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Für neue Bilder vom Alter(n):
Länger leben? Nicht nur das!

3. April 2023

Nicht nur län­ger leben wir, son­dern auch län­ger gesün­der. Die Lebens­er­war­tung hat sich enorm gestei­gert. Es lässt sich fest­stel­len, dass täg­lich etwa 5 Stun­den gewon­nen wer­den. Und die Lebens­er­war­tung der im Jahr 2000 Gebo­re­nen beträgt heu­te 92,4 Lebens­jah­re für Frau­en und 88,0 für Män­ner. Eine der am stärks­ten wach­sen­den Bevöl­ke­rungs­grup­pen sind die 80-Jährigen.

Schlicht und ergrei­fend rollt da eine Wel­le an neu­en Lebens­for­men und sozia­len Optio­nen und Chan­cen auf uns zu, die genutzt und gestal­tet wer­den müs­sen, denn es betrifft alle.

Aber was hat das nun mit uns im Wed­ding und Gesund­brun­nen zu tun?

Das Altern schützt vor dem Leben nicht. Man kann das Altern nur vor Ort leben, gestal­ten und ver­bes­sern. Das ist die star­ke Ein­sicht aus den ein­fachs­ten Not­wen­dig­kei­ten – über­all. Die Men­schen heu­te, erfolgs­ver­wöhnt, lan­ge Jah­re enga­giert oder in Fami­li­en und sozia­le Netz­wer­ke ein­ge­bun­den, möch­ten ihre Lebens­sti­le fort­set­zen und gera­de erst nach der Beren­tung neu auf­neh­men und kultivieren.

Es ist mitt­ler­wei­le schon fast ein ste­hen­der Begriff, dass die tra­di­tio­nel­len Ste­reo­ty­pe zum Altern ver­al­tet sind. Auch die Ansprü­che an das Leben, das gelebt sein möch­te und gestal­tet sein muss, sind gestie­gen, denn mehr Gesund­heit und Beweg­lich­keit for­dern heraus. 

Die (gegen­sei­ti­gen) Wahr-Neh­mun­gen sind ein­ge­schränkt. Allei­ne das Benen­nen einer Alters­gren­ze, ab wann ein Mensch als alt gilt, sind in der öffent­li­chen Wahr­neh­mung weit gestreut: Jugend­li­che sehen 61-Jäh­ri­ge als alt, dage­gen Älte­re selbst set­zen die­se Gren­ze bei 69 Lebens­jah­ren an. Vie­le die­ser Ein­schät­zun­gen sind einem dif­fu­sen Unwis­sen über das Leben im Alter geschul­det bzw. der man­geln­den Lebens­kom­pe­tenz in einer Zeit der stark ver­klei­ner­ten Anzahl von Fami­li­en jen­seits der Zwei-Generationen-Familien.

Auch in der Coro­na­zeit wur­de den Senior*innen ein schüt­zens­wer­ter Son­der­sta­tus zuge­spro­chen, der sich leicht mit dem über­kom­me­nen Kli­schee des Abson­ders ver­ein­ba­ren ließ. Bis man pro­tes­tier­te von Sei­ten der Senior*innenvertretungen!

Wie sehr Alters­bil­der das Befin­den und den Mut zum akti­ven Leben neh­men kön­nen, ergibt sich dar­aus, dass sol­che Bil­der vom Altern kol­lek­tiv erzeugt wer­den und sich in das Über­zeugt­sein aller ein­gra­ben. Vie­le der tra­di­tio­nel­len Vor­stel­lun­gen vom Alter(n) hän­gen mit der Zuschrei­bung von Defi­zi­ten zusam­men. Ent­mu­ti­gung und Ver­ste­cken kön­nen die Fol­ge sein, was bei alten Men­schen fatal ist, wenn sie zudem auf Hil­fe ange­wie­sen sind, um ihre Vor­ha­ben zu realisieren.

Ageism nennt man die Dis­kri­mi­nie­rung nach Alter, ob bei Kin­dern oder Senior*innen und dies kann beinhal­ten, dass man Inak­ti­vi­tät, man­geln­de Krea­ti­vi­tät oder Kon­ser­va­ti­vis­mus pau­schal einem ein­zel­nen Men­schen zuordnet.

Wann aber bekom­men wir Erlö­sung von den Rol­len­zu­wei­sun­gen, die noch 1950 gegol­ten haben, als vie­le Rentner*innen im Durch­schnitt kei­ne wei­te­ren fünf Jah­re nach dem Ein­tritt in den Ren­ten­be­zug mit 65 durch/nach Pfle­ge, Ein­sam­keit, Bett­läg­rig­keit und Gebrech­lich­keit (über-)lebten? Wann machen die Tra­di­tio­nen den neu­en Bil­dern Platz? Was, wenn im Alter neue und damit wirk­lich zeit­ge­mä­ße Lebens­ent­schei­dun­gen getrof­fen sein müs­sen, weil die alten Zusam­men­hän­ge hin­fäl­lig wurden?

Da ist ein gro­ßer Kon­sens in unse­rer Gesell­schaft über Teil­ha­be an den gesell­schaft­li­chen Akti­vi­tä­ten und Abstim­mun­gen, eben­so wie zu Gesund­heits­vor­sor­ge, sport­li­che Fit­ness und Well­ness. Und die noch grö­ße­ren Begrif­fe wie Leben­dig­keit, Kul­tur­teil­ha­be, Auto­no­mie und Selbst­be­stimmt­heit gehö­ren für vie­le zur ein­hel­li­gen Grund­auf­fas­sung zum Altern in Würde.

Wann also sehen wir die von den Baby-Boo­mern, die Jahr­gän­ge ab Mit­te der 1950er bis 1969, bereits vor­ge­leb­ten Lebens­for­men und neu­en Lebens­fel­der in unse­rer Rea­li­tät? Wann sind sie prä­gend für unse­re aus­ge­tausch­ten Bil­der? Frei­heit­li­che Bil­der vom Genie­ßen, Wün­schen und von der Gemeinschaftlichkeit?

Eines muss man sich vor Augen füh­ren, näm­lich, dass die Alten, je län­ger sie leben, umso mehr von Schick­sals­schlä­gen betrof­fen sind, ob Part­ner­ver­lus­te oder Gebrech­lich­kei­ten, es müs­sen auch bei Hoch­alt­rig­keit noch neue Freund­schaf­ten und Beschäf­ti­gun­gen mög­lich sein.

Eben­so die lokal­po­li­ti­sche Teil­ha­be ist gefragt, denn – hof­fent­lich kein böses Kli­schee über die Jugend und die Mit­tel­al­ten – die Jün­ge­ren erken­nen das Altern, die Ren­ten­tü­cken und die Vor­be­rei­tun­gen auf ein eigen­stän­di­ges Leben außer­halb der Zwän­ge des Erwerbs­le­bens oft zu spät oder gar nicht, so dass auch hier Selbst­hil­fe der Alten gefor­dert ist. Wer, wenn nicht sie sel­ber könn­ten ein Macht­wort spre­chen? Und sie sol­len es auch tun. Und wir alle wer­den die age-fri­end­ly-cities benö­ti­gen neben einer ver­all­ge­mei­ner­ten Grund­ver­sor­gung in den Kom­mu­nen mit Was­ser­brun­nen, Plau­der­bän­ken und Schat­ten­ecken.

Dazu soll­te noch­mals der 7. Alten­be­richt (2016) her­an­ge­zo­gen wer­den, denn die­ser ver­weist auf die hohe Zustän­dig­keit der Kom­mu­nen und das Zur­ver­fü­gung­stel­len von Rah­men­be­din­gun­gen für die Senior*innen und deren sozia­ler Zusam­men­hal­te. Der Staat und allen vor­an die Kom­mu­nen, so wird dort emp­foh­len, muss Infra­struk­tur anbie­ten. Und je frü­her man gute Struk­tu­ren schafft, die die Kom­mu­ni­ka­ti­ons­be­dar­fe der Alten ermög­li­chen und sichern, umso bes­ser. Das Abwin­ken mit den Wor­ten, das rege­le sich schon, geht ganz und gar fehl.

Wir Ber­li­ner kön­nen uns dazu zwar kaum beschwe­ren, kön­nen wir uns doch täg­lich ganz­tags amü­sie­ren, aber schaut man genau­er hin, so sind ledig­lich sechs weit ver­streu­te Begeg­nungs­stät­ten in Wed­ding und Gesund­brun­nen vor­han­den (Grün­ta­ler Stra­ße, Haus Bot­trop, Begeg­nungs­stät­te im Kiez, AWO Frei­zeit­stät­te Schil­ler­park, Ota­wi­treff, Spr­en­gel­haus). Wo also rea­li­siert man sei­ne sozia­len Bedar­fe, die im Alter Leben und Gesund­heit ret­ten kön­nen und durch­aus auch geschützt sein soll­ten? Wo also lernt man die­je­ni­gen ken­nen, mit denen man sein Leben in Viel­falt und Frei­heit tei­len möchte?

Etwa zwei Drit­tel der Men­schen zwi­schen 65 und 84 lebt mit dem Part­ner (stei­gen­der Anteil, 2021) und – gegen­gleich – etwa 40 Pro­zent der Älte­ren ist allein­le­bend (sin­ken­der Anteil, 2021), was auch Resul­ta­te der stei­gen­den Lang­le­big­keit sind.

Vie­le der Alten in Deutsch­land sind über­durch­schnitt­lich fami­li­en­ori­en­tiert, das ist die häu­figs­te Anga­be zu ihren Wer­ten; aber selbst an letz­ter Posi­ti­on wird noch über­durch­schnitt­lich oft von den Älte­ren im Ver­gleich zum Durch­schnitt die „akti­ve Teil­ha­be am poli­ti­schen Leben“ genannt!

Wo zeigt sich dies bun­te Leben der heu­ti­gen Alten?

Im Nor­den von Mit­te, bei uns vor Ort, ist es beson­ders die kul­tu­rel­le Viel­falt, die uns vor Augen führt, was das Leben alles anbie­tet, bricht und wei­ter­ent­wi­ckelt. Die Kieze und Stadt­tei­le, die sehr unter­schied­lich struk­tu­riert sein kön­nen, sind oft auch Schwer­punk­te für Pfle­ge­be­dürf­tig­keit (im Wed­ding 11 %; LISA II), weit ver­brei­te­te Alters­ar­mut oder einer gewis­sen hei­mi­schen Kul­tur- und Bil­dungs­fer­ne, die sich auch in täg­li­chem TV-Kon­sum nie­der­schlägt, was über 80% der reprä­sen­ta­tiv Befrag­ten tun. 

Wie ergeht es den Alten nun im „grü­nen Wed­ding“, in einem Stadt­teil, der Teil eines Bezirks der Super­la­ti­ven und der trans­for­ma­ti­ven Lebens­for­men ist? Und wo sind die aktu­el­len Fotos und die Bil­der dazu? 

Es gibt einen Foto­wett­be­werb, der am 21. Mai Ein­sen­de­schluss hat und vom BAGSO initi­iert wurde.

Viel­fALT - Foto­wett­be­werb zum Leben im Alter

Zu die­sen vier Kate­go­rien kön­nen Fotos ein­ge­reicht wer­den.
•    Das bin ich. Indi­vi­du­ell im Alter.
•    Mit­ten­drin. Aktiv und enga­giert bis ins hohe Alter.
•    Licht und Schat­ten. Her­aus­for­de­run­gen im Alter.
•    Gemein­sam geht was. Jung und Alt im Austausch.

Die Preis­ver­lei­hung fin­det im Sep­tem­ber durch die Bun­des­mi­nis­te­rin Lisa Paus statt.

https://www.programm-altersbilder.de/
https://www.neunter-altersbericht.de/

Man kann gemein­sam Bild­ideen kon­zi­pie­ren, man kann gemein­sam einen Kalen­der foto­gra­fie­ren, man kann sich gegen­sei­tig fotografieren!

Mit­ma­chen ver­bin­det und ver­grö­ßert die Chan­ce auf eine erwei­ter­te Per­spek­ti­ve auf das errun­ge­ne zusätz­li­che Leben mit Lebens­freu­de und Respekt. 

Text © Rena­te Straetling

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Links

Die Stu­die LISA II vom Febru­ar 2021 zur Befra­gung der älte­ren Bürger*innen im Bezirk Mitte

https://www.berlin.de/ba-mitte/aktuelles/pressemitteilungen/2021/pressemitteilung.1049291.php

Aktu­el­le Lese­tipps zum Altern

WOMAN Mai 2023 “Nach vorn schau­en, nicht zurück”, S. 17 ff

Das aktu­el­le Heft “brand eins” vom März 2023: Neue Lebensplanung

https://kiosk.brandeins.de/products/brand-eins-03–2023

Renate Straetling

Ich lebe seit dem Jahr 2007 in Berlin-Wedding, genauer gesagt im Brüsseler Kiez - und ich bin begeistert davon. Wir haben es bunt ohne Überspanntheit.
Jg. 1955, aufgewachsen in Hessen. Seit dem Jahr 1973 zum Studium an der FU Berlin bin ich in dieser damals noch grauen und zerschossenen Stadt. Mittlerweile: Sozialforschung, Projekte. Seit 2011 auch Selfpublisherin bei www.epubli.de mit etwa 55 Titeln. Ich verfasse Anthologien, Haiku, Lesegschichten, Kindersachbücher und neuerdings einen ökologisch orientierten Jugend-SciFi (für Kids 11+) "2236 - ein road trip in einer etwas entfernteren Zukunft" (Verlagshaus Schlosser, 28.11.22).-
Ich habe noch viel vor!
www.renatestraetling.wordpress.com

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