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Teil der Berliner Alltagskultur:
Der Späti, eine bedrohte Art

In Ber­lin sind vie­le Din­ge anders als in ande­ren Städ­ten. Ein Klas­si­ker ist die feh­len­de Sperr­stun­de, die 24 Stun­den-Knei­pen wie das Sol­di­ner Eck oder den Magen­dok­tor mög­lich macht. So auch wenn es um „Spät­is“ geht, die in jedem Rei­se­füh­rer ste­hen und Ber­lin-Besu­cher immer wie­der fas­zi­nie­ren. Sie gehö­ren für vie­le Wed­din­ger zur All­tags­kul­tur, und nicht nur spät abends, wenn die Super­märk­te geschlos­sen haben, son­dern auch tags­über: als Treff­punkt in der Nach­bar­schaft und Ort für einen klei­nen Plausch mit dem Betreiber.

Fotos: Samu­el Orsenne

Spät­is gab es frü­her schon in der DDR, offi­zi­ell „Spät­ver­kaufs­stel­le“ für Schicht­ar­bei­ter. Aber auch die muss­ten um 22 Uhr schlie­ßen. Erst im ver­ei­nig­ten Ber­lin wur­den die „Spät­is“ zum selbst­ver­ständ­li­chen Teil des Stadt­bilds. Meis­tens sind sie in tür­ki­schem Fami­li­en­be­sitz, denn dort hat­te man mit viel Geschäfts­sinn die Lücke zwi­schen der Tank­stel­le und dem unper­sön­li­chen Super­markt erkannt und geschlos­sen. Schließ­lich steht hier der Besit­zer meist selbst hin­ter dem Tre­sen und sorgt für eine nach­bar­schaft­li­che Atmosphäre. 

Um den Späti kommt so gut wie kein Bewoh­ner des Kiezes her­um: Alle Wed­din­ger Kin­der dürf­ten dort schon ein­mal ihr Taschen­geld in ein Eis inves­tiert haben. Und nicht nur Tou­ris, son­dern auch Ein­hei­mi­sche genie­ßen es, ein Kalt­ge­tränk vor dem Späti oder an der nächs­ten Stra­ßen­ecke trin­ken zu kön­nen, ohne vor­her groß an die Uhr­zeit zu den­ken. Älte­re Kiez­be­woh­ner wis­sen wie­der­um zu schät­zen, dass sie nicht den wei­ten Weg zu einem Super­markt antre­ten müs­sen, um sich mit ein paar Lebens­mit­teln zu ver­sor­gen. Nicht zuletzt sind sozia­le Kon­tak­te und freund­li­che Gesprä­che im Späti immer ein­ge­schlos­sen. Und so weiß so man­cher Spä­t­i­be­sit­zer sicher mehr aus dem Kiez als die Kiez­be­woh­ner selbst.

Aller­dings haben meh­re­re Fak­to­ren wie stei­gen­de Mie­ten und unat­trak­ti­ve Arbeits­zei­ten dafür gesorgt, dass von den einst 2.000 Spät­is nur noch etwa 1.000 übrig­ge­blie­ben sind. Die Öff­nungs­zei­ten sind ein wei­te­res Pro­blem: Zwar erlaubt das Ber­li­ner Laden­öff­nungs­ge­setz von Mon­tag bis Sams­tag qua­si unein­ge­schränk­te Betriebs­zei­ten bis spät in die Nacht (oder früh in den Mor­gen). Aber am Sonn­tag, der den Spät­is wegen der geschlos­se­nen Super­märk­te den meis­ten Umsatz bringt, gibt es gesetz­li­che Auf­la­gen, deren Ein­hal­tung nur schwer umzu­set­zen sind. Mit der frü­he­ren Dul­dung von sonn­tags geöff­ne­ten Spät­is ist es vor­bei, die Ord­nungs­äm­ter kon­trol­lie­ren das inzwi­schen flächendeckend.

Nur Läden mit über­wie­gend tou­ris­ti­schem Ange­bot dür­fen sonn­tags öff­nen, doch ein paar Post­kar­ten und Kühl­schrank­ma­gne­ten im Sor­ti­ment rei­chen dafür nicht aus. Wer dage­gen ver­stößt, ris­kiert ein Buß­geld. Durch ein Gerichts­ur­teil wur­de jedoch erlaubt, dass ein Späti sonn­tags Geträn­ke und Spei­sen zum sofor­ti­gen Ver­zehr anbie­ten darf wie in einer Gast­stät­te. Dann aller­dings dür­fen kei­ne ande­ren Waren ver­kauft wer­den – Milch, Ket­chup und Nudeln müs­sen also im Regal blei­ben. Dann kann eine Gast­stät­ten­li­zenz erteilt wer­den. Aber dafür wer­den auch Sitz­mög­lich­kei­ten und am bes­ten auch Toi­let­ten ver­langt – vor allem für die klei­nen Spät­is ein Pro­blem, weiß der Ver­ein Späti e.V. zu berich­ten, in dem sich etwa 200 Späti-Betrei­ber zusam­men­ge­schlos­sen haben. Der Ver­ein for­dert die Abschaf­fung des Sonn­tags­ver­kaufs­ver­bots, ana­log zu Tankstellen.

Doch solan­ge sich dar­an nichts ändert, wird die Zahl der Spät­is wohl wei­ter abneh­men. Das wäre für die Nach­bar­schaft sehr bedau­er­lich. Und ist nicht das Schö­ne, dass man sich um die Uhr­zeit kei­ne Gedan­ken machen muss? Der Späti, der uns ganz selbst­ver­ständ­lich mit allem Lebens­not­wen­di­gen (und Kalt­ge­trän­ken) ver­sorgt, könn­te also irgend­wann zu einer aus­ster­ben­den Art gehören. 

Joachim Faust

hat 2011 den Blog gegründet. Heute leitet er das Projekt Weddingweiser. Mag die Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen gleichermaßen.

3 Comments

  1. Ich fin­de, die soll­ten blei­ben dür­fen. Aller­dings nicht mit Sitz­plät­zen draus­sen und man kommt nicht in den Schlaf. Laut ist es genug in die­ser Stadt. Ich glau­be auch nicht, dass die der Geld­wä­sche die­nen. Da neh­me ich eher an, dass das die Shis­ha­bars schon erle­di­gen. Hier will nur jemand sei­nen Lebens­un­ter­halt ver­die­nen. Was ist falsch daran?

  2. War­um soll­te es für die­se Art von Geschäf­ten Son­der­re­geln geben? In ers­ter Linie die­nen sie doch der Alko­ho­li­ker­not­ver­sof­gung. Zudem muss ange­nom­men wer­den, dass nicht weni­ge die­ser Läden – ähn­lich den Fri­seu­ren – der Geld­wä­sche die­nen. Ver­nünf­tig wäre zB eine Laden­öff­nung aller Geschäf­te und Ver­kaufs­ver­bo­te für Alko­ho­li­ka und Ziga­ret­ten zwi­schen 20 und 8 Uhr.

  3. Das die jah­re­lan­ge Dul­dung des Öff­nen am Sonn­tag been­det wur­de ist in der Tat ärger­lich. Wenn eine Tank­stel­le Bier ver­kau­fen darf, dann auch bit­te die Spät­is. Tank­stel­len gibt es im Wed­ding schließ­lich auch fast kei­ne mehr.

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