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Fachtag im Wedding zu Autismus in der Schule:
Pausengewusel und Zwischentöne: Wenn alles zu viel ist

29. November 2023
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Immer wie­der geht es in der öffent­li­chen Dis­kus­si­on um die (feh­len­de) Infra­struk­tur für gute Bil­dung: um Schul­plät­ze, um Lehr­kräf­te, um gan­ze Schul­ge­bäu­de. Im Com­pu­ter­be­reich wür­de man von Hard­ware spre­chen. Doch auch die Soft­ware ist wich­tig. Um eher wei­che, inhalt­li­che Bedin­gun­gen im Bezirk ging es kürz­lich bei einem Fach­tag in der Wil­ly-Brandt-Schu­le in der Grün­ta­ler Stra­ße. Unter dem etwas büro­kra­tisch klin­gen­den Titel „Unter­stüt­zung von Kin­dern und Jugend­li­chen im Autis­mus­spek­trum am Ort Schu­le“ ging es um Inklu­si­on in der Schule.

Juliane Succow bei ihrem Vortrag "Autismus - eine vielfältige Herausforderung". Foto: Hensel
Julia­ne Suc­cow bei ihrem Vor­trag “Autis­mus – eine viel­fäl­ti­ge Her­aus­for­de­rung”. Foto: Hensel

Inklu­si­on ist ein wei­tes Feld. In jeder Klas­se ler­nen heut­zu­ta­ge Kin­der mit beson­de­ren Bedürf­nis­sen, mit För­der­be­darf oder mit Behin­de­run­gen. Von Mathe­schwä­che über man­geln­de Deutsch­kennt­nis­se oder Auf­merk­sam­keits­de­fi­zit, von kör­per­li­chen Beein­träch­ti­gun­gen bis hin zu Ver­hal­tens­auf­fäl­lig­kei­ten sind Leh­re­rin­nen und Leh­rer mit vie­len ver­schie­de­nen Her­aus­for­de­run­gen gleich­zei­tig kon­fron­tiert. Auch autis­ti­sche Kin­der sind heut­zu­ta­ge in jeder Schu­le und es wer­den ste­tig mehr. Im Bezirk Mit­te wer­den aktu­ell knapp 100 Schü­le­rin­nen und Schü­ler mit die­sem För­der­be­darf inklu­siv in den Grund- und Ober­schu­len und etwa 50 in Klein­klas­sen in För­der­zen­tren unter­rich­tet. War­um ihre Zahl ste­tig steigt, erklär­te Julia­ne Suc­cow vom Autis­mus­The­ara­pie­Zen­trum in ihrem Ein­füh­rungs­vor­trag zum The­ma Autis­mus. „Medi­zi­ner und Kin­der- und Jugend­psych­ia­ter, die vor 1994 stu­diert haben, hat­ten das nicht in ihrer Aus­bil­dung“, sag­te Julia­ne Suc­cow. Erst danach wur­de ver­mit­telt, wie man eine Autis­mus­spek­trums­tö­rung fest­stellt und beur­teilt. Mit der zuneh­men­den Kennt­nis über Autis­mus wür­den auch mehr Dia­gno­sen gestellt.

Julia­ne Suc­cow gab den Anwe­sen­den einen gro­ben Über­blick, was eine Autis­mus­spek­trums­tö­rung ist. Es han­delt sich um eine tief­grei­fen­de Ent­wick­lungs­stö­rung, die im Kin­des­al­ter beginnt. Autis­mus ist eine Behin­de­rung und nicht heil­bar. Das Pro­blem für Dia­gnos­tik und Umgang in der Schu­le fass­te die Red­ne­rin in einem Satz zusam­men: „Autis­mus ist so ver­schie­den!“ Es gibt Autis­ten, die kaum spre­chen kön­nen, intel­li­genz­ge­min­dert sind, aggres­si­ve und zurück­ge­zo­ge­ne Autis­ten und jene, die gera­de durch beson­de­re Intel­li­genz und Spe­zi­al­in­ter­es­sen auf­fal­len. Allen ist gemein­sam, dass ihr Sozi­al­ver­hal­ten auf­fäl­lig ist. Einen der Grün­de für das abwei­chen­de Ver­hal­ten erklär­te Julia­ne Suc­cow mit einer Beson­der­heit in der Wahr­neh­mung: „Neu­ro­ty­pi­sche (nor­ma­le) Men­schen neh­men fünf bis zehn Pro­zent der Rei­ze wahr, die sie umge­ben. Autis­ten neh­men 30 bis 50 Pro­zent der Rei­ze wahr. Die Reiz­fil­te­rung funk­tio­niert anders.“ Die vie­len Rei­ze führ­ten unter ande­rem zu einer Über­las­tung des Gehirns und zu auf­fäl­li­gem Verhalten.

Ein Saal mit Lehrerinnen und Lehrern aus Mitte - beim Fachtag Autismus in der Willy-Brandt-Schule. Foto: Hensel
Leh­re­rin­nen und Leh­rern aus Mit­te beim Fach­tag Autis­mus in der Wil­ly-Brandt-Schu­le. Foto: Hensel

Mit die­sem auf­fäl­li­gen Ver­hal­ten sind vie­le der anwe­sen­den Lehr­kräf­te bereits kon­fron­tiert gewe­sen. Das zeig­te sich in der Fra­ge­run­de und in den Pau­sen­ge­sprä­chen. In elf Work­shops konn­ten sich die Päd­ago­gin­nen und Päd­ago­gen dazu mit Fach­leu­ten aus­tau­schen und erfah­ren, wel­che päd­ago­gi­schen Hil­fen im Umgang mit die­sen beson­de­ren Schü­le­rin­nen und Schü­ler hilf­reich sind: Rou­ti­nen, Rück­zugs­mög­lich­kei­ten, Ver­ein­ba­run­gen, eine reiz­ar­me Umge­bung, Ja- statt Nein-Regeln. Auch eine kla­re Spra­che und unein­deu­ti­ge Aus­ga­ben­stel­lun­gen sei­en wich­tig, denn vie­le autis­ti­sche Men­schen ver­ste­hen kei­ne Iro­nie, kei­ne Zwi­schen­tö­ne. Dabei wur­de oft betont, dass vie­le der Hil­fen für Kin­der im Autis­mus­spek­trum auch allen ande­ren Kin­dern in der Klas­se hel­fen, bes­ser zu ler­nen. In wei­te­ren Work­shops ging es um The­men wie den Nach­teils­aus­gleich, um Schul­as­sis­tenz oder um Empower­ment für Eltern. Am Ende des Fach­tags stell­ten sich auf einem Markt­platz ver­schie­de­ne mit dem The­ma Autis­mus befass­te Initia­ti­ven, Ver­ei­ne und Selbst­hil­fe­grup­pen mit ihren Ange­bo­ten vor.

Das Inter­es­se an dem Wei­ter­bil­dungs­tag am 20. Novem­ber war groß. Schul­lei­te­rin Andrea Fran­ke, die die Hard­ware (die Räu­me) für den Fach­tag zur Ver­fü­gung gestellt hat­te, begrüß­te mehr als 200 Leh­re­rin­nen und Leh­rer aus ganz Mit­te in der voll besetz­ten Aula ihrer Schu­le. Auch die Wed­din­ger Schu­len waren ver­tre­ten, die Namens­schil­der zeig­ten, dass jede Schu­le meh­re­re Ver­tre­te­rin­nen und Ver­tre­ter geschickt hat­te. Der Fach­tag wur­de unter Feder­füh­rung des Schul­psy­cho­lo­gi­schen und Inklu­si­ons­päd­ago­gi­schen Bera­tungs- und Unter­stüt­zungs­zen­trums (SIBUZ) Mit­te orga­ni­siert. Wei­te­re Ver­an­stal­tun­gen zum The­ma Inklu­si­on autis­ti­scher Kin­der, so wur­de bei der Begrü­ßung mit­ge­teilt, sol­len fol­gen, wenn auch viel­leicht in klei­ne­rem Rahmen.

Dominique Hensel

Dominique Hensel lebt und schreibt im Wedding. Jeden zweiten Sonntag gibt sie hier den Newsüberblick für den Stadtteil. Die gelernte Journalistin schreibt für den Blog gern aktuelle Texte - am liebsten zu den Themen Stadtgärten, Kultur, Nachbarschaft und Soziales. Hyperlokal hat Dominique es auf jeden Fall am liebsten und beim Weddingweiser ist sie fast schon immer.

2 Comments

  1. Wo sind die Unter­su­chun­gen und Stu­di­en inwie­weit die 6‑Fachimpfungen für Kin­der die­se hier bespro­che­nen “beson­de­ren Bedürf­nis­sen”, mit “För­der­be­darf” oder mit “Behin­de­run­gen” hervorrufen.
    Es gibt sie nicht. Gäbe es Stu­di­en könn­te die­se Tagung entfallen.

    • Man geht heu­te davon aus, dass Ver­er­bung bei Autis­mus eine Rol­le spielt. Das kann fast jede betrof­fe­ne Fami­lie, die ich ken­ne (und ich ken­ne eini­ge), leicht bestä­ti­gen. Denn meist gibt ist bei nähe­rer Betrach­tung schon der Onkel betrof­fen gewe­sen oder der Opa. Und unab­hän­gig von den Ursa­chen macht das ja auch kei­nen Unter­schied: Heu­te und jetzt gibt es Autis­ten, die auch beschult wer­den müs­sen. Inso­fern ist ein Aus­tausch über den Umgang mit ihnen wich­tig. Unab­hän­gig von dem Grund, war­um Autis­ten Autis­ten sind. Damit kön­nen sich Medi­zi­ner beschäf­ti­gen, hier geht es um Leh­re­rin­nen und Lehrer.

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