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Der stille Norden des Wedding:
Englisches Viertel: Grün mit Weltkulturerbe

17. Dezember 2011
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Wichtigstes Gestaltungselement: Putz und Backstein im Wechsel
Die Sied­lung Schillerpark

Von allen Wed­din­ger Vier­teln ist das Gebiet zwi­schen Mül­lerstra­ße, See­stra­ße und dem Bezirk Rei­ni­cken­dorf das viel­leicht unauf­fäl­ligs­te. Hier wird in ers­ter Linie “nur” gewohnt, und das abge­se­hen vom Flug­lärm recht ruhig. Indus­trie und Kauf­häu­ser sucht man hier ver­ge­bens, nur die BVG-Betriebs­hö­fe und ein gro­ßes Frei-und Hal­len­bad sor­gen dafür, dass das Eng­li­sche Vier­tel kein rei­nes Wohn­ge­biet ist. Natür­lich zieht auch der knapp 30 Hekt­ar gro­ße Schil­ler­park Erho­lungs­su­chen­de aus ande­ren Vier­teln an.

Englische Namen, holländische Backsteinarchitektur

Eingang zur U-Bahn-Hauptwerkstatt
U‑Bahn-Werk­statt Seestraße

Hier wird der Wed­ding immer vor­städ­ti­scher, je wei­ter man nach Nor­den kommt. Als die U‑Bahn 1923 bis zum Bahn­hof See­stra­ße in Betrieb genom­men wur­de, lag die Haupt­werk­statt an der Müllerstraße/Ungarnstraße/Edinburger Str. noch am Stadt­rand. Um die Werk­statt her­um wur­de der Block mit Werks­woh­nun­gen bebaut. Die an der Edin­bur­ger Stra­ße seit 190910 befind­li­che Feu­er­wa­che (übri­gens die ers­te, die für motor­ge­trie­be­ne Lösch­fahr­zeu­ge aus­ge­legt war) wur­de in den Kom­plex inte­griert. Auch das Paul-Ger­hardt-Stift von 1886 wur­de Teil eines Blocks des rasch wach­sen­den Eng­li­schen Vier­tels. Aus der frü­he­ren Dia­ko­nis­sen­an­stalt mit Kran­ken­haus hat sich ein Gesund­heits­zen­trum mit Alten­heim ent­wi­ckelt. Die anspre­chen­den Back­stein­ge­bäu­de und die ver­träum­ten grü­ne Höfe haben indes nichts von ihrem Charme verloren.

In der Glasgower Straße
In der Glas­gower Straße

In den Stra­ßen mit den Namen eng­li­scher, iri­scher und schot­ti­scher Städ­te ver­mit­teln die Häu­ser mit ihren Back­stein­fas­sa­den fast schon einen hol­län­di­schen Cha­rak­ter. Die 1927–30 errich­te­te Groß­sied­lung mit 800 Woh­nun­gen war die ers­te Ber­li­ner Wohn­an­la­ge mit Fern­wär­me­an­schluss. Der benach­bar­te Schil­ler­park (1909−13) mit sei­ner im Jahr 2011 wie­der­her­ge­stell­ten Kin­der­plan­sche und einem Café im frü­he­ren Toi­let­ten­häus­chen gibt dem Vier­tel noch dazu eine grü­ne Note. Der Park wird aller­dings durch die von Autos befah­re­ne Bar­fus­stra­ße in zwei Tei­le getrennt. Der nörd­li­che Teil hat eher den Cha­rak­ter eines hüge­li­gen Land­schafts­parks, wäh­rend der süd­li­che Teil von einem bas­tion­ar­ti­gen Ter­ras­sen­bau mit Schil­ler­denk­mal und einer rie­si­gen qua­dra­ti­schen Wie­se domi­niert wird. Die­se ist von vorn­her­ein für den Brei­ten­sport vor­ge­se­hen gewe­sen und wird häu­fig von Ama­teur­fuß­ball­grup­pen genutzt.

Eine zuvor wenig bekann­te Wohn­an­la­ge aus den Jah­ren 1924–30 am Nord­ost­rand des Schil­ler­parks hat es – gemein­sam mit ande­ren Sied­lun­gen der Ber­li­ner Moderne – im Jahr 2008  zum Titel “Welt­kul­tur­er­be” gebracht. Erbaut von den berühm­ten Archi­tek­ten Max und Bru­no Taut, wur­den hier erst­mals Prin­zi­pi­en umge­setzt, die uns heu­te selbst­ver­ständ­lich erschei­nen. Für die dama­li­ge Zeit aber waren die offe­ne Block­rand­be­bau­ung, die grü­nen Innen­hö­fe, die Flach­dä­cher und die Fas­sa­den­ge­stal­tung im schlich­ten Wech­sel von Putz und Back­stein gera­de­zu revo­lu­tio­när. In den 1950er Jah­ren wur­den eini­ge Gebäu­de in der Sied­lung Schil­ler­park ergänzt, ohne dass dadurch der Gesamt­cha­rak­ter der Anla­ge beein­träch­tigt wird.

Schillerhof
Schil­ler­hof

Ganz in der Nähe steht eine eben­falls in die­ser Zeit, von 1925–27, gebau­te Sied­lung Schil­ler­hof, die ins­ge­samt eine kon­ser­va­ti­ve­re For­men­spra­che besitzt. Rund um einen geschlos­se­nen begrün­ten Hof, der von der Aro­ser Allee durch eine Hof­durch­fahrt zugäng­lich ist, befin­den sich Woh­nun­gen in drei Geschos­sen. Über den Türen sind Schmuck­gie­bel mit Reli­efs ange­bracht. Direkt an den beschau­li­chen Schil­ler­hof schließt die Sied­lung Schil­ler­hö­he aus den 1950er Jah­ren an.

Französisch wird es aber auch.…

Ein Mini-Eiffelturm vor dem Centre Français
Das Cent­re Fran­çais (1960 erbaut)

Wed­ding und Rei­ni­cken­dorf bil­de­ten von 1945 – 90 den fran­zö­si­schen Sek­tor in Ber­lin. Als kul­tu­rel­les Zen­trum für die fran­zö­si­schen Streit­kräf­te, aber auch als Ort der Begeg­nung der Ber­lin mit fran­zö­si­scher Kul­tur und Lebens­art wur­de 1961 das Cent­re Cul­tu­rel Fran­çais an der Mül­lerstra­ße 74 errich­tet. Das moder­ne Gebäu­de wird heu­te als Hotel, Bras­se­rie und Kino genutzt. Fast schon am nörd­li­chen Ende der Mül­lerstra­ße und somit auch an der Gren­ze des Wed­ding zieht ein klei­ner Eif­fel­turm die Bli­cke auf sich und ver­weist auf das etwas zurück­ge­setzt lie­gen­de Cent­re Fran­çais. Vom eng­li­schen Vier­tel selbst ist die Bas­ti­on fran­zö­si­scher Kul­tur aller­dings durch den Dom­kirch­hof II und eine Grün­an­la­ge getrennt.

BVG Busbetriebshof. Entworfen von Jean Krämer. Foto Joachim Faust.Mit der 1925–27 gebau­ten “Stra­ßen­bahn­stadt” des Archi­tek­ten Jean Krä­mer ver­fügt das Eng­li­sche Vier­tel noch über ein wei­te­res Juwel. Der heu­te von der BVG als Bus­be­triebs­hof Mül­lerstra­ße genutz­te Kom­plex mit Werk­statt und Werks­woh­nun­gen besticht durch sei­ne expres­sio­nis­ti­sche For­men­spra­che. Ins­be­son­de­re die bei­den Turm­ge­bäu­de, die die Ein­fahrt flan­kie­ren und die Sym­me­trie beto­nen, prä­gen das Stra­ßen­bild an die­sem Teil der Müllerstraße.

Typische Hofseite eines Wohngebäudes der Schillerpark-Siedlung
Typi­sche Hof­sei­te eines Wohn­ge­bäu­des der Schillerpark-Siedlung

Karte des Englischen Viertels in Berlin-Wedding

Joachim Faust

hat 2011 den Blog gegründet. Heute leitet er das Projekt Weddingweiser. Mag die Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen gleichermaßen.

9 Comments Leave a Reply

  1. Ich woh­ne in der Schwy­zer stra­ße am Schil­ler­park hier kann man sich erho­len zumal auch kein Flug­lärm mehr ist

  2. […] Stra­ße. Anre­gen­de Ver­glei­che bie­ten die gleich­zei­ti­gen Wohn­bau­ten von Erich Glass an der Edin­bur­ger Stra­ße, die 1935 ent­stan­de­ne Wohn­sied­lung an der Mül­lerstra­ße und der Schul­kom­plex des Hochbauamts […]

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