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Prime Time Theater feiert Geburtstag:
20 Jahre Theater mit viel Herz

17. Januar 2024

Wohl jeder und jede aus unse­rer Leser­schaft dürf­te schon ein­mal von Post­bo­te Kal­le per­sön­lich am Thea­ter­ein­gang per Hand­schlag begrüßt wor­den sein. Die­ses Ritu­al hat sich der Grün­der des Prime Time Thea­ters sogar nach 20 Jah­ren noch bewahrt. Egal wie man zu die­sem ori­gi­nel­len Volks­thea­ter steht, eines ist sicher: Die Leis­tung der Thea­ter­grün­der und Ensem­ble­mit­glie­der für den Wed­ding kann man gar nicht hoch genug einschätzen. 

Thea­ter­grün­der Kal­le… äh… Oli­ver Tau­to­rat. Foto: Inka Thaysen

Wenn man 2004, so wie ich, im Sol­di­ner Kiez wohn­te, kam man an einem beleuch­te­ten Laden­lo­kal mit einem joh­len­den Publi­kum in der Frei­en­wal­der Stra­ße 30 nicht vor­bei. Damals stan­den vie­le Gewer­be­ein­hei­ten und Woh­nun­gen leer. Der größ­te Ver­mie­ter, die Dege­wo, lock­te Stu­die­ren­de mit nied­ri­gen Mie­ten an, damit die Lich­ter in den Häu­sern nicht ganz aus­gin­gen. Und in die Laden­lo­ka­le sie­del­te sie gezielt Künstler:innen an – die Kolo­nie Wed­ding geht auch auf die­se Initia­ti­ve zurück. Und in die­sem klei­nen Laden­lo­kal fing eben 2004 auch das Pro­jekt Prime­Time-Thea­ter an. Das war nicht irgend­ein Off-Thea­ter, son­dern etwas fun­da­men­tal Neu­es. Eine Sei­fen­oper, wie sie damals im Fern­se­hen auf­ge­kom­men waren, nur als Theaterstück. 

Als ich den Namen “Gutes Wed­ding, schlech­tes Wed­ding” (GWSW) unter Bezug auf die RTL-Soap GZSZ zum ers­ten Mal hör­te, sorg­te das bei mir für ein Schmun­zeln. Denn wenn der Wed­ding in den Augen der meis­ten Ber­li­ner etwas war, dann war es “schlecht”. Doch die Titel­me­lo­die des Stücks schmet­ter­te selbst­be­wusst: “Mit­te is Schit­te, Prenz­l­berg is Pet­ting, Real Sex is Only Wed­ding”. Das klang damals uner­hört. Und mit die­sem Mut und dem Spaß am Durch-den-Kakao-Zie­hen von Ste­reo­ty­pen präg­te das Thea­ter den Sound zu dem Stadt­teil, der zuneh­mend als Alter­na­ti­ve zu den gen­tri­fi­zier­ten In-Bezir­ken ent­deckt wur­de. Plötz­lich ver­brach­ten Leu­te den Abend im Wed­ding, nur um sich ein­mal könig­lich zu amü­sie­ren. Wann hat­te es das vor­her gegeben?

Genia­ler Neben­ef­fekt der unend­li­chen GWSW-Geschich­te: Die Prime-Time-Thea­ter-süch­ti­gen Zuschauer:innen kom­men immer wie­der, um den Fort­gang der Hand­lung mit­zu­ver­fol­gen – inzwi­schen in 130 Fol­gen. Nichts­des­to­trotz kann auch ein Neu­ling in jeder Fol­ge mit ein­stei­gen – all­zu viel Tief­gang muss Publi­kum nicht erwar­ten, eher vie­le Lacher. Ein Team­mit­glied des Wed­ding­wei­sers wohn­te damals in dem Haus und kann sich noch dar­an erin­nern, wie klein die Erfolgs­ge­schich­te ange­fan­gen hat – nur 35 Leu­te pass­ten in das Laden­lo­kal. Doch was die bei­den Schau­spie­ler Con­stan­ze Beh­rends und Oli­ver Tau­to­rat, damals ein Paar, im Wed­ding begon­nen haben, traf den Nerv der Zeit. Drei Mal zog das Thea­ter im Kiez um und wur­de immer grö­ßer und pro­fes­sio­nel­ler, bis es an der Ecke Burg­s­dorf­stra­ße und Mül­lerstra­ße sein end­gül­ti­ges Domi­zil gefun­den hat­te. Aus der Zwei-Per­so­nen-Show wur­de ein rich­ti­ges Ensem­ble und neben der Soap GWSW hat sich das Thea­ter auf die Adap­ti­on von bekann­ten Stof­fen aus dem Wed­ding-Uni­ver­sum spe­zia­li­siert. Zwar ist Con­stan­ze Beh­rends nicht mehr von der Par­tie, aber dem Erfolg des Kon­zepts tat das kei­nen Abbruch.

Von Anfang an dabei: Oli­ver Tau­to­rat und sein Alter Ego Kal­le. Foto: Inka Thaysen

Was das Theater geleistet hat

Für mich hat das Prime Time Thea­ter in 20 Jah­ren vor allem zwei gro­ße Leis­tun­gen voll­bracht: Zum einen hat es Leu­te ins Thea­ter gebracht, die sonst mit den Bret­tern, die die Welt bedeu­ten, nichts anfan­gen kön­nen. Dem Humor, den schrä­gen Figu­ren und der direk­ten Ver­bin­dung, die es so nur bei Live-Büh­nen gibt, kann man sich eben kaum entziehen.

Zum ande­ren haben Post­bo­te Kal­le & Co. viel für den Wed­ding getan. Das nega­ti­ve Image des Stadt­teils wur­de durch über­spitzt, aber lie­be­voll gezeich­ne­te Cha­rak­te­re ins Gegen­teil ver­kehrt. Men­schen, die wie manch ein Prenz­l­ber­ger auf den Wed­ding her­ab­se­hen, wer­den eben­falls mit viel Humor ein biss­chen ver­al­bert, ohne dass es gleich ins Gehäs­si­ge abglei­tet. Die Leis­tung des Thea­ter­en­sem­bles besteht dar­in, dass es den Ber­li­nern den Spie­gel vor­hält, sich über ihre Kiez-Kli­schees lus­tig macht und trotz­dem alle dar­über (und über sich selbst) lachen kön­nen. Und dar­an zeigt sich, dass den Wed­ding – neben sei­nen unbe­streit­ba­ren sozia­len Pro­ble­men, einer sehr diver­sen und bun­ten Stadt­ge­sell­schaft und manch­mal sehr frag­wür­di­gen mensch­li­chen Begeg­nun­gen – doch vor allem eines aus­zeich­net: Ganz viel Herz. Hap­py Birthday!

Pro­ben­fo­to aus der Jubi­lä­ums­fol­ge. Foto: Rapha­el Howein

Die Jubi­lä­ums­fol­ge “In einem Wed­ding vor unse­rer Zeit” (Teil 1) läuft am 19. Janu­ar an. 

Tickets und Ter­mi­ne unter primetimetheater.de

Joachim Faust

hat 2011 den Blog gegründet. Heute leitet er das Projekt Weddingweiser. Mag die Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen gleichermaßen.

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