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Eine Markthalle im Wedding:
Als Weddinger noch in die Müllerhalle bummeln gingen

Erinnerungen an eine andere Zeit, als Einkaufen und Genuss noch Hand in Hand gingen
15. Dezember 2023
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Nur MäcGeiz und Mc Paper sind noch übrig. Alles andere, was an die alte Markthalle mit über 30 Ständen erinnert, hat die Zeiten nicht überdauert. Wer achtlos an dem vor zehn Jahren eröffneten, mit glänzenden grauen Buchstaben „Müllerhalle“ beschrifteten anthrazitfarbenen Gebäude vorbeigeht, ahnt nichts von der Geschichte des Ortes. Doch weil man so lange lebt, wie sich Leute an einen erinnern, haben wir einmal zusammengetragen, wofür die Müllerhalle einst stand. Was im Gedächtnis geblieben ist, sind die vielen kulinarischen Eindrücke. Und weil viele ältere Weddinger Essen und Trinken aus ihrer Kindheit mit dem schmucklosen Markthallengebäude verbinden, ist der Name Müllerhalle für sie positiv besetzt.

Die Erinnerung, die viele unserer Leser:innen teilen, ist ein "Bummel" mit den Eltern oder Großeltern. Die lebendige Halle mit ihren vielen Gerüchen und Leckereien hat sich unauslöschbar ins Gedächtnis eingebrannt. Ob es der Stand mit den frischen Brezeln am Eingang oder der Stand mit Butter, Käse, Quark und Milch war: „Wenn es draußen kalt war, hat mir meine Mutter dort immer heißen Kakao in der Glasflasche gekauft“, erinnert sich Doris. „Außerdem gab es am Seitengang einen ganz kleinen Stand und da bekam ich ein Wiener Würstchen, das war an einem Ende mit Papier umwickelt, weil es heiß war.“ Angelika hingegen bekam als Kind an einem Stand immer eine Suppe umsonst. Aber auch Schulsachen gab es in der Halle: „Meine Schulhefte und Bücher wurden am großen Papierwarenstand eingeschlagen“, erinnert sich die gebürtige Berlinerin. Zu ihren Erinnerung gehört auch der Fotograf, bei dem sie als kleines Kind unbedingt mit ihrem Spielzeugpudel fotografiert werden wollte.

Für Cornelia war die Markthalle war in den 70ern „die“ Einkaufsmeile: „Mit meiner Mama ging es in unzähligen Runden zu Fisch-Weber, der ganz oft einen Haifisch als Deko hatte, zu Butter Lindner, zum Eiermann, der auch gleichzeitig Softeis verkaufte, beim Fleischer hat man auch noch Suppenknochen, Rinderherz, Rückenfett und Liesen bekommen, was die richtigen Hausfrauen damals halt noch zu verarbeiten wussten. Am Spielwarenstand ging das wöchentliche Taschengeld für Schlümpfe drauf, ein Stand zum Groschenheftchen tauschen und kaufen war gleich nebenan. Ganz früher gab es auch noch ein richtiges Schuhgeschäft, da holten die Verkäuferinnen noch schachtelweise Schuhe aus dem Lager und man saß auf einem Höckerchen, die Verkäuferin davor und man schlüpfte, assistiert von ihrem glänzenden silbernen Schuhlöffel, in zig Paar Laufschuhe.“

Die langen Wiener mit Ketchup am Imbissstand gehörten für die meisten Kinder ebenfalls dazu, und auch der erste Döner wurde von einem netten älteren Herren gleich vorne am Eingang serviert. Blumen kaufte man bei Polz. Dort hat unser Leser Hartmut Florist gelernt. Ob er der Verkäufer war, in den unsere Leserin Cornelia damals verliebt war?

Fotos vom Abriss und Neubau: Sabine Gembries

Zeitsprung ins Jahr 2023. Wo sich einst die Müllerhalle befand, steht ein dunkles, eckiges Gebäude mit einem riesigen Parkdeck und drei Läden an der Müllerstraße. Schlemmen kann man dort höchstens noch im türkischen Imbiss. Im ersten Stock hingegen breitet sich eine große, aber in keinster Weise besondere Kaufland-Filiale aus. Die möchte man im Kiez sicher nicht missen, aber Atmosphäre? Vielfalt? Austausch? Fehlanzeige.

An der Stelle der alten Müllerhalle ist heute ein Kaufland mit kleiner Ladengalerie

Zurück in die Glanzzeit der Müllerhalle, als sogar Damen in Pelzmänteln dort ganz selbstverständlich neben den AEG- oder Schering-Arbeiterinnen einkauften. Unsere Leserin Hannelore erinnert sich, früher oft Wurst bei der „Dicken“ gemampft zu haben. "Da konnte man alles lose kaufen und es gab einen Butterberg, wo man dann mit der Holzkelle die Butter, je nachdem wie viel, aufs Butterbrotpapier klatschte. Es war immer schön, es gab viel zu sehen."

Essen, Trinken, Trudeln

Für Mario hieß es jeden Freitag nach Feierabend ab in die Halle zu Mazzola "zum Trudeln", wie er es nannte: "Es waren immer die gleichen da, Drucker Klaus, der Professor, Eberhard mit Frau, der Maurer aus Bayern, Rohrleger Ricky und einige mehr. Zwischendurch gab es Austern oder von gegenüber vom Pizzastand von Luziano leckere Pizza. War immer was los in der kleinen gemütlichen Sitzecke von Giuseppe und Maria."

Foto Mitte: Hans-Joachim Miserre

So eine richtig alte Markthalle wie die Arminiushalle in Moabit war die Müllerhalle jedoch nicht. Vor 1950 befand sich dort nur ein Hundefriedhof. Das Gebäude selbst hatte eher den nüchternen "Charme" der Nachkriegszeit. Blaue Buchstaben auf weißem Grund und ein roter Pfeil, der als Leuchtschrift auf den Eingang der engen Halle zeigte: darin verbargen sich Kneipen, sehr viel Zigarettenrauch und unzählige Verlockungen.

Dennoch hat man Kinder, ohne dass sich Erwachsene Sorgen machten, nach der Schule in die Müllerhalle gehen lassen. Eine Currywurst oder ein Brötchen mit Ketchup war nach der Schule immer drin. „Nahm man den Eingang vom Parkplatz aus, war gleich rechts eine Art Kiosk, der neben Zeitschriften und Tabak auch Spielzeug hatte. Da habe ich viel von meinem Taschengeld in Schlümpfe investiert!“, erinnert sich eine Leserin. „Als ich klein war, so vor über 40 Jahren, haben meine Eltern da gerne beim Steh-Italiener Espresso getrunken, ich habe Kleingeld in den Pistazienautomaten gesteckt“, schreibt Stefan. „Ich wollte immer zu den Fischen, die schwammen da in großen Glaskisten.“

Überhaupt, der Fischladen. Muhammet schreibt: „Wenn ich heute Müllerhalle sage oder daran denke, dann rieche ich diesen Fisch, gemischt mit Zigarettenrauch, noch heute gedanklich.“ Der Fischladen hat übrigens gemeinsam mit dem Tierbedarf den Abriss der Müllerhalle überlebt und noch für ein paar Jahre ein paar Ecken weiter als Moni's Fischkajüte existiert. Doch ansonsten ließ sich der Niedergang ab den 1990er Jahren nicht mehr leugnen. An die Stelle der vielen Stände kamen Supermärkte, und die Gastronomie verschwand ebenso wie die Fachgeschäfte. Zuletzt gab es nur noch MäcGeiz, einen Penny-Markt und eine drospa-Drogerie. Einen schönen Anblick hatte die Müllerhalle sicher nur zu ihren besten Zeiten geboten, doch ohne den Trubel und die vielen Stände war sie nur ein hässlicher Zweckbau. 2012 wurde sie abgerissen.

Ein Ort zum Bummeln fehlt

Eine Schönheit war sie zuletzt nicht, und einladend wirkte nichts mehr an ihr. Was wir an der Müllerhalle hatten, haben wir wohl so richtig erst aus der Rückschau verstanden. Denn eine Markthalle mit vielen alten und jungen Menschen, die kaufen und verkaufen, mit einer Produktvielfalt und Frische, die eben nicht jeder Discounter bietet, wo man sich trifft, austauscht oder einfach nur klönt: Einen solchen Ort zum "Bummeln" könnte der Wedding auch heute noch gut gebrauchen.

Joachim Faust

hat 2011 den Blog gegründet. Heute leitet er das Projekt Weddingweiser. Mag die Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen gleichermaßen.

6 Comments

  1. Ich habe in der Müllerhalle gearbeitet, bei der Firma Papenbrock. Da habe ich Wurstwaren verkauft, das war Mitte 80 und Anfang 90. Ich habe viele Liebesromane, gleich am Anfang, der Halle getauscht. Schade das die Halle nicht mehr existiert.

  2. Ich habe früher mit meinen Freunden Einkriegezeck in der Markthalle gespielt und auch ab und zu die obligatorische lange Wiener mit Ketchup gegessen , das war so gegen 1970 – 72 !!!
    Sonntags wenn zu war haben wir auf dem Parkplatz Fußball gespielt. Wenn irgendwas gefehlt hat zu Hause , dann kahm Mutter ‚ n an und sagte komm flitze mal schnell zur Markthalle und hole etwas ein , es gab alles dort.!!!

  3. Noch ein anderer Laden hatte den Abriss der Halle überlebt: Der Kartoffelladen, der dann in der Cornelius-Fredericks-Straße weitergemacht hat. Sei ein paar Monaten ist er nun auch geschlossen.

  4. Erst mit meiner Großmutter, dann mit meinen Eltern und später, als ich einen eigenen Haushalt hatte, war die Müllerhalle mein Einkaufsparadies. Das beste Obst und Gemüse bei Hübner, tolle Fleisch- und Wurstwaren bei Braumann, immer mit einem netten Plausch verbunden und frischen Fisch bei Weber und später bei Moni, frische Eier und und Geflügel, was wollte man mehr ! Nicht zu vergessen das eine oder andere Feierabendbier und die legendären Weihnachtsfeiern bei Giuseppe, Maria, Rosa und Natalie. Die Müllerhalle war nicht ein seelenloser Einkaufstempel, sondern ein Ort der Kommunikation. Leider hatten aber wohl auch die Kunden einen großen Anteil am Niedergang der Halle, die nicht bereit waren, für gute Waren gutes Geld zu bezahlen und lieber in die umliegenden Supermärkte ausgewichen sind.Schade drum !!

  5. ... Und ein Parkhaus ist draus geworden, während sich im oberen Stockwerk die Leute mit den großen Einkaufswagen drängeln... Autos verdrängen Menschen.

    Wie schön es in einer alten Markthalle sein kann, erlebe ich immer mal wieder in Kreuzberg. Als ich mal in Kreuzberg SO36 gearbeitet habe, sind wir dort regelmäßig zum günstigen Mittagessen hin. Oder auch in Paris, wenn ich da viel zu selten bin: In Paris gibt es noch in vielen Stadtteilen eine alte Markthalle mit bezahlbaren frischen Leckereien und sooo viel Atmosphäre.

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