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Vortragsreihe mit Fluchthelfer Burkhart Veigel:
Von den Wegen in die Freiheit

6. November 2023
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Wenn man nach einem lan­gen und beweg­ten Leben zurück­schaut, auf was wäre man dann wohl am meis­ten stolz? Für Burk­hart Veigel ist die Ant­wort klar: Er ist stolz dar­auf, unmit­tel­bar nach dem Bau der Ber­li­ner Mau­er als pro­fes­sio­nel­ler Flucht­hel­fer vie­len Men­schen den Weg in den Wes­ten, in die Frei­heit ermög­licht zu haben. Von sei­nen Flucht­we­gen durch die Mau­er berich­tet er nun in der neu­en Vor­trags­rei­he „Zeit­zeu­gen im Gespräch“ des Ber­li­ner Unter­wel­ten e.V., am Don­ners­tag (2.11.) fand der zwei­te Vor­trag statt.

Burkhart Veigel sprach beim Zeitzeugengespräch über sein Leben als Fluchthelfer. Foto: Hensel
Burk­hart Veigel sprach beim Zeit­zeu­gen­ge­spräch über sein Leben als Flucht­hel­fer. Foto: Hensel

Burk­hart Veigel war 23 Jah­re alt, als die Mau­er gebaut wur­de. Den Wehr­dienst hat­te er schon hin­ter sich, als er zum Medi­zin­stu­di­um nach West­ber­lin kam. Doch die Ereig­nis­se moti­vier­ten ihn nicht zum Stu­di­um. „Wir haben Tag und Nacht gear­bei­tet, für mich gab es nur noch die Flucht­hil­fe. Wir wuss­ten, das ist eine end­li­che Sache. Wir haben ver­sucht, so vie­le wie mög­lich zu holen“, erzähl­te der Zeit­zeu­ge dem Publi­kum in den Semi­nar­räu­men des Ber­li­ner Unter­wel­ten e.V. in der Brun­nen­stra­ße, die vom Wed­ding aus gese­hen unmit­tel­bar hin­ter der Mau­er lie­gen. Was sei­ne Moti­va­ti­on war, woll­ten die Zuhö­ren­den wis­sen. Sei­ne Ant­wort war sehr unmiss­ver­ständ­lich: „Für mich war die DDR ein sol­ches Unge­heu­er, ich konn­te ein­fach nicht anders. Für mich war die Frei­heit ein­fach so wich­tig, vor allem das freie Denken.“

Das Leben als Flucht­hel­fer, so war im Vor­trag zu erfah­ren, mach­te Burk­hart Veigel vor­sich­tig und vor allem krea­tiv. Immer wie­der ent­stan­den neue Wege durch die Mau­er. Sei es durch die Kana­li­sa­ti­on, durch Flucht­tun­nel, durch Pass­fäl­schun­gen oder durch wei­te­re Tricks. Mit vie­len Details beschrieb Veigel beim Vor­trag, wie der gefähr­li­che Weg nach West­ber­lin mög­lich gemacht wur­de. Stolz ist Veigel dabei natür­lich auf den Trick mit dem umge­bau­ten Cadil­lac. Stau­nend schau­ten die Zuhörer:innen die Fotos an, auf denen eine Per­son unter dem Arma­tu­ren­brett ver­steckt in die Frei­heit kam. 250 Men­schen konn­ten mit Hil­fe der umge­bau­ten Autos die DDR ver­las­sen, ehe der Trick ver­ra­ten wur­de. „Eine von den Tou­ren, auf die ich heu­te noch stolz bin, ist die Dop­pel­gän­ger­tour. Vor allem, weil sie nie auf­ge­flo­gen ist“, sagt Veigel. Der Flucht­hel­fer hat­te sich dabei einen kom­pli­zier­ten Trick mit einer dop­pel­ten Grenz­über­schrei­tung und einem Pass­wech­sel direkt an der Gren­ze aus­ge­dacht, den die Behör­den nie ver­stan­den haben und so nicht unter­bin­den konn­ten. „In einem hal­ben Jahr sind mit dem Trick vor allem mit Hil­fe von Stu­den­ten etwa 200 Men­schen in die Frei­heit gekom­men“, erzähl­te Veigel. Ins­ge­samt hat Burk­hart Veigel zwi­schen 1961 und 1970 etwa 800 Men­schen bei der Flucht geholfen.

Die Doppelgängertour auf einer Zeichnung dargestellt. Trotzdem ist es schwer zu verstehen, wie diese Art der Fluchthilfe funktioniert hat. Foto: Hensel
Die Dop­pel­gän­ger­tour auf einer Zeich­nung dar­ge­stellt. Trotz­dem ist der Trick schwer zu ver­ste­hen. Foto: Hensel

Eine Anek­do­te reih­te sich bei dem Vor­trag an die nächs­te, Fotos (vie­le aus der Gegend um die Ber­nau­er Stra­ße) und Zei­tungs­aus­schnit­te unter­stütz­ten das Gesag­te und der Vor­trags­abend ver­ging so wie im Flu­ge. Am Ende blieb noch Zeit für Fra­gen und für eine Unter­schrift in den bei­den zum Ver­kauf ange­bo­te­nen Büchern, die Burk­hart Veigel allein bezie­hungs­wei­se mit sei­ner Frau geschrie­ben hat. Schließ­lich ver­ab­schie­de­te der Zeit­zeu­ge ein beein­druck­tes Publi­kum, das spä­tes­tens auf dem Weg nach Hau­se wuss­te: Burk­hart Veigel kann zu recht stolz sein auf sei­ne Jah­re als Fluchthelfer.

Über Burkhart Veigel

Burk­hart Veigel wur­de 1938 in Thü­rin­gen gebo­ren, wuchs in Schwa­ben auf und ging zum Stu­di­um nach Ber­lin. Er sagt: „Hier bin ich Mensch gewor­den“. In West­ber­lin stu­dier­te er Medi­zin, Jura und Phi­lo­so­phie. Er wur­de Fach­arzt für Unfall­chir­ur­gie und Ortho­pä­die. Von 1961 bis 1970 war er einer der aktivs­ten und erfolg­reichs­ten Flucht­hel­fer. Nach 37 Jah­ren als nie­der­ge­las­se­ner Ortho­pä­de und Unfall­chir­urg in Stutt­gart kehr­te Veigel 2007 nach Ber­lin zurück, um über das The­ma Flucht und Flucht­hil­fe zu recher­chie­ren und zu schrei­ben. Dar­aus sind zwei Bücher ent­stan­den: „Wege durch die Mau­er – Flucht­hil­fe und Sta­si zwi­schen Ost und West“ und „FREI“, ein Roman über eine Ost-West-Lie­be, den er zusam­men mit sei­ner Frau, der Schrift­stel­le­rin Ros­wi­tha Quad­flieg, geschrie­ben hat. 2012 wur­de er mit dem Bun­des­ver­dienst­kreuz aus­ge­zeich­net. Mehr über Burk­hart Veigel steht auf der Web­sei­te www.fluchthilfe.de.

Ein Sachbuch, ein Roman: In beiden geht es um die Fluchthilfe direkt nach dem Mauerbau. Foto: Hensel
Ein Sach­buch, ein Roman: in bei­den geht es um die Flucht­hil­fe direkt nach dem Mau­er­bau. Foto: Hensel

Vortragsreihe und Zeitzeugen-Touren

Die Rei­he „Zeit­zeu­gen im Gespräch“ mit dem Flucht­hel­fer Burk­hart Veigel hat im Okto­ber zum ers­ten Mal statt­ge­fun­den. Die nächs­ten Ter­mi­ne sind am 7. Dezem­ber 2023, 18. Janu­ar 2024, 1. Febru­ar 2024 und 7. März 2024, jeweils um 19 Uhr. Die Ver­an­stal­tung fin­det in der Brun­nen­stra­ße 142 statt und dau­ert unge­fährt 1,5 Stun­den. Der Ein­tritt kos­tet 5 Euro. Tickets sind bei den Ber­li­ner Unter­wel­ten 30 Tage im Vor­aus erhält­lich: Tickets Zeit­zeu­gen­ge­spräch.

Etwa ein­mal im Monat hält Burk­hart Veigel zudem einen Vor­trag im Rah­men der „Tour M mit Zeit­zeu­gen“ des Ber­li­ner Unter­wel­ten e.V. – in die­sem Jahr gibt es am 2. Dezem­ber eine sol­che Tour. Wei­te­re Infor­ma­tio­nen dazu sowie Tickets gibt es im Ticket­shop der Ber­li­ner Unter­wel­ten.

Zum Weiterlesen

Mehr über die Arbeit des Ver­eins Ber­li­ner Unter­wel­ten steht in ver­schie­de­nen Bei­trä­gen auf dem Wed­ding­wei­ser, die über den Such­be­griff Ber­li­ner Unter­wel­ten zu fin­den sind.

Dominique Hensel

Dominique Hensel lebt und schreibt im Wedding. Jeden zweiten Sonntag gibt sie hier den Newsüberblick für den Stadtteil. Die gelernte Journalistin schreibt für den Blog gern aktuelle Texte - am liebsten zu den Themen Stadtgärten, Kultur, Nachbarschaft und Soziales. Hyperlokal hat Dominique es auf jeden Fall am liebsten und beim Weddingweiser ist sie fast schon immer.

2 Comments

    • Hal­lo Herr Veigel, schön, dass Ihnen der Text gefällt. Ich fin­de, dass ist eine loh­nens­wer­te Ver­an­stal­tung, die ich unse­ren Lese­rin­nen und Lesern gern emp­feh­le. Ob sich der Tages­spie­gel für das The­ma inter­es­siert? Das kann ich nicht ver­spre­chen. Vie­le Grüße!

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