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Die Anfänge der sozial-kulturellen Arbeit in der Fabrik Osloer Straße e.V.:
Jung, rigoros und gewillt, die Welt zu verbessern

7. Juli 2024

Seit kurzem hängt es wieder an der Vorderfront der Fabrik Osloer Straße e.V. – das „Berlin gegen Nazis“-Banner. Es zeigt damit deutlich sichtbar, wofür der Verein und das Gelände seit mehr als 42 Jahren stehen: Ein Ort im Wedding zu sein, der sich seit seinem Bestehen politisch positioniert gegen Ausgrenzungen und für eine respektvolle, vielfältige und demokratische Gesellschaft.

Aber wie hat sich die Arbeit in der Fabrik, wie wir sie heute kennen, eigentlich entwickelt?

Dazu haben Kolleginnen der Fabrik im letzten Jahr ein Interview-Projekt mit einigen der Gründerinnen und Gründer durchgeführt und sie genau danach befragt. Herausgekommen ist eine spannende Broschüre, die wir am 12. Juli ab 17 Uhr der interessierten Öffentlichkeit vorstellen möchten. Ab 16 Uhr geben einige der Interview-Partner:innen im Rahmen eines Erzählcafés Einblicke in die Anfangszeit des Geländes und des Vereins. Dazu möchten wir sehr herzlich einladen, vorbei zu kommen und mit uns zu feiern!

West-Berlin in den 70er und 80er Jahren

In den 70er und 80er Jahren war West-Berlin ein Schmelztiegel verschiedener politischer und sozialer linker Bewegungen. Die Stadt, eingeschlossen von der Berliner Mauer, war geprägt von einer einzigartigen politischen Atmosphäre. Die Geschichte der Fabrik ist tief verwurzelt in den besonderen Umständen jener Zeit und den dynamischen Veränderungen, die West-Berlin durchlebte. Die Teilung Deutschlands und die Isolation West-Berlins als Insel inmitten der DDR schufen eine einzigartige politische Situation. Die Stadt bot aufgrund von Sonderregelungen wie dem Berlinförderungsgesetz, das finanzielle Anreize für den Wohnungsbau und für Unternehmen bot, einen speziellen Kontext. Diese Maßnahmen sollten das Leben in der geteilten Stadt attraktiver machen und führten zu einer Reihe von urbanen und sozialen Experimenten.

Diashow mit Fotos aus der Anfangszeit der Fabrik Osloer Straße:

Ein bedeutender Faktor, der zur Entstehung der Fabrik Osloer Straße e.V. beitrug, war die 68er-Bewegung, die in einem als erstarrt empfundenen System politische und gesellschaftliche Veränderungen herbeiführen wollte. Verschiedene Gruppen zielten mit ihren unterschiedlichen Protesten, Aktionsformen und Konzepten auf mehr Teilhabe und (Bildungs-)Gerechtigkeit in einem demokratischen Sozialstaat. Dazu sollte auch Verwaltung von innen heraus verändert werden, beschrieben als sogenannter ´Marsch durch die Institutionen`. Eine andere Form war es, leerstehende und verfallende Gebäude zu besetzen, um auf den Mangel an bezahlbarem Wohnraum aufmerksam zu machen und alternative Lebens- und Arbeitsmodelle zu erproben. Die Hausbesetzungen waren eine direkte Reaktion auf die spekulativen Leerstände und die unzureichende Wohnraumpolitik der Stadt. Sie führten zu einem Klima des zivilen Ungehorsams und der Selbstorganisation.

Die Gründung der Fabrik Osloer Straße e.V.

In diesem Umfeld entstand die Fabrik Osloer Straße e.V. als Reaktion auf die Notwendigkeit, Raum für kreative und soziale Projekte zu schaffen. Die Fabrik, ein altes Industriegebäude, wurde von einer Gruppe engagierter Menschen im Laufe der Jahre in ein sozio-kulturelles Zentrum umgewandelt. Hier fanden zahlreiche Initiativen Platz, die von Jugendarbeit, politischer Bildung über Kunstprojekte bis hin zu sozialen Dienstleistungen reichen. Die Gründer:innen der Fabrik waren inspiriert von der Idee, dass Räume für Gemeinschaft und Kreativität notwendig sind, um soziale Veränderungen herbeizuführen. Zu Beginn ging es vor allem darum, Jugendlichen, die nicht zu Hause leben konnten, mit Unterstützung in betreuten Wohngemeinschaften auf dem Gelände ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Der 1982 gegründete Verein bot darüber hinaus Werkstätten, Veranstaltungsräume und Beratungsdienste an, die sich an die verschiedenen Bedürfnisse der Bewohner:innen des Weddings richteten. Zu Beginn gab es auf dem Gelände auch noch verschiedene Gewerbebetriebe, wie zum Beispiel eine Autowerkstatt. Auch ein Zirkus fand hier kurzzeitig sein Winterquartier.

Bedeutung des Engagements auf lokaler Ebene

Das Engagement auf lokaler Ebene, wie es in der Fabrik Osloer Straße e.V. praktiziert wurde und bis heute wird, spielt eine entscheidende Rolle in der Entwicklung und Stärkung von Demokratie. Orte wie die Fabrik Osloer Straße e.V. und viele weitere bieten Räume für Partizipation und Mitbestimmung. Hier können Bürger:innen aktiv an der Gestaltung ihres Umfelds teilhaben, Nachbar:innen kennen lernen sowie Beratung und Unterstützung finden.

Solche Projekte fördern das Verantwortungsbewusstsein und die Selbstwirksamkeit der Beteiligten. Sie schaffen Netzwerke des Vertrauens und der Solidarität, die weit über die lokalen Kontexte hinauswirken. Das Engagement in der Fabrik Osloer Straße e.V. zeigt, dass Demokratie nicht nur auf nationaler Ebene, sondern vor allem im direkten Umfeld der Menschen lebendig und erfahrbar wird. Die Initiativen vor Ort tragen dazu bei, gesellschaftliche Missstände sichtbar zu machen und Lösungen von unten zu entwickeln.

Nicht erst seit den Wahlergebnissen zum europäischen Parlament erleben wir ein Erstarken rechter, rassistischer und antisemitischer Einstellungen und Wahlergebnissen, die auf Ausgrenzung und Abschottung zielen. Dagegen setzen wir auf Teilhabe der Menschen in unserer Nachbarschaft sowie der vielen Initiativen, Vereine und Gruppen, mit denen wir zusammenarbeiten.

Die Veröffentlichung der Broschüre „Jung, rigoros und gewillt, die Welt zu verbessern – Der Ursprung sozialer und kultureller Arbeit in der Fabrik Osloer Straße. Acht Gründer:innen erinnern sich“ findet statt am Freitag, den 12. Juli . Ab 16 Uhr wird es ein Erzählcafé mit einigen der Gründer:innen der Fabrik geben, ab 17 Uhr feiern wir gemeinsam die Veröffentlichung der Broschüre. Für das Erzählcafé bitten wir um Anmeldung bis zum 9. Juli an [email protected].

Text: Bettina Pinzl, Demokratie in der Mitte

Gastautor

Als offene Plattform veröffentlichen wir gerne auch Texte, die Gastautorinnen und -autoren für uns verfasst haben.

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