Zwei Bereiche voneinander abtrennen, das ist per Definition die Funktion eines Zaunes. Doch so neutral und emotionslos betrachten es die ein- oder abgezäunten Menschen nicht immer. Im Brunnenviertel sorgt derzeit ein neuer Zaun um das ehemalige Gelände des Diesterweg-Gymnasiums zwischen Putbusser Straße und Swinemünder Straße für reichlich Ärger. Dieser Ärger liegt nicht allein an den aktuellen Ereignissen.
Die Geschichte, die zur Aufstellung des Zaunes durch das Bezirksamt Mitte kam, ist lang und kompliziert. Sie begann damit, dass der Bezirk das Gymnasium an der Putbusser Straße 2011 geschlossen hat. Die damalige Bildungsstadträtin Sabine Smentek (SPD) hatte noch 2015 bei einer Informationsveranstaltung im Kiez prognostizierte (sinkende) Schülerzahlen als Grund für die Schließung angeführt, die im Kiez von den Schulleiterinnen, Aktiven und Anwohnenden stark kritisiert wurden und die sich später als veraltet herausstellten. Auch die Bibliothek zog in der Folge aus, das Gebäude steht seitdem leer, verfällt und verursacht dabei hohe Instandhaltungskosten. In diesem Jahr hat der Bezirk 700.000 Euro dafür eingeplant.
Nachdem es unmittelbar nach der Schließung zunächst keine konkreten Ideen für eine Nachnutzung seitens der öffentlichen Hand gab, meldete sich 2012 eine Initiative namens „ps wedding“. Die Akteure stammen aus dem Kiez und hatten sich bereits bei der Entwicklung des ExRotaprint-Standorts in der Gottschedstraße verdient gemacht. Ihr Konzept vereinte günstigen Wohnraum mit gemeinwohlorientierten Nutzungen und stieß nicht nur im Kiez auf Begeisterung. Auch die Bezirksverordneten sprachen sich 2014 für das Konzept aus. Danach entstand jedoch ein zäher Streit um das Gelände, bei dem der Bezirk, das Land, ein städtisches Wohnungsunternehmen und verschiedene politische Interessen eine Rolle spielten. Unterdessen verfiel das architektonisch interessante Gebäude. 2019 entschied sich der Bezirk, die Schule wieder zu reaktivieren, favorisierte aber einen Abriss des mit Asbest belasteten Gebäudes sowie einen Neubau. In der Investitionsplanung des Senats (Schulbauoffensive) ist der Standort aber nicht enthalten, somit gibt es mittelfristig kein Geld für eine Reaktivierung der Schule.
Der drei Meter hohe Wellblechzaun wurde schließlich Ende September um das unter Denkmalschutz stehende Gebäude gezogen. Er soll vor Vandalismusschäden schützen und verhindern, dass das baufällige Gebäude betreten wird. So steht es in einer Antwort der Senatsbildungsverwaltung auf eine Anfrage der Abgeordneten Franziska Brychcy und Tobias Schulze (beide Linke) vom Juli diesen Jahres. 60.000 Euro soll der Wellblechzaun gekostet haben. Weitere Gebäudesicherungsmaßnahmen sind laut Senat geplant, etwa eine Noteindeckung des Daches und die Trockenlegung des bereits vor Jahren mit Wasser vollgelaufenen Kellers. Der Zaun soll künftig wohl auch die Schulkinder der Ernst-Reuter-Schule (ERO) fernhalten, die bald in die Putbusser Straße ziehen sollen. Weil die Sanierung der ERO geplant ist, soll auf dem Schulsportplatz neben der eingezäunten Schule in der Putbusser Straße ein sogenannter Interimsbau entstehen.
Für die, die sich im Brunnenviertel mit dem ehemaligen Diesterweg-Standort beschäftigen, kommt der neue Zaun einer Bankrotterklärung gleich. Er steht als Symbol, dass an dem Standort auch weiterhin nichts geschehen wird: keine Wohnung, keine neue Schule, kein Raum für die Nachbarschaft. Spricht man mit Passanten an der Schule oder mit dem Stadtteilverein, ist die Wut deutlich zu spüren. Die Stadtteilkoordination kritisiert auf Instagram auch die Anmutung des Wellblechzauns und schreibt „Willkommen im Getto“. Dabei wird der Begriff als Synonym für einen sozialen Brennpunkt verwendet. Er steht sinnbildlich für das Gefühl des Abgehängtseins, das viele im Brunnenviertel nach zwölf Jahren Leerstand wütend macht. Der Tagesspiegel hat in diesem Zusammenhang von „Slum-Architektur“ geschrieben und den Zaun eine „Diskriminierung des Brunnenviertels“ genannt. Wie auch immer man es bezeichnet: Der neue Wellblechzaun trennt nicht nur zwei Bereiche ordentlich voneinander ab. Er erinnert auch täglich daran, dass niemand im Kiez jemals wollte, dass die Schule schließt und zeigt, wie quälend lange es dauert, eine einzige Entscheidung zu korrigieren.
Nachfragen zum aufgestellten Zaun ließ das Bezirksamt bisher unbeantwortet.
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Mehr über die Entwicklungen an der alten Schule gibt es unter anderem in den Weddingweiser-Beiträgen:
- Ex-Diesterweg: Eine Schule, keine Schule, eine Schule
- Ex-Diesterweg: Runder Tisch soll vermitteln
- Diesterweg-Gelände: Dornröschen schläft weiter
- Gordischer Knoten im ehemaligen Diesterweg-Gymnasium
- Diesterweg-Gymnasium: Wie geht es weiter im orangenen Raumschiff?
Hallo! Wollte nur korrigieren, dass ich zum Zeitpunkt der Stillegung der Schule nicht Bildungsstadträtin war. Als ich 2014 Stadträtin wurde, stand das Gebäude bereits leer. Ich habe damals versucht, die Wohnbebauung möglich zu machen. Wo habt Ihr Eure “Infos” her?! Bitte korrigieren!
Das war missverständlich formuliert. Ich habe mich auf die Informationsveranstaltung im Supermarkt im Mai 2015 beziehen wollen. Da hatten sie die Entscheidung zur Schließung mit den prognostizierten Schülerzahlen begründet. Ich war damals persönlich anwesend. Ich habe die Formulierung jetzt korrigiert. Richtig ist, dass nicht Sie die Entscheidung getroffen haben, sie dort nur vertreten haben. Ich bitte um Entschuldigung!
Damit wär das Problem dann wohl gelöst, … als Vollzeitbeschäftigung: Verantwortung wegschieben. Und ihr Ton erst. Da wundert einen echt nichts weiter.
Wie kann es sein, dass sich Asbestbau und Denkmalschutz nicht direkt ausschließen?
Ein Gebäude kann trotzdem architektonisch erhaltenswert sein. Viele Denkmale müssen zunächst saniert werden und auch von Altlasten befreit werden, das ist nicht ungewöhnlich. Ich glaube, das ist einfach kein Kriterium bei der Frage, ob es einen Denkmalwert hat oder nicht. Hier geht es allein um die für die 1970er Jahre typische und damals moderne Architektur. Wie sehr sich die Zeit ändert, sieht man auch genau daran. Während bei der Schließung 2011 das Gebäude als ungeeignet für eine moderne Schule galt, weil zum Beispiel Flure und Nebenräume zu groß waren, gilt genau das inzwischen wieder als modern und erstrebenswert. Genauso baut man heute wieder.
Die Asbestsanierung fällt übrigens so oder so an: wenn man das Haus abreißt oder wenn man es umbaut. Das macht keinen Unterschied.