trotz eini­ger Vor­be­hal­te) in der Zeit des 9‑Eu­ro-Tickets noch­mal neu schät­zen gelernt.

Domi­ni­que Hen­sel, Weddingweiser-Autorin

weddingweiserredaktion

Die ehrenamtliche Redaktion besteht aus mehreren Mitgliedern. Wir als Weddingerinnen oder Weddinger schreiben für unseren Kiez.

8 Comments

  1. Ich kann Ari und Phil­lip nur zustim­men. Durch die Umlei­tung in die Wil­de­now­stra­ße wer­den die Schü­ler nicht geschützt, son­dern alle Autos fah­ren direkt an der Schu­le vor­bei. Auch Rein­hardt hat teil­wei­se recht. Die vie­len lan­gen Staus auf den grö­ße­ren Stra­ßen ver­ur­sa­chen noch mehr Abgas­em­mis­sio­nen als ein Fließ­ver­kehr. Ich habe mich auch oft über die Autos geär­gert, die durch den Kiez fah­ren, aber zumin­dest fah­ren sie. An der nächs­ten grö­ße­ren Stra­ße ste­hen sie im Stau und pus­ten ihre Abga­se mas­siv auch in die Wohn­ge­gen­den. Das ist kon­tra­pro­duk­tiv und ver­bes­sert die Situa­ti­on nicht. Auch die Anwoh­ner müs­sen für die Park­raum­be­wirt­schaf­tung zah­len, für die es nur noch weni­ge Parl­plät­ze gibt. Das ist Mei­ner Mei­nung nach nicht die rich­ti­ge Verkehrspolitik

    • Die Autos pas­sie­ren jetzt nicht nur den Ein­gangs­be­reich der Grund­schu­le, son­dern wer­den zudem auch noch zwei Kitas vor­bei­ge­lei­tet (Will­de­now- Kreu­zung Burg­s­dorf­stras­se + Burgdorfstrasse).
      Übri­gens hat sich seit dem der Durch­gangs­ver­kehr in der west­li­chen Sparr­stras­se, die vor­her schon aus­ge­wie­se­ne Spiel­stras­se war, vervierfacht.

      Grü­ne Kli­en­tel­po­li­tik at its best. Aber wir dür­fen im Febru­ar ja noch mal wählen.…

  2. Ich freue mich so sehr über den Rad­weg auf der Mül­lerstra­ße! Es war über so vie­le Jah­re eine unmög­li­che Situa­ti­on, dort mit dem Rad unter­wegs zu sein… 

    die stän­di­gen Nöti­gun­gen von Auto- und Motorradfahrer:innen, wenn man ein­fach nor­mal in der rech­ten Spur gefah­ren ist, anstatt sich der Gefahr unacht­sam geöff­ne­ter Türen der Park­rei­he auszusetzen…
    kaum geeig­ne­te Alter­na­ti­ven auf der Strecke… 

    Eine Freun­din wur­de auch von einem Bus beim Rechts­ab­bie­gen umge­mäht (zum Glück glimpf­lich für sie ausgegangen).

    Es war ein­fach rich­tig scheiße.

    Ich bin froh, als Verkehrsteilnehmer:in auf dem Fahr­rad end­lich auch im Wed­ding ernst genom­men zu wer­den. Ich wur­de rich­tig nei­disch, wenn ich in Kreuz­berg und Fried­richs­hain unter­wegs war und gese­hen habe, was da für Rad­in­fra­struk­tur geschaf­fen wurde!

  3. War­um so eine nega­ti­ve Über­schrift aus Auto­sicht? Es könn­te statt­des­sen auch hei­ßen: Für Rad- und Fuß­ver­kehr gibt es mehr Platz

  4. Möch­te an der Stel­le kor­re­gie­ren: Die Fahr­rad­bü­gel ste­hen haupt­säch­lich dort, wo eh im Kreu­zungs­be­reich nie­mand Par­ken dürfte.
    Das die „VIP“-Parkplätze weg­fal­len, als Park­platz­ver­lust zu zäh­len, fin­de ich falsch.

  5. Durch die stei­gen­de Anzahl an Autos wer­den die Haupt­stra­ßen immer vol­ler und vie­le wei­chen auf Schleich­we­ge durch die Kieze aus. Daher hof­fe ich auf vie­le Kiez­blocks in den nächs­ten Jahren.
    In der Trift­str hal­ten sich der­zeit vie­le Auto­fah­rer noch nicht an die kur­zen Ein­bahn­stra­ßen, ich hof­fe dass die Poli­zei dies nach der end­gül­ti­gen Fer­tig­stel­lung auch kontrolliert.

    • Hal­lo Max 

      rich­tig die Stra­ßen wer­den immer vol­ler… und sie wer­den noch vol­ler wenn die Kieze mit Kiez­blö­cken zuge­baut sind
      Dadurch wird weder das Kli­ma geret­tet – weil sich das Kli­ma nicht ret­ten lässt und der Mensch es auch nicht ret­ten kann – und die Luft ver­bes­sert sich in der Stadt ver­bes­sert auch nicht , weil die Kieze von den Haupt­stra­ßen ein­ge­schlos­sen sind und je nach­dem aus wel­cher Rich­tung der Wind pfeift ist der Fein­staub eben drin im Kiez

      Herr im Him­mel wann begrei­fen es die Men­schen end­lich… aber bald wird alles her im Arti­kel bespro­che­nes neben­säch­li­che erschei­nen , wenn die Hei­zung kalt bleibt und die Strom­ab­schal­tun­gen kommen …

      in die­sem Sin­ne den­noch ein ruhi­ges Weihnachten

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