Wir lieben unseren Wedding, aber auch wir wissen: Wedding, du kannst so dermaßen hässlich sein! Und es sind manchmal deine Nachkriegsbauwerke aus Beton, die uns ästhetisch herausfordern. Ob es nun Zweckbauten mit einer Fassade aus Waschbeton oder brutalistische Wände aus Sichtbeton sind – den einen gefallen diese Beispiele moderner Architektur, den anderen jagen sie eher einen Schauder über den Rücken. Wir nehmen euch mit auf eine Reise durch den Wedding, beginnend mit Betonbauten im Nordwesten am Volkspark Rehberge, über die Müllerstraße und die Panke bis hin zum Brunnenviertel in Gesundbrunnen.
Zwischen 1957 und 2018 entstanden
(1) Die 1974 – 76 nach Plänen von Architekt Hasso Windeck gebaute Möwenseeschule an der Afrikanischen Str./Petersallee ist ein Stahlbetonskelettbau. 1977 wurde das Kinderzentrum (Modellschule für Ganztagsbetrieb mit zwei Kindergärten und einer Bibliothek) eröffnet. Stark: Die poppige Farbigkeit mit grün angestrichenem Beton und gelben Fensterbändern ist noch immer erlebbar.
(2) Das Haus Grashof der damaligen Technischen Fachhochschule (TFH, jetzt Berliner Hochschule für Technik BHT) entstand von 1968 bis 1973 als Erweiterung zum Haus Beuth. Mit seinen 12 Stockwerken ist es eine echte Landmarke im Wedding. Im Erdgeschoss befindet sich der größte Hörsaal (Ingeborg-Meising-Saal). Außerdem sind in den unteren Geschossen Labore untergebracht. Stark: Gnadenlos wird hier der Baustoff Beton eingesetzt. Nur die blauen Fensterbänder bringen einen Farbtupfer.
(3) Der 1966 fertiggestellte Erweiterungsbau des Rathauses Wedding wurde vom bekannten Architekten Fritz Bornemann entworfen. Es handelt sich um ein Ensemble aus einem 12-Geschosser und einem aufgeständerten Sitzungssaal. Typisch war der Kontrast aus zwei unterschiedlichen Arten von Waschbeton. Die hellen Platten mit großen Marmorkieseln markierten die Geschosse, dazwischen Streifen mit Fenstern und dunklen Waschbetonplatten. Die brüchige Fassade konnte bei der Sanierung nicht erhalten werden, die Farbigkeit ist aber immer noch erlebbar. In der 2013 nebenan errichteten Schiller-Bibliothek gibt es übrigens ein Treppenhaus aus Sichtbeton. Stark: Klare Kante, scharfe Kontraste, dennoch klassisch-modern – ein Gebäude, das zum Wedding passt.
(4) Auch die Dankeskirche auf dem Weddingplatz wurde wie der Rathausbau von Fritz Bornemann entworfen und 1970–72 neben dem Schering-Werksgelände gebaut. 1975 gesellte sich noch das 15-stöckige Verwaltungshochhaus des Pharmakonzerns (heute Bayer AG) hinzu. Der Sakralbau der Dankeskirche auf vieleckigem Grundriss ist ein Stahlbeton-Skelettbau, dessen Außenwände aus Sichtbeton sind. Stark: Die Kirche passt konsequent zum vielleicht lieblosesten Platz des Wedding, der als städtebaulicher Tiefpunkt des Stadtteils dem Besucher keine Illusionen macht.
(5) Das Erika-Heß-Eisstadion wurde in den Jahren 1965 bis 1967 von Odwin (Od) Arnold errichtet. 1983⁄84 baute man eine Überdachung der offenen Eislauffläche, wodurch es zu einer Mehrzweckhalle wurde, die für vielerlei Veranstaltungen genutzt werden konnte. Es wurde nach einer 1986 verstorbenen Weddinger Bezirksbürgermeisterin benannt. Stark: Hier stehen Sport und Spaß im Vordergrund. Das Gebäude erfüllt seinen Zweck – und darauf kommt es schließlich an.
(6) Die sechs Meter hohe Betonhalle des Silent Green ist eine unterirdische 1600 m² große Fläche. Zwischen 1993 und 1996 wurde das Weddinger Krematorium um einen unterirdischen Neubau ergänzt, der bis zur Schließung des Areals Ende 2002 nur sechs Jahre in Betrieb war. Erhalten geblieben ist die große Betonhalle, die heute für kulturelle Veranstaltungen genutzt werden kann, u.a. befindet sich dort auch ein Studiokino. Stark: So eine große stützenlose Fläche unter der Erde gibt es nirgendwo sonst im Wedding.
(7) Eckgebäude von Rotaprint. 1957–1959 wurden die Erweiterungsbauten Gottschedstr. 6/Bornemannstr. 9–10 nach Plänen von Klaus Kirsten errichtet. Die massiven Stahlbetonbauten blieben aus Kostengründen unverputzt und man erkennt noch die Betonverschalung. Heute gehört das Gebäude zum Ensemble von ExRotaprint. Stark: Trotz der Schlichtheit sind die Gebäude aus dieser Zeit auf dem Fabrikgelände Ausdruck eines hohen architektonischen Anspruchs.
(8) Zwischen der Panke und der Pankstraße, zwischen Wiesen- und Schönstedtstraße befindet sich die 1972⁄73 nach Plänen von Claus Schultz errichtete Albert-Gutzmann-Schule. Stark: Mit den leuchtend roten Fensterbändern passt das langgezogene Gebäude gut zum Stadtteil, in dem es liegt.
(9) Das 2018 nach dem Entwurf von Brandlhuber + Emde, Burlon und Muck Petzet errichtete Terrassenhaus LOBE-Block am höher gelegenen Teil der Böttgerstraße ermöglicht eine Mischnutzung aus Arbeiten und Wohnen auf einer Gewerbefläche. Die Wände und Treppen sind aus Beton, die Geländer aus Stahlprofilen, die Fassaden mit raumhohen Glasflächen versehen. Von den fünf Etagen springen die unteren Geschosse an der Straßenseite zurück. Auf der Hofseite hat jedes Obergeschoss eine sechs Meter tiefe Terrasse. Stark: Die Terrassen werden gemeinsam genutzt und bieten viel Raum für eine interessante Nutzung.
(10) 1974 begann der Abriss des Hertha-Stadions am Gesundbrunnen, das allen Berlinern als “Plumpe” ein Begriff war. Die traditionsreiche Spielstätte an der Behmstraße war zuvor zur Entschuldung des Vereins an eine Wohnungsbaugesellschaft verkauft worden. Ein “Hochhausgebirge” mit 440 Wohnungen wurde auf dem Gelände errichtet. Stark: Auf einer kleinen Wiese vor den Häusern Behmstraße 38–42 stehen vier Bronzefiguren auf Sockeln, die an die fußballerische Vergangenheit des Ortes erinnern.
(11) Wie ein Raumschiff wirkt das ehemalige Ranke-/Diesterweg-Gymnasium zwischen Putbusser und Swinemünder Straße. Das Schulgebäude wurde von dem Architekturbüro Pysall, Jensen und Stahrenberg & Partner entworfen und bis 1976 erbaut. Das in knalligem Orange gehaltene Gebäude mit dunkelgrün akzentuierten Details ist ein typisches Beispiel der Nachkriegsmoderne. Seit 2011 hat das Gebäude keinen Schulbetrieb mehr, es wurde zuletzt noch als Bibliothek genutzt und steht seit Jahren leer. Stark: Kein anderes Gebäude im Wedding steht so sehr für die Fortschrittsgläubigkeit der 70er-Jahre, umso erstaunlicher, dass es immer weiter vor sich hin verfällt.
Danke für den Überblick und die fairen Beschreibungen. Ist für die Diesterweg-Schule jetzt nicht wieder eine Nutzung als Schule beschlossen worden? Dringend in die Liste aufgenommen werden muss natürlich auch der Karstadt am Leo.
Super, sehr schöne Auswahl, tolle Fotos. Die Dankeskirche war mir bislang völlig unbekannt.
Man übersieht sie ja auch leicht 🙂