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Neuordnung der Erinnerungskultur im Wedding

18. Februar 2013
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Der Wed­ding benö­tigt drin­gend eine Über­ar­bei­tung sei­ner Geschichts- und Erin­ne­rungs­land­schaft. Ange­sichts der bis­her feh­len­den kri­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zung mit der regio­na­len Geschich­te soll­te eine sol­che Bear­bei­tung der Erin­ne­rungs­kul­tur von einer unab­hän­gi­gen Initia­ti­ve getra­gen sein.

Die Info-Stele am Beginn der OtawistraßeNach einer lan­gen Dis­kus­si­on wur­de im letz­ten Jahr im Afri­ka­ni­schen Vier­tel eine Info­s­te­le zur Erin­ne­rung an die kolo­nia­le Ver­gan­gen­heit ein­ge­weiht. Sicher ist eine Aus­ein­an­der­set­zung mit den dor­ti­gen Stra­ßen­na­men und die­sem Teil der deut­schen Geschich­te wich­tig. Ein Blick auf ande­re Stra­ßen und Plätz­te lässt aber ver­mu­ten, dass es der Poli­tik, den Ver­wal­tun­gen und wei­te­ren Betei­lig­ten nicht um eine qua­li­fi­zier­te Bear­bei­tung his­to­ri­scher Orte im Wed­ding geht. Denn nur weni­ge Blö­cke vom Afri­ka­ni­schen Vier­tel ent­fernt wur­de im sel­ben Jahr ein wei­te­res Denk­mal ein­ge­weiht. Dabei han­delt es sich um Sitz­ge­le­gen­hei­ten in Form von Beton­buch­sta­ben, die den meh­re­re hun­dert Meter lan­gen Schrift­zug “Leo­pold­platz” erge­ben. Bei der Pla­nung und Errich­tung eines der größ­ten Denk­ma­le im Wed­ding hat sich nie­mand ernst­haft damit befasst, an wen hier eigent­lich erin­nert wer­den soll. Denn Leo­pold von Sach­sen-Anhalt war der bedeu­tends­te Mili­ta­rist preu­ßisch-deut­scher Geschich­te. Dass die Stra­ßen um den Platz an die Schlach­ten des Spa­ni­schen Erb­fol­ge­krie­ges mit sei­nen 1,2 Mil­lio­nen Toten erin­nern, war in den Jah­ren der Empö­rung über die afri­ka­ni­schen Stra­ßen­na­men kein Thema.

Bei­rä­te, För­der­geld­neh­mer, regio­na­le Muse­en, Ein­rich­tun­gen von Jugend, Schu­le und demo­kra­ti­scher Bil­dung haben trotz ihres Auf­tra­ges anschei­nend kein wirk­li­ches Inter­es­se an einer brei­ten öffent­li­chen Beschäf­ti­gung mit allen Aspek­ten der regio­na­len Geschich­te. Das zeigt sich in die­sem Jahr beson­ders, in dem an die Zer­stö­rung der Viel­falt in Deutsch­land durch die Natio­nal­so­zia­lis­ten erin­nert wer­den soll. Kaum eine so geför­der­te Initia­ti­ve aus dem Wed­ding betei­ligt sich am ber­lin­wei­ten Jah­res­pro­gramm der „Zer­stör­ten Vielfalt“.

Auch das Grö­ße nun wirk­lich nicht zu über­se­hen­de Bei­spiel jüdi­schen Lebens und der Ver­trei­bung der Juden, die Gar­ten­stadt Atlan­tic in Gesund­brun­nen, fin­det in die­sem Jahr kaum öffent­li­che Beach­tung. Dabei ende­te das Unrecht, das der Fami­lie Wolff­sohn in der NS-Zeit ange­tan wur­de, nicht 1945, son­dern reicht bis in die heu­ti­ge Zeit. Der Visio­när Karl Wolff­sohn lies in den 1920er Jah­ren am Bahn­hof Gesund­brun­nen nicht nur eine Gar­ten­stadt errich­ten, son­dern auch gleich eines der inter­es­san­tes­ten Film­thea­ter von Ber­lin, die “Licht­burg“. Vor sei­ner Ver­trei­bung durch die Natio­nal­so­zia­lis­ten wan­del­te er sei­nen Besitz in eine Akti­en­ge­sell­schaft um. Die Antei­le ver­tei­le er unter Freun­den. Sein Plan war es, dass er sei­ne Gar­ten­stadt nach dem Ende der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Herr­schaft von die­sen Freun­den wie­der zurück­be­kommt. Nach dem Zwei­ten Welt­krieg erhielt die Fami­lie Wolff­sohn erst nach einer unschö­nen 12 jäh­ri­gen juris­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zung ihr Eigen­tum zurück. Bis auf das Gelän­de des ehe­ma­li­gen Kinos, das wei­ter unrecht­mä­ßig im Besitz des Lan­des Ber­lin blieb. Nach dem Abriss der legen­dä­ren Licht­burg wur­den dort vom West-Ber­li­ner Senat Sozi­al­woh­nun­gen errichtet.

Die Abwe­sen­heit einer kri­ti­schen Bear­bei­tung der Geschich­te wiegt im Wed­ding beson­ders schwer, da hier immer wie­der auf die regio­na­len Ereig­nis­se wie den „Roten Wed­ding“ Bezug genom­men wird. Bevor dem­nächst in wei­te­re För­der- und Ver­ga­be­ver­fah­ren Geld in Gedenk- oder Geschichts­pro­jek­te gesteckt wird, ist es sinn­voll, sich zunächst einen Über­blick über Denk­ma­le und his­to­ri­sche Orte im Wed­ding zu ver­schaf­fen. Die oben genann­ten Bei­spie­le las­sen ver­mu­ten, dass ein sol­cher Auf­trag von den bis­he­ri­gen bezirk­li­chen Kultur‑, Muse­ums- oder Bil­dungs­ein­rich­tun­gen sowie ande­ren Par­tei­stif­tun­gen oder sons­ti­gen bis­he­ri­gen För­der­geld­neh­mern sicher nur unzu­rei­chend aus­ge­führt wird.

Von daher soll­te eine Bestands­auf­nah­me der Wed­din­ger Geschichts­land­schaft sowie das Ent­wi­ckeln von Per­spek­ti­ven einer unab­hän­gi­gen Initia­ti­ve über­tra­gen wer­den, die aller­dings auch vor Ort ver­an­kert sein müsste.

Autor: Eber­hard Elfert

 

Joachim Faust

hat 2011 den Blog gegründet. Heute leitet er das Projekt Weddingweiser. Mag die Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen gleichermaßen.

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