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Vor 15 Jahren:
Zeitreise: Zur Erholung in die Kolonie

Kleingärten waren einmal ziemlich "out"
27. April 2021
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Der Wed­ding­wei­ser exis­tiert seit gut zehn Jah­ren. Wir haben aber auch schon vor­her Tex­te ver­fasst, die wir euch in loser Fol­ge vor­stel­len. Die alten Tex­te schei­nen manch­mal aus einer ande­ren Zeit zu stam­men. Dies­mal: Ein Text aus dem Jahr 2006, als Klein­gär­ten als uncool gal­ten und Ver­ei­ne auch im Wed­ding häu­fig mit Nach­wuchs­man­gel zu kämp­fen hatten. 

Weddinger Zeitreise

Kleingärten waren vor 15 Jahren total “out”

Der Som­mer kommt bestimmt! In Ber­lin ist dann wie­der Klein­gar­ten­zeit. Die­se „Oasen“ gibt es an der Pan­ke wie in kaum einem ande­ren inner­städ­ti­schen Gebiet. Zeit, einen Blick hin­ter die Kulis­sen zu wagen.

Man hört Vogel­ge­zwit­scher, Schmet­ter­lin­ge flat­tern umher, nur ver­ein­zelt sind ent­fern­te Stim­men zu ver­neh­men, von Groß­stadt­lärm kei­ne Spur. Hun­der­te Ber­li­ner schät­zen den Sol­di­ner Kiez – als Erho­lungs­ort. Genau­er gesagt ent­span­nen sie sich in den zahl­rei­chen Par­zel­len der Klein­gar­ten­ko­lo­nien, die es an der Pan­ke oder zwi­schen Kolo­nie­stra­ße und Pro­vinz­stra­ße gibt. Die hie­si­gen Klein­gärt­ner woh­nen meist im Sol­di­ner Kiez oder den unmit­tel­ba­ren Nach­bar­vier­teln und ver­brin­gen jede freie Minu­te auf ihrer Par­zel­le. „Man muss ja auch immer da sein, zum Bei­spiel zum Gie­ßen“ erklärt Frau Hed­zek. Sie und ihr Mann wis­sen ein Lied davon zu sin­gen, wie viel Arbeit der Gar­ten macht und wie hoch die Neben­kos­ten mitt­ler­wei­le zu Buche schla­gen. Aber die Nähe zu ihrer Woh­nung an der Wollank­stra­ße und die Gemein­schaft mit den ande­ren Klein­gärt­nern sind gute Grün­de dafür, dass die bei­den Rent­ner ihre Frei­zeit ger­ne im Gar­ten verbringen. 

Kleingarten
Laube in einem Kleingarten

Jun­ge Fami­li­en, für die das Klein­gar­ten­we­sen beson­de­re Vor­tei­le bie­ten kann, sind in den Kolo­nien indes­sen weni­ger zu fin­den. Kati und Tors­ten Licht­blau sind Anfang 30 und haben zwei Kin­der im Alter von 4 und 7 Jah­ren. „Wir wur­den von Woh­nungs­nach­barn auf das The­ma Klein­gar­ten ange­spro­chen, haben uns aus dem Bauch her­aus für die Par­zel­le ent­schie­den und den Ent­schluss nicht eine Sekun­de bereut“, sagt Kati Licht­blau. Wäh­rend sie erzählt, erkun­den ihre Kin­der, wie sich eine Schne­cke bewegt, die sie im Gar­ten gefun­den haben. „Klar wün­schen wir uns mehr Leu­te mit klei­nen Kin­dern in der Kolo­nie“, sagt die Mut­ter. Ihre Toch­ter ist sogar das ein­zi­ge Mäd­chen in der gan­zen Anla­ge. Schließ­lich kommt man über die Kin­der schnell mit den ande­ren Bewoh­nern ins Gespräch. In ihrer Kolo­nie sind jedoch höchs­tens 10 % unter 40 Jah­re alt, schät­zen die Licht­b­laus. „Wer sich für einen Klein­gar­ten ent­schei­det, muss sich über eini­ge Ein­schrän­kun­gen bewusst sein“, sagt Tors­ten Licht­blau. „Es ist etwas ande­res als das eige­ne Haus mit Gar­ten.“ Es wer­de Teil­nah­me am Ver­eins­le­ben und die Ableis­tung von Gemein­schafts­ar­beit erwar­tet, von zahl­rei­chen Vor­schrif­ten und Ver­bo­ten ganz zu schweigen. 

Kleingarten Laube Gartenzwerg

Eini­ge erläu­tert Joa­chim Stolz, 46 Jah­re alt, Vor­stand des Klein­gar­ten­ver­eins „Ein­tracht an der Pan­ke“: „Ein Drit­tel der Par­zel­le ist mit maxi­mal 24 m2 die Lau­be, Rasen­flä­che ein wei­te­res Drit­tel, der Rest Obst- und Gemü­se­an­bau.“ Gera­de der Anbau von Pflan­zen, dem ursprüng­lich der Selbst­ver­sor­gungs­ge­dan­ke zugrun­de lag, ist jedoch für Stolz ein Grund mehr, jun­ge Fami­li­en anzu­zie­hen: „Kin­dern macht es Spaß, einen Bezug dazu zu bekom­men, wo das Obst und das Gemü­se her­kommt. Kin­der gehö­ren ein­fach zum Klein­gar­ten­we­sen dazu!“ 

Kolonie Zaun mit Schild zu Kleingärten

Stolz ver­sucht daher, jün­ge­re Leu­te für sei­ne Anla­ge zu begeis­tern. „Geeig­net ist, wer etwas für die Gemein­schaft ein­brin­gen kann, zum Bei­spiel eine beson­de­re hand­werk­li­che Bega­bung“, erklärt der Vor­sit­zen­de. „Wer sich nicht ger­ne in eine Gemein­schaft ein­fügt und Ver­eins­le­ben nicht mag, ist jedoch fehl am Plat­ze.“ Dies wird jedem Inter­es­sen­ten in Vor­ge­sprä­chen genau erläu­tert. „Vor dem Mau­er­fall gab es noch lan­ge War­te­lis­ten“, so Joa­chim Stolz. Heu­te ist es leich­ter, an eine Par­zel­le zu kom­men. Ent­schei­dend ist aber, ob man die Abstands­zah­lung für die Lau­be bezah­len kann. Die Pacht selbst beträgt in der „Eintracht“-Kolonie kei­ne 100 Euro im Jahr, für die Neben­kos­ten an Was­ser, Abwas­ser und Müll­ab­fuhr sind noch ein­mal 500 Euro zu rechnen. 

Kleingarten Kolonie Weg

Was die All­ge­mein­heit davon hat, zeigt Joa­chim Stolz an einem Bei­spiel: „Die Leu­te aus dem Senio­ren­heim an der Pan­ke kom­men ger­ne zu uns und erfreu­en sich an den Gär­ten“. Schließ­lich sei­en gepfleg­te Gär­ten auch eine Berei­che­rung für den Kiez und wirk­ten der Ver­wahr­lo­sung ent­ge­gen. Wie ande­re Klein­gärt­ner ärgern sich die Licht­b­laus dar­um ein wenig über das Anse­hen der Klein­gärt­ner: „In unse­rem Freun­des­kreis wer­den wir schief ange­guckt, auch wenn die Bekann­ten ger­ne und lan­ge in unse­rem Gar­ten sit­zen“, erklärt Tors­ten Licht­blau. Der Gar­ten, wo man sich nach einem Arbeits­tag ent­spannt, gehört für die Fami­lie ein­fach zum All­tag wie die Wohnung.

Aller Vor­tei­le zum Trotz: es scheint noch vie­le freie Klein­gär­ten zu geben, und eine Ver­jün­gungs­kur durch Fami­li­en mit Kin­dern steht noch aus – im Gegen­satz zu den Klein­gär­ten im benach­bar­ten Prenz­lau­er Berg. 

Hin­weis: Seit 2006 hat sich die Situa­ti­on geän­dert, Klein­gär­ten sind wie­der beliebt. Alle Klein­gär­ten im Wed­ding fin­det ihr auf der Sei­te des Bezirksverbands. 

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Joachim Faust

hat 2011 den Blog gegründet. Heute leitet er das Projekt Weddingweiser. Mag die Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen gleichermaßen.

1 Comment

  1. Hal­lo, Mei­ne Gross­el­tern – Paul und Mela­nie Som­mer – hat­ten in den 50ziger Jah­ren eine Par­zel­le in der Lau­ben Kolo­nie ‚ Klein Wer­der“ , Pro­vinz Str., – mein Opa war der Lau­ben Betriebsrat‑, ihre Stadt­woh­nung war in der Sol­di­ner Stras­se. Als ich spae­ter in den 80ziger Jah­ren in der Hop­pe Str. wohn­te bin ich durch Zufall dort gelan­det- aber die Anla­ge exis­tier­te nicht mehr !- Alles ver­schwun­den…- nur eine rie­si­ge grue­ne Flae­che von Kunst­ra­sen-…. Wuer­de ger­ner mehr ueber die­se Anla­ge erfah­ren,- wann wur­de es auf­ge­ge­ben – wel­ches Jahr??? Lebe im Aus­land bin aber ab und an mal in Ber­lin,- wuer­de mich freu­en ob Sie etwas ueber die­se Anla­ge erfah­ren koenn­ten,:) , Grues­se, Brigitte.

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