Spießige Kleinbürger treffen in den vielen Kleingärten inzwischen auf Migranten, ökologisch orientierte Großstadtbewohnern und junge Familien, die ihren Kindern ein naturnahes Leben ermöglichen wollen. Kurz, die vielen Weddinger Gartenparzellen sind bunter und vielfältiger als früher. Doch gerade in unserem Stadtteil haben die Kleingärten eine bewegte Geschichte – mit kaum einem anderen städtischen Umfeld in Deutschland vergleichbar.
Der Wedding lag früher vor den Toren Berlins. Mit „Kolonisten“ wurde ab dem 18. Jahrhundert versucht, das zu Berlin gehörende Brachland urbar zu machen. 1778 wurden die ersten Kolonistenhäuser im Bereich des heutigen Weddingplatzes errichtet. Die Koloniestraße (Kolonie hinter dem Luisenbad) verdankt dieser Bewegung ihren Namen. In der Hausnummer 57 findet man noch ein Kolonistenhaus, das zugleich das älteste Haus des Wedding ist. Gärtner, Handwerker und Arbeiter siedelten sich ebenso an wie Bauern aus anderen Ländern wie Frankreich. Das Wort Kolonie wird heute im Zusammenhang mit dem Kolonialismus anders bewertet. Gerade im Afrikanischen Viertel, dessen Straßen und Kleingartnevereine oft im kolonialen Zusammenhang benannt wurden, führte das sogar zu einer Umbenennung der Dauerkolonie Togo in Dauerkleingartenverein Togo.
Ein besonderes Milieu
Je mehr Mietskasernen mit ihren prekären Wohnverhältnissen im Wedding entstanden, desto größer war das Bedürfnis nach Erholung, eigenem Nahrungsmittelanbau und auch Wohnraum in den Parzellen. Ein bestimmtes proletarisches Milieu bildete sich nicht nur rund um die Industriebetriebe wie AEG, Schwarzkopff, Schering oder Bergmann heraus, sondern eben auch in den Laubenkolonien. Gesellige Feste gehörten dort genauso zur Tagesordnung wie politische Diskussionen. Außerdem sind Eisenbahnergärten entlang der Bahnstrecken der Nordbahn und der Ringbahn typisch.
Das Milieu der Kleingärtner bildete sich schon früh heraus: So gab es viele Anhänger des Kommunismus in den Kolonien. Doch identifizierten sich viele Kleingärtner stärker mit ihrem Verein als mit der Kommunistischen Partei, was bei manchen auf Missfallen stieß – sie wurden spöttisch „Laubenkommunisten“ genannt. Im Nationalsozialismus gab es mit Hilfe der Stadtteilgruppe des Kleingärtner-Reichsbundes ständige Bespitzelung und Denunziation kommunistischer Kleingärtner. Auch jüdische Grundeigentümer von Kleingartenkolonien wurden enteignet. Als NS-Vorzeigekolonie galt bald die mustergültig angelegte Kolonie Rehberge, deren Vorsitzender bereits vor 1933 NSDAP-Mitglied war. Im Krieg nahm die Bedeutung der Kleingärten als Nahrungsquelle und Unterbringungsmöglichkeit von Ausgebombten, aber auch von Verfolgten des Regimes zu.
Kleingärten waren schon immer bedroht
Um sich vor dem Zugriff auf das Gelände durch Grundstücksbesitzer, Spekulanten, aber auch die Stadt zu schützen, gründeten viele Laubenkolonien Vereine. Doch nur wenige Kleingärten waren wirklich vor der Umwandlung in Bauland geschützt. So wurden immer wieder Kleingärten für Wohnungsbauprojekte geopfert, das bekannteste Beispiel aus der Nachkriegszeit ist die Siedlung Schillerhöhe, für die die gleichnamige Kolonie weggebaggert wurde. Kleingartenvereine wie die Kolonie Rehberge und die Kolonie Togo, die den Status als Dauerkleingarten erhielten, wurden bei ihrer Anlage standardisiert und entsprechen den Vorgaben des Kleingartengesetzes. Eine besondere Situation besteht bei der Kolonie Sandkrug zwischen Bornholmer, Jülicher und Behmstraße am Gesundbrunnen: Deren Gelände ist nicht in Landesbesitz, sondern gehört den Nutzern selbst.
Typisch für die im Ortsteil Wedding gelegenen Kleingärten ist die hohe Anzahl der Parzellen, wie über 475 in der Kolonie Rehberge und 190 im Quartier Napoléon. Im Ortsteil Gesundbrunnen sind die Kolonien kleinteiliger. Die Statistik zeigt eine Abnahme der Kleingartenflächen von mehr als 3000 Hektar vor dem Krieg bis auf 2000 Hektar Mitte der 1980er Jahre. Daran hat sich seither kaum etwas geändert.
Negativ-Image ist verschwunden
Und galten die Kleingärten bis vor wenigen Jahren noch als spießig und voll mit kleingeistigen Menschen, so ist ein deutlicher Aufwärtstrend zu beobachten. Gerade im Wedding wartet man laut Recherchen des rbb am längsten auf einen Platz! Was für ein Gegensatz zu früher. Doch wer keinen Kleingarten abbekommen hat, kann sich an vielen Gartenprojekten beteiligen oder erfreuen, die es in vielen Kiezen gibt.
Schon viele Jahre lang gibt es da den Mauergarten, das Himmelbeet und die Wilde17. Neu ist das Projekt ElisaBeet, das auf einer aufgegebenen Friedhofsfläche gestartet wurde. Und auch Baumscheiben können erblühen!