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"Berlinale goes Kiez" im Sinema Transtopia:
Ein Wimmelbild zwischen den Kulturen

26. Februar 2024

Die Berlinale und ich habe etwas gemeinsam: Wir waren am Donnerstag zum ersten Mal im Sinema Transtopia. Die Berlinale war schnell, hat das Kino in der Lindower Straße, das es dort seit einem Jahr gibt, bei der ersten sich bietenden Gelegenheit ins Programm genommen. Ich fühle mich kriechend langsam, hätte mir als Weddingweiserin dieses besondere Kino im Wedding schon viel früher anschauen können. Bisher habe ich es nur vor außen für die Sonntagsnews fotografiert und lediglich online im Programm gestöbert. Nun habe ich es kennengelernt.

Der fliegende rote Teppich landete am Donnerstag erstmals vor dem Sinema Transtopia. Foto: Hensel
Der fliegende rote Teppich landete am Donnerstag erstmals vor dem Sinema Transtopia. Foto: Hensel

Ich bin am Donnerstag (22.2.) nicht die einzige im Auditorium, für die der Besuch im Kino Sinema Transtopia in der Lindower Straße eine Premiere ist. Als Moderatorin Anne Lakeberg vor der Vorstellung um 18 Uhr fragt, wer zum ersten Mal in diesem Kino sei, gehen die meisten Hände hoch. Der erste Eindruck von dem Lichtspielhaus lautet sicher nicht nur für mich: mit etwa 80 Plätzen klein, aber sehr fein. Kinoleiterin Malve Lippmann, die ich vom Namen her schon vom bi'bak-Projekt im Soldiner Kiez kenne, nutzt die Gelegenheit, das Konzept des Kinos zu umreißen. Sie mache „cinema for a transnational society“, Kino für eine transnationale Gesellschaft. Filme, die zwischen den Welten, zwischen den Kulturen, die in Berlin zusammenleben, spielen, kommen auf die Leinwand. Im Publikum wird aufmerksam zugehört. An Gesichtern und geflüsterten Kommentaren erkenne ich, dass sich viele vornehmen, wiederzukommen.

Mir fällt auf, dass auf der Bühne ausschließlich Englisch gesprochen wird. Das ist bei der Berlinale nicht unüblich. Schließlich sind die meisten Filme im Festivalprogramm in Originalsprache und mit englischen Untertiteln. Wenn ich mich richtig erinnere, gab es früher bei den Berlinale-Vorführungen - zum Beispiel bei meinen Besuchen im City Kino Wedding zusätzlich immer eine deutsche Übersetzung. Hier ist das nicht so, doch es stört augenscheinlich niemanden; im Publikum laufen die Gespräche vor dem Film auch zum größeren Teil auf Englisch.

Geister der Vergangenheit und deutsche Bürokratie

Das Programm, das die Reihe „Berlinale goes Kiez“ ins Sinema Transtopia geschickt hat, passt ebenso gut zur Spielstätte wie die ausschließlich englischen Fragerunden mit den Filmteams. Bei der ersten Vorstellung steht ein Film aus der Sektion Forum auf dem Programm: „Shahid“. In dem Film der iranischstämmigen Regisseurin Narges Kalhor geht es darum, dass die Hauptfigur ihren zweiten Nachnamen Shahid in Deutschland, wo sie lebt, aus ihrem Pass streichen lassen will. Sie stößt dabei auf ungeahnte Probleme mit der deutschen Bürokratie, aber auch auf die Geister aus der Vergangenheit ihrer Familie. Ein verspielter Film mit mehreren Ebenen wie ein großes Wimmelbild aus Poesie, Tanz, einem Erzähler der unkonventionellen historischen Rückblenden und einem stets präsenten Filmteam.

Das angereiste Filmteam des Films "Shahid" auf dem roten Teppich vor dem Sinema. Foto: Hensel
Das angereiste Filmteam des Films "Shahid" auf dem roten Teppich vor dem Sinema. In der Mitte steht die Regisseurin Narges Kalhor. Foto: Hensel

Nach dem Film gibt es ein sogenanntes Q&A, eine Fragerunde mit dem mitgereisten Team. Ich werde neugierig, als dabei davon gesprochen wird, dass ein weiterer Film der Regisseurin im folgenden Tag im Sinema Transtopia läuft, wieder unter Anwesenheit vom Narges Kalhor, meiner persönlichen Entdeckung bei der diesjährigen Berlinale. Und ich setze gleich meinen Vorsatz in die Tat um und kaufe mir ein Ticket für den nächsten Tag. Es kann ja nicht schaden, ein zweites Mal ins Sinema Transtopia zu gehen für einen interessanten Film, eine nette Kinobar, einen Abend zwischen den Kulturen und Sprachen.

Berlinale-Nachschlag mit Kurzfilmen

Nach „Shahid“ gibt es im Sinema noch Berlinale-Nachschlag. Fünf Filme aus der Sektion „Berlinale Shorts“ stehen auf dem Programm. Zwischen den Vorstellungen ist eine Stunde Pause. Ich nutze die Zeit, um Fotos zu machen für diesen Weddingwesier-Beitrag. Vom roten Teppich, vom Filmteam von „Shahid“. Das Team von „Berlinale goes Kiez“ hat mir einen kleinen Berlinale-Bär als Anstecker geschenkt (danke!) und ich komme kurz mit Moderatorin Anne Lakeberg ins Gespräch. Es ist schön, Anne wiederzusehen, die ehemalige Betreiberin des City Kino Wedding. Ich habe sie selbst oft als Gastgeberin der Berlinale in ihrem ehemaligen Kino erlebt, nun zieht sie weiter mit dem fliegenden Berlinale-Teppich durch die Berliner Kieze. An der Kinobar gibt es Limonade und Bier. Ich will mich Malve Lippmann als Weddingweiser-Autorin zu erkennen geben, aber sie ist vertieft in Gespräche mit den vielen anwesenden Filmschaffenden. Also störe ich lieber nicht.

Berlinale im Sinema: gleich geht es los. Foto: Hensel
Berlinale im Sinema: gleich geht es los. Foto: Hensel

Dann ertönt ein satter Gong. Er will sagen: Die Vorstellung beginnt gleich, nehmt die Plätze ein! Ich finde einen guten Platz in der Mitte des Saals und verfolge den Wechsel von Kurzfilm, Kurzfilm-Filmgespräch, Kurzfilm, Kurzfilm-Filmgespräch und Kurzfilm. Es sind fünf ganz verschiedene kleine Filme, die über die Leinwand flimmern. Im animierten Film „Tako Tsubo“ lässt sich Herr Ham sein Herz entfernen, um sich von seinen komplizierten Gefühlen zu befreien. In „Jing guo (Goodby my first love)“ beobachte ich zwei Männer, die über ihre Zeit in Beijing sprechen, in einer Wohnung in Frankfurt/Main sitzend. Einer redet, einer hört zu, es geht um eine Liebe, die keine Bedeutung mehr hat. Anschließend zeichnet ein Mädchen in „Circle“ einen Kreis auf den Boden. Ein Mann setzt sich in dem Kreis auf seinen Koffer und liest. Bald kommen immer mehr Menschen und zwängen sich alle in den gezeichneten Kreis. Eine hübsche Idee, die mich fragen lässt, warum sich alle ausgerechnet in den Kreis stellen wollen.

Aktuell: Filme über den Iran, über die Ukraine

Am meisten beeindrucken mich die beiden letzten Filme, vielleicht weil sie aktuelle Themen aufgreifen. „City of Poets“ ist eine Aneinanderreihung von Fotografien aus dem Iran. Es entblättert sich eine Art Familienalbum aus einer fiktiven Stadt, die es so gegeben haben könnte. Eine Stadt, deren Straßen nach Dichter:innen benannt sind. Nach dem Ausbruch des Krieges kamen Geflüchtete, neue Viertel entstanden, neuen Straßennamen kamen, alte Straßen wurden nach im Krieg gefallenen Soldaten umbenannt. Am Ende heißt keine Straße mehr so wie zuvor. Ich sehe traurige Frauen und erfahre von der Erzählerstimme, dass das Singen verboten wurde, dann das Tanzen, dann verbrannten die Menschen selbst ihre Bücher, um Familienangehörige zu schützen. Im Filmgespräch erzählt Regisseurin Sara Rajaei von der Herkunft der Fotos, von einem Maulbeerbaum und von ihrer Familie im Iran.

Moderatorin Anne Lakeberg (links) im Gespräch mit Malve Lippmann, der Leiterin des Sinema Transtopia. Foto: Hensel
Moderatorin Anne Lakeberg (links) im Gespräch mit Malve Lippmann, Leiterin des Sinema Transtopia. Foto: Hensel

Im Film „Ungewollte Verwandtschaft (Unwanted Kinship)“ setzt sich Regisseur Pavel Mozhar mit seiner Kindheit im postsowjetischen Belarus auseinander. Er dokumentiert anhand von Protokollen von Menschenrechtsorganisationen, was geschah, als sich die russische Armee zusammen mit belarussischen Truppen kurz nach Beginn der umfassenden Invasion in die Ukraine aus einigen besetzten Gebieten zurückzog. Die Berichte der Opfer werden von ukrainischen Schauspieler:innen gesprochen, die Gräueltaten werden in Berlin nachgespielt. Im Raum steht die Frage, welche Rolle der Filmemacher selbst spielt, welche Verantwortung er als Belarusse trägt.

Für einen Absacker an der Kinobar ist mein Kopf nach den vielen Eindrücken zu voll, und es ist spät geworden. Über den roten Teppich eile ich zum Bus, der mich in meinen Kiez zurückbringt. Doch eins ist klar: Ich komme wieder, Sinema Transtopia! Morgen schon. Und vielleicht treffen wir uns nächstes Jahr wieder an dieser Stelle, die Berlinale und ich.

Die Berlinale und der Wedding

Die Berlinale im Kiez zu haben, ist immer etwas Besonderes. Wenn der fliegende rote Teppich zu den „Berlinale goes Kiez“-Veranstaltungen im Wedding landet, dann kommt gefühlt die halbe Stadt zu uns in den Stadtteil. Für mich ist da auch immer etwas Weddingstolz dabei: Seht her, was für tolle Kinoprojekte wir hier haben! Da ist neben dem Sinema Transtopia das Arthousekino im Centre Français, das City Kino Wedding. In diesem Jahr war der Berlinale-Bär am Samstag (17.2.) dort zu Gast. Und da ist natürlich das silent green Kulturquartier, das eine ganze Berlinale-Sektion beherbergt, das Forum und das Forum Expanded. Und bald, ganz bald, zieht dorthin auch das Kino Arsenal, das bisher am Potsdamer Platz residiert. Das wird bestimmt ein weiteres Berlinale-Kino im Wedding.

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