Nach der letzten Wahl hat die Zählgemeinschaft aus Bündnis 90/Die Grünen und SPD im Bezirk Mitte ein ambitioniertes Programm vorgestellt: In dieser Legislaturperiode sollte die Anzahl der Pkw-Parkplätze um 25 Prozent sinken, die Parkraumbewirtschaftung in fast ganz Mitte eingeführt und Kreuzungen sicherer gemacht werden. Was wurde davon in Angriff genommen? Wir ziehen eine Zwischenbilanz.
Parkraum kostet Gebühren
Am 1. Dezember 2021 ging es im Brunnenviertel los. Im Kiez wohnende Autobesitzer:innen erhielten Infoschreiben, Parkscheinautomaten wurden aufgestellt und Mitarbeitende des Ordnungsamts schwärmten im Kiez aus. Die Parkraumbewirtschaftung erreichte zuerst den Südrand des Ortsteils Gesundbrunnen, wo viele Autos von Pendler:innen abgestellt waren, solange die Nutzung des öffentlichen Raums noch nichts kostete. Die Anwohnenden hatten zuvor oft das Nachsehen und mussten lange nach Parkplätzen suchen. Das änderte sich mit dem Start der Parkraumbewirtschaftung. Seither können Anwohner:innen mit einer Anwohnervignette für 20,40 Euro zwei Jahre lang parken. Autofahrer:innen ohne Anwohnerplakette zahlen 2 Euro pro Stunde. Seit Mitte Dezember ist die Parkraumbewirtschaftung auch im nördlichen Wedding, im Afrikanischen und Englischen Viertel, angekommen. Und am Ende verdient der Bezirk damit auch Geld: Wie der Tagesspiegel vermeldet, hat Mitte im Jahr 2021 7,5 Mio. Euro an Verwarnungs- und Bußgeldern sowie 18,9 Mio. Euro über Parkscheine eingenommen. Nur 11 Mio. Euro wurden für Personal- und Sachkosten aufgewendet.
2008 habe ich immer einen Parkplatz direkt vor meiner Haustür im Brunnenviertel bekommen. Zuletzt bin ich regelmäßig im Kiez gekreist auf der Suche nach einem Parkplatz, der dann immer weiter weg war. Jetzt bekomme ich wieder einen Platz vor meiner Tür.
Dominique Hensel, Weddingweiser-Autorin
Besonders für Beschäftigte im Schichtdienst, die nahe der Parkzone arbeiten und bislang an Tagesrandzeiten mit dem Auto zur Arbeit fuhren, kann das aber zum Problem werden, wie sich schnell im Kiez rund um das Virchow-Klinikum zeigte. Nichtsdestotrotz: In etwas mehr als zwölf Monaten wurde die Parkraumbewirtschaftung auf fast den ganzen Wedding ausgeweitet. Nur die nördlichsten Gebiete an der Schillerhöhe und rund um die Friedrich-Ebert-Siedlung bleiben ausgenommen.
Also obwohl wir direkt am Gesundbrunnencenter wohnen, wirkt die Bewirtschaftung. Die Fußwege, Feuerwehrzufahrt u.v.m. sind weniger zugeparkt und auch sonst ist deutlich mehr Platz. Nur für Gäste der Anwohner*innen würde ich mir eine vergleichsweise günstige Lösung wünschen.
Facebook-Gruppenmitglied Evam
Parklets und sichere Kreuzungen
Dass nicht alle Autobesitzer:innen erleben, dass der Parkdruck spürbar gesunken ist, liegt auch daran, dass einzelne Parkflächen weggefallen sind. Zwölf vom Senat geförderte Parklets tauchten an den Straßenrändern auf. Parklets sind aus Holz gebaute und mit möglichst viel Grün ausgestattete Stadtmöbel, die anstelle von geparkten Autos auf Flächen des ruhenden Verkehrs errichtet werden. An vielen Kreuzungen wurden mit Hilfe von Fahrradbügeln gesicherte Fußgängerquerungen errichtet und mit Pollern abgesichert, wodurch weitere Parkplätze für Autos wegfallen, dafür aber neue Fahrradabstellplätze entstanden sind.
Ich arbeite im Brunnenviertel, bin also überall dort unterwegs, und wo es immer noch schwer ist, was zum Parken zu finden, ist die Schwedenstraße. Ansonsten ist es so, dass mit Einführung einer Parkzone über Nacht Parkplätze da sind.
Facebook-Gruppenmitglied Matthias
Wie viele Menschen betrifft das eigentlich? In Berlin-Mitte ist die Anzahl der angemeldeten Autos als einzigem Bezirk in Berlin im letzten Jahr gesunken. Nur noch 19 Prozent der Mitte-Bewohner:innen hatten 2020 ein eigenes Kraftfahrzeug, also eine klare Minderheit. In ganz Berlin haben 2018 nur 26 Prozent der Einwohner:innen ein Auto für ihre Wege benutzt, wohingegen immer noch die meisten Wege zu Fuß oder mit dem Nahverkehr zurückgelegt werden. Trotzdem nehmen befahrbare Straßen 48 Quadratkilometer der Berliner Fläche ein – gegenüber 4,7 Quadratkilometer für den Radverkehr (2017).
Fahrradstraßen
Es erscheint also gerecht, die Nutzung des öffentlichen Raums für das Auto, das zudem nur von einer Minderheit genutzt wird, um einen kleinen Teil zurückzunehmen. Auch bei der Schaffung von Fahrradstraßen, bei denen es nur Anlieger:innen gestattet ist, die Straße mit dem Auto zu befahren, ist seit dem vergangenen Jahr viel passiert. Waren bei der Kameruner und der Antwerpener Straße als ersten Fahrradstraßen im Wedding kaum Verbesserungen für Radfahrende spürbar, ist die Einführung von Fahrradstraßen an der Triftstraße/Gerichtstraße und an der Lynarstraße von der Umwandlung von Parkflächen für mehr Abstellanlagen für Fahrräder begleitet. An der Triftstraße verschwinden motorisierte Zweiräder von den Gehwegen und bekommen eigene Abstellflächen. Außerdem wurden für Autos gegenläufige Einbahnstraßen eingerichtet, sodass es weniger Durchgangsverkehr gibt.
Absolut dumme und nicht durchdachte Lösung. Also soll der ganze Verkehr über die Willdenowstraße führen, vorbei an einer Grundschule! Wer jetzt aus der Willdenowstraße in die Müllerstraße will, muss besonders umständlich fahren.
Facebook-Fan Ari über die Fahrradstraße an der Triftstraße
Fahrradstreifen
Doch auch an anderen Stellen müssen Autos Federn lassen. In Straßen, in denen es drei Spuren gibt, sind in diesem Jahr breite Radspuren entstanden, die auch Überholmöglichkeiten beispielsweise von Lastenrädern bieten. In der Müllerstraße zwischen Leo und Bahnhof Wedding und auf der Amrumer Straße wurde so verfahren. Dabei dient auf letzterer Straße eine Spur als Parkfläche. Für die Autofahrer:innen und den Busverkehr verengen sich diese Straßen auf nur einen Fahrstreifen. Die breiten Radspuren können auch von Rettungsfahrzeugen am Stau vorbei genutzt werden. Gerade die neuen Radwege, die nicht mehr zu Lasten des Fußverkehrs, sondern des motorisierten Verkehrs gehen, machen den Mentalitätswechsel hin zu einer neuen Flächenverteilung sichtbar und führen häufig zu emotionalen Diskussionen.
Schon irgendwie paradox: Da bin ich angehalten, mein Auto möglichst stehen zu lassen und den ÖPNV zu benutzen und dann baut man gleichzeitig Parkplätze ab, auf denen ich mein Auto stehen lassen könnte, um auf U/S‑Bahn bzw. Tram und Bus umzusteigen.
Facebook-Gruppenmitglied Philipp
Kiezblocks und Durchfahrtsperren
Besonders augenfällig ist die Verkehrswende an der Bellermannstraße: Mit zwei Pollerreihen wurde dort die Durchfahrt für Kraftfahrzeuge versperrt. Auch an der Klever-/Eulerstraße gibt es Sperren. Nur Rettungsfahrzeuge und Einsatzkräfte können die Poller mit entsprechenden Schlüssel umklappen. Mit dieser Maßnahme wird der Durchgangsverkehr aus dem Kiezblock, so der Name dieses Konzepts für Wohngebiete, herausgehalten. Für Autofahrende verlängern sich aber tendenziell die Wege. Weitere Kieze wie der Brüsseler Kiez sollen 2023 folgen. Und denjenigen, die das Auto nicht unbedingt brauchen, wird ein Angebot gemacht, einmal über die Verkehrsmittelwahl nachzudenken. Denn für Autos ist in Zukunft einfach weniger Platz.
Ich werde das Auto zugunsten des Fahrrads und des ÖPNV abschaffen, weil das Fahren an sich einfach zu stressig geworden ist. Autobahnfahren ist eine Katastrophe geworden und in der Stadt sind auch einfach zu viele Autos. Ich habe den ÖPNV (trotz einiger Vorbehalte) in der Zeit des 9‑Euro-Tickets nochmal neu schätzen gelernt.
Dominique Hensel, Weddingweiser-Autorin
Ich kann Ari und Phillip nur zustimmen. Durch die Umleitung in die Wildenowstraße werden die Schüler nicht geschützt, sondern alle Autos fahren direkt an der Schule vorbei. Auch Reinhardt hat teilweise recht. Die vielen langen Staus auf den größeren Straßen verursachen noch mehr Abgasemmissionen als ein Fließverkehr. Ich habe mich auch oft über die Autos geärgert, die durch den Kiez fahren, aber zumindest fahren sie. An der nächsten größeren Straße stehen sie im Stau und pusten ihre Abgase massiv auch in die Wohngegenden. Das ist kontraproduktiv und verbessert die Situation nicht. Auch die Anwohner müssen für die Parkraumbewirtschaftung zahlen, für die es nur noch wenige Parlplätze gibt. Das ist Meiner Meinung nach nicht die richtige Verkehrspolitik
Die Autos passieren jetzt nicht nur den Eingangsbereich der Grundschule, sondern werden zudem auch noch zwei Kitas vorbeigeleitet (Willdenow- Kreuzung Burgsdorfstrasse + Burgdorfstrasse).
Übrigens hat sich seit dem der Durchgangsverkehr in der westlichen Sparrstrasse, die vorher schon ausgewiesene Spielstrasse war, vervierfacht.
Grüne Klientelpolitik at its best. Aber wir dürfen im Februar ja noch mal wählen.…
Ich freue mich so sehr über den Radweg auf der Müllerstraße! Es war über so viele Jahre eine unmögliche Situation, dort mit dem Rad unterwegs zu sein…
die ständigen Nötigungen von Auto- und Motorradfahrer:innen, wenn man einfach normal in der rechten Spur gefahren ist, anstatt sich der Gefahr unachtsam geöffneter Türen der Parkreihe auszusetzen…
kaum geeignete Alternativen auf der Strecke…
Eine Freundin wurde auch von einem Bus beim Rechtsabbiegen umgemäht (zum Glück glimpflich für sie ausgegangen).
Es war einfach richtig scheiße.
Ich bin froh, als Verkehrsteilnehmer:in auf dem Fahrrad endlich auch im Wedding ernst genommen zu werden. Ich wurde richtig neidisch, wenn ich in Kreuzberg und Friedrichshain unterwegs war und gesehen habe, was da für Radinfrastruktur geschaffen wurde!
Warum so eine negative Überschrift aus Autosicht? Es könnte stattdessen auch heißen: Für Rad- und Fußverkehr gibt es mehr Platz
Möchte an der Stelle korregieren: Die Fahrradbügel stehen hauptsächlich dort, wo eh im Kreuzungsbereich niemand Parken dürfte.
Das die „VIP“-Parkplätze wegfallen, als Parkplatzverlust zu zählen, finde ich falsch.
Durch die steigende Anzahl an Autos werden die Hauptstraßen immer voller und viele weichen auf Schleichwege durch die Kieze aus. Daher hoffe ich auf viele Kiezblocks in den nächsten Jahren.
In der Triftstr halten sich derzeit viele Autofahrer noch nicht an die kurzen Einbahnstraßen, ich hoffe dass die Polizei dies nach der endgültigen Fertigstellung auch kontrolliert.
Hallo Max
richtig die Straßen werden immer voller… und sie werden noch voller wenn die Kieze mit Kiezblöcken zugebaut sind
Dadurch wird weder das Klima gerettet – weil sich das Klima nicht retten lässt und der Mensch es auch nicht retten kann – und die Luft verbessert sich in der Stadt verbessert auch nicht , weil die Kieze von den Hauptstraßen eingeschlossen sind und je nachdem aus welcher Richtung der Wind pfeift ist der Feinstaub eben drin im Kiez
Herr im Himmel wann begreifen es die Menschen endlich… aber bald wird alles her im Artikel besprochenes nebensächliche erscheinen , wenn die Heizung kalt bleibt und die Stromabschaltungen kommen …
in diesem Sinne dennoch ein ruhiges Weihnachten
Hallo, ja schlimm ist nur das die wenigsten Anwohner keine Vignette erhalten haben, ich warte seit fünf Wochen.