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Radweg auf der Müllerstraße:
Zeichen und Wunder!

5. Juli 2023
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Vor über zehn Jah­ren wur­de er schon ange­kün­digt, jetzt ist er end­lich da: der durch­gän­gi­ge Fahr­rad­weg ent­lang der Mül­lerstra­ße. Auch im zen­tra­len Teil der Geschäfts­stra­ße zwi­schen Leo­pold­platz und See­stra­ße brau­chen Rad­fah­ren­de nicht mehr um ihr Leben zu fürch­ten, weil sie sich die Fahr­spu­ren mit dem moto­ri­sier­ten Ver­kehr tei­len müs­sen. Aus dem ursprüng­lich geplan­ten ein­fa­chen Rad­weg zwi­schen par­ken­den Autos und der rech­ten Fahr­spur ist jetzt sogar ein “geschütz­ter Rad­strei­fen” geworden. 

Dafür ent­fal­len jetzt die Park­plät­ze am Rand der Mül­lerstra­ße, deren Mit­tel­strei­fen bleibt aller­dings so, wie er ist. Er muss nicht auf­wän­dig umge­baut wer­den wie im alten Kon­zept vor­ge­se­hen. Des­halb hat­te sich des­sen Umset­zung schier end­los ver­zö­gert: Wenn näm­lich die BVG irgend­wann auch zwi­schen den U‑Bahnhöfen See­stra­ße und Wed­ding die Decken der U‑Bahn sanie­ren will, hät­te der umge­bau­te Mit­tel­strei­fen wie­der abge­baut wer­den müs­sen. Solch eine Geld­ver­schwen­dung woll­te sich Ber­lin nicht leis­ten. Jetzt ent­fal­len statt­des­sen die Park­plät­ze am Stra­ßen­rand – und das gefällt natür­lich auch nicht allen. Zum Bei­spiel den tür­ki­schen Gewer­be­trei­ben­den in der Stra­ße, die um ihre Umsät­ze ban­gen. “Seit­dem die­se Pol­ler vor mei­nem Laden ste­hen, kom­men kei­ne Kun­den mehr mit dem Auto vor­bei”, beschwert sich zum Bei­spiel der Betrei­ber eines Bak­la­va-Ladens. Da sei es kein Aus­gleich, dass man den Laden mit dem Fahr­rad viel bes­ser errei­chen kön­ne: “Mei­ne tür­ki­schen Kun­den fah­ren nicht mit dem Fahr­rad!” Aller­dings gäbe es in der Stra­ße eigent­lich genü­gend Park­raum: im Park­haus des Cit­ti­point zum Bei­spiel, wo immer etwas frei ist. Und auch vor dem Umbau fan­den sei­ne auto­fah­ren­den Kun­den nur aus­nahms­wei­se einen Park­platz direkt vor dem Laden und muss­ten nicht ganz legal in zwei­ter Rei­he hal­ten. Dar­an hat sich nichts geändert. 

Schreiner-Erlass kam zu spät

Lie­fer­fahr­zeu­ge dür­fen hier jetzt sogar ganz legal ste­hen: In aus­ge­wie­se­nen Lie­fer­zo­nen auf dem rech­ten Fahr­strei­fen ist jetzt das Lie­fern und Laden in den Zei­ten von 9 bis 15 Uhr aus­drück­lich erlaubt. Mor­gens und abends im Berufs­ver­kehr soll die­ser Fahr­strei­fen dage­gen aus­schließ­lich vom flie­ßen­den Ver­kehr genutzt wer­den. Unterm Strich hat sich ver­kehr­lich die Situa­ti­on für die Gewer­be­trei­ben­den in der Stra­ße also sogar ver­bes­sert. Für die Anwohner:innen mit PKW hat sich zwar die Aus­wahl an Park­raum ver­rin­gert. Im Ver­gleich zur Situa­ti­on vor der Ein­füh­rung der Park­raum­be­wirt­schaf­tung dürf­te die Park­platz­su­che aber immer noch ein­fa­cher sein.Die Ein­rich­tung des neu­en Rad­strei­fens im Mai und Anfang Juni kam übri­gens gera­de noch recht­zei­tig. Denn kaum war er bau­lich fer­tig gestellt, ver­kün­de­te die neue Sena­to­rin für Mobi­li­tät Dr. Man­ja Schrei­ner einen Erlass, nach­dem alle Maß­nah­men für die Rad­weg­einfra­struk­tur gestoppt sind und die­se erst mal gründ­lich über­prüft wer­den müss­ten. Man­che füh­len sich dabei an die alten Zei­ten der “Ver­kehrs­len­kung Ber­lin” erin­nert, als “Ver­kehrs­wen­de” noch ein uto­pi­scher Begriff war und alles, was irgend­wie den Ver­kehrs­fluss der Kraft­fahr­zeu­ge auf über­ge­ord­ne­ten Stra­ßen hät­te min­dern kön­nen, abge­lehnt wur­de oder zumin­dest jah­re­lang in den Schub­la­den der Ver­wal­tung schmorte. 

Fotos: l.: Cit­ti­point mit Park­haus, o.r..: Kar­stadt-Park­haus, u.r. Par­ken in zwei­ter Rei­he (And­rei Schnell)

Anstieg des Radverkehrs zu erwarten

Sorg­fäl­tig über­prüft wer­den sol­len unter ande­rem die “Ver­kehrs­zah­len der jewei­li­gen Ver­kehrs­teil­neh­mer­grup­pen an den jewei­li­gen Ört­lich­kei­ten”. An der Mül­lerstra­ße also die Zahl der Rad­fah­ren­den, die sie bis­lang tat­säch­lich benutz­ten. Die­se Zahl ist aber gering, eben weil vie­le Radfahrer:innen die­sen gefähr­li­chen Abschnitt der Geschäfts­stra­ße bis­lang lie­ber mie­den. Mit Kin­dern war es zum Bei­spiel schlicht­weg unmög­lich, per Rad in das Zen­trum der Geschäfts­stra­ße vor­zu­drin­gen, auch weil die Bür­ger­stei­ge hier viel zu belebt sind, um die Kin­der­rä­der dort rol­len zu las­sen. Erst in eini­gen Mona­ten wird man ermit­teln kön­nen, wie­viel zusätz­li­chen Rad­ver­kehr die neu­en geschütz­ten Rad­strei­fen erzeu­gen. In den kom­men­den Jah­ren wird der aber sicher wei­ter zuneh­men, weil bis dahin all die Büro­häu­ser belegt sein wer­den, die jetzt im Bau oder in Pla­nung sind. In deren Unter­ge­schos­sen fin­det man kaum noch PKW-Stell­plät­ze, dafür aber mas­sen­haft sol­che für Fahr­rä­der. Viel­leicht wird dann ja auch häu­fi­ger mal eines vor dem Bak­la­va-Laden zu sehen sein …

Autor: Chris­tof Schaffelder

Die­ser Arti­kel erschien zuerst in der Zeit­schrift “Ecke Mül­lerstra­ße”, Aus­ga­be Juli/August 2023

Mehr zum The­ma: Arti­kel über süd­li­che Mül­lerstr. I 7 beden­kens­wer­te Punkte

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Gastautor

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16 Comments

  1. Lei­der sieht man dass die neu­en Rad­we­ge auf der Mül­lerstra­ße immer dort wo kei­ne Pol­ler ste­hen (ver­mut­lich wegen Lie­fer­zo­nen) total oft von Autos zuge­parkt sind. Ist aber defi­ni­tiv eine Ver­bes­se­rung und ich feie­re die neu­en Rad­we­ge über­all in Mit­te total!
    Gera­de jetzt wo alles neu ist gibt es natür­lich sehr vie­le Men­schen die sich an Ihre Pri­vi­le­gi­en gewöhnt haben und es total doof fin­den zb. nicht mehr mit dem Auto in zwei­ter Rei­he vor dem Gemü­se­la­den par­ken zu kön­nen, für die Mehr­zahl der Anwoh­ner ist es aber eine Verbesserung.

  2. Lie­be Frau Dr. Neu­mann, falls Sie hier mit­le­sen: Bit­te las­sen Sie es zu, dass per­spek­ti­visch auch die BVG die extrem brei­te Rad­spur mit­nut­zen darf. Der 120er steht gefühlt immer im Stau und bewegt sich im Schne­cken­tem­po. Im Bus sit­zen stets deut­lich mehr Men­schen, als ich Rad­fah­ren­de in der Mül­lerstra­ße sehe. Es gibt sehr vie­le Men­schen, die kön­nen aus Alters oder Krank­heits­grün­den nicht ein­fach auf das Rad umstei­gen und sind auf Bus/Bahn ange­wie­sen. Acuh soll­ten Sie die Zahl der Rad­fah­ren­den nicht nur im Som­mer mes­sen, das ist nicht reprä­sen­ta­tiv. Danke!

    • Genau, seh ich auch so. Ver­ste­he wirk­lich nicht, war­um bei der Ver­kehrs­wen­de Fahr­rä­der sogar gegen­über dem ÖPNV prio­ri­siert wer­den. Der ÖPNV soll­te IMMER Vor­rang haben, auch vor Fahr­rä­dern. Und erst­recht in den Pla­nun­gen für Erwei­te­run­gen und Neue Stre­cken auch Fahr­rad­we­ge und Fahr­rad­stra­ßen soll­ten nach­ran­gig behan­delt wer­den IMHO .… .

    • Wenn die Leu­te, die es kön­nen, auf­grund der bes­se­ren Rad­we­ge Rad fah­ren, steht auch kein Bus mehr im Stau.
      Also Bit­te die Stau­ur­sa­che wei­ter­hin bei den Ver­ur­sa­chen suchen. Autos, die nur von 1–2 Per­so­nen benutzt wer­den und in der 2. Rei­he parken

  3. Super, der Rad­weg in der Mül­lerstra­ße! Auch der in der Rei­ni­cken­dor­fer Str.
    Es soll­te eine Unter­schrif­ten­samm­lung zur Erhal­tung geben.
    Ich fah­re jetzt viel öfter mit dem Fahr­rad und die Bewe­gung tut mir gut.
    Auch kau­fe ich öfter bei den dor­ti­gen klei­nen Gemüse‑, Döner- und sons­ti­gen Läden ein, statt mit der sti­cki­gen U‑Bahn zu einem Super­markt zu fahren.

  4. 10 Jah­re War­te­zeit für einen siche­ren Rad­weg. In Ber­lin muss man Geduld haben! Bes­ser spät als nie.
    Dan­ke, Frau Dr. Neumann!

  5. Rad­fah­ren ist wohl für man­che nicht männ­lich genug oder mit zuv­we­nig Sta­tus ver­bun­den? Soll­ten wir unse­re Infra­struk­tur wirk­lich an die­sem Mind­set aus­rich­ten? Trau­rig, dass man die­sen klei­nen Rad­weg als abso­lu­te Errun­gen­schaft eines Kamp­fes der eine zwei­stel­li­ge Azahl an Jah­ren dau­er­te anse­hen muss. Aber ich bin froh dass es soweit ist. Fin­ger weg von die­sem Radweg!

    • „Rad­fah­ren ist wohl für man­che nicht männ­lich genug oder mit zuv­we­nig Sta­tus verbunden?“
      Das sind ja üble Vor­ur­tei­le, die hier ver­öf­fent­licht werden.

    • Hal­lo Neuschier

      also ganz ernst und bit­te nicht sau­er sein , aber wer beim Rad­fah­ren Todes­angst emp­fin­det, der soll­te lie­ber zu Fuss gehen

      Gruß

      • Hal­lo Rein­hard ‚du fährst wohl kein Fahrrad.….wer auf der Mül­lerstra­ße kei­ne Todes­angst hat­te war defi­ni­tiv Kan­di­dat für den Organspendetag…
        Gruß Alex

        • Ich erlei­de regel­mä­ßig Todes­ängs­te als Fuss­gän­ger auf dem Geh­weg, der immer noch – trotz Luxus­Fahr­rad­spur – von Fahr­rä­dern und vor allem Scoo­tern unsi­cher gemacht wird. Alter­na­ti­ve? Kampf­ra­deln. Oder noch bes­ser: Pan­zer- SUV – – –

          • Jeden­falls wer­den nach der poli­zei­li­chen Unfall­sta­tis­tik in Ber­lin jedes Jahr mehr Fuß­gän­ger *innen getö­tet als Fahr­rad­fah­ren­de. Ich kann mich in den letz­ten 10 Jah­ren nur an einen Unfall erin­nern dass, bei dem eine älte­re Fuß­gän­ge­rin von einem Fahr­rad­fah­ren­den getö­tet wurde.

        • Hal­lo Alex
          da muss ich dich lei­der ent­täu­schen ich bin jetzt 66 und fah­re immer noch bzw nur mit dem Rad weil ich noch nie ein Auto in mei­nem Leben hat­te …. nicht mal einen Füh­rer­schein und ja ich bin auch dort auf der Mül­ler gefah­ren im Fei­er­abend – Ver­kehr wo noch kei­ne Rad­we­ge waren und noch­mal wer so viel Angst beim Rad­fah­ren hat soll es las­sen . Mir jeden­falls macht es Spass und ich brau­che die­se gan­zen neu­en Rad­we­ge nicht !!!!
          son­ni­ge Grüße
          PS : hab noch alle mei­ne Organe :)))

  6. Der Rad­weg auf der Mül­lerstr. ist echt eine Errun­gen­schaft. Ges­tern sah ich aber, mit Erschre­cken, dass es eine Unter­schrif­ten­samm­lung gegen den Rad­weg gibt.
    Schlimms­ten­falls müs­sen die Pas­san­ten der Mül­lerstr nur ein paar Schrit­te mehr lau­fen, als bis­her, weil sie nicht mehr direkt vor dem Geschäft ihrer Wahl, in zwei­ter Spur par­ken kön­nen. So what?

    • Das ist das Schö­ne an der Demo­kra­tie – jede Inter­es­sen­grup­pe kann sich arti­ku­lie­ren und ver­su­chen, Mehr­hei­ten zu orga­ni­sie­ren. So what?

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