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Kiezspaziergang im Soldiner Kiez:
Spuren der Zwangsarbeit entlang der Panke

21. November 2023

Die meis­ten der in den letz­ten Jah­ren popu­lär gewor­den Kiez­spa­zier­gän­ge beschäf­ti­gen sich mit der Gegen­wart oder der Zukunft. Mit der Stadt­teil­ko­or­di­na­ti­on zu neu­en Pro­jek­ten im Kiez, mit dem Stadt­rat zu neu ent­ste­hen­den Orten oder künf­ti­gen Schau­plät­zen des Kiez­le­bens. Den Blick zurück ver­such­te der Kiez­spa­zier­gang ent­lang der Pan­ke am Frei­tag (17.11.), zurück auf ein dunk­les Kapi­tel der Geschich­te. „Spu­ren der NS-Zwangs­ar­beit ent­lang der Pan­ke“ wur­den gesucht, das Inter­es­se an der Ver­an­stal­tung war sehr groß.

Christian Weber zeigt Fotos von einem Mann, der Zwangsarbeit in der Fabrik A. Roller leisten musste. Foto: Hensel
Chris­ti­an Weber zeigt Fotos von einem Mann, der Zwangs­ar­beit in der Fabrik A. Rol­ler leis­ten muss­te. Foto: Hensel

Die Fak­ten, Orte und Erin­ne­run­gen zum The­ma Zwangs­ar­beit lie­gen nicht auf der Stra­ße. Wer von den Schick­sa­len der Zwangsarbeiter:innen erfah­ren möch­te, muss in die Archi­ve gehen, pri­va­te Unter­la­gen sich­ten, zuhö­ren und Tei­le zusam­men­fü­gen. Eine sys­te­ma­ti­sche Auf­ar­bei­tung des The­mas für den Sol­di­ner Kiez oder den Wed­ding gibt es nicht. Bis­her gibt es ein­zel­ne Puz­zle-Stei­ne. Chris­ti­an Weber vom Doku­men­ta­ti­ons­zen­trum NS Zwangs­ar­beit in Schö­ne­wei­de hat­te es für die fast 50 Teil­neh­men­den des Kiez­spa­zier­gangs über­nom­men, die vor­han­de­nen Infor­ma­tio­nen zu ver­mit­teln. Von der Fabrik Oslo­er Stra­ße bis fast zum Bahn­hof Wollank­stra­ße führ­te der Spa­zier­gang an der Pan­ke ent­lang. An sechs Sta­tio­nen mach­te die Grup­pe halt und erfuhr von den Men­schen, die an den Sta­tio­nen in Holz­ba­ra­cken leb­ten oder Zwangs­ar­beit leisteten.

Bettina Pinzl von "Demokratie in der Mitte" liest Schilderungen einer Zwangsarbeiterin vor. Foto: Hensel
Bet­ti­na Pinzl von “Demo­kra­tie in der Mit­te” liest Schil­de­run­gen einer Zwangs­ar­bei­te­rin vor. Foto: Hensel

Als 17-jähriger verschleppt und zur Arbeit gezwungen

So erfuh­ren die Teilnehmer:innen des Spa­zier­gangs zum Bei­spiel von Niko­lai Tan­du­ra, der in einer Bara­cke am heu­ti­gen Wer­ner-Klu­ge-Sport­platz in der Küh­ne­mann­stra­ße wohn­te und in der Maschi­nen­fa­brik A. Rol­ler (heu­te Fabrik Oslo­er Stra­ße) für die Rüs­tungs­in­dus­trie arbei­ten muss­te. Als 17-jäh­ri­ger war der Urkai­ner 1942 in den Wed­ding ver­schleppt wor­den. Chris­ti­an Weber skiz­zier­te den Weg des Zwangs­ar­bei­ters, las eini­ge kur­ze Erin­ne­run­gen vor, die er 2004 bei einem Besuch sei­nes frü­he­ren Zwangs­ar­beits­plat­zes im Sol­di­ner Kiez hin­ter­las­sen hat. 

Wei­te­re Schick­sa­le kamen zur Spra­che, sie zeu­gen von von einem All­tag unter Zwang, von Gewalt und men­schen­un­wür­di­gen Bedin­gun­gen für die Zwangsarbeiter:innen. „Es waren Mil­lio­nen von Men­schen betrof­fen. Min­des­tens 13 Mil­lio­nen Men­schen wur­den inner­halb des Deut­schen Rei­ches als Zwangsarbeiter:innen ein­ge­setzt, allein in Ber­lin waren es wäh­rend des Zwei­ten Welt­kriegs fast eine hal­be Mil­li­on Men­schen“, ord­ne­te Chris­ti­an Weber die Ein­zel­schick­sa­le ein. Dass über­all auch an der Pan­ke Bara­cken und Lager für die­se Men­schen stan­den, wun­der­te die Teil­neh­men­den des Kiez­spa­zier­gangs daher nicht auch wenn von ihnen heu­te nichts mehr zu sehen ist. Ohne kom­pe­ten­te Unter­stüt­zung könn­te man heu­te die Spu­ren nicht mehr finden.

Der Kiezspaziergang zog mehr Interessentenn an als die Organisatoren erwartet hatten. Foto: Hensel
Der Kiez­spa­zier­gang zog mehr Inter­es­sen­tenn an als die Orga­ni­sa­to­ren erwar­tet hat­ten. Foto: Hensel

Gedenkzeichen an der Fabrik Osloer Straße geplant

„Es berührt mich wie vie­le Men­schen sich für das The­ma inter­es­sie­ren und an die­sem kal­ten Tag gekom­men sind“, sag­te Bet­ti­na Pinzl von „Demo­kra­tie in der Mit­te“ (DIM). Zusam­men mit dem Pro­jekt „Mal laut gedacht. Poli­ti­sche Bil­dung im Kiez“, das eben­falls in der Fabrik Oslo­er Stra­ße ange­sie­delt ist, und mit Unter­stüt­zung der Ber­li­ner Lan­des­zen­tra­le für poli­ti­sche Bil­dung hat­te DIM die­sen ers­ten Spa­zier­gang orga­ni­siert und ein sehr hilf­rei­ches Begleit-Falt­blatt erstellt. Auch für die Mitarbeiter:innen der Fabrik Oslo­er Stra­ße wie sie selbst„ so Bet­ti­na Pinzl, sei das ein wich­ti­ges Pro­jekt, denn in der Fabrik waren frü­her eine noch unbe­kann­te Zahl von Zwangsarbeiter:innen ein­ge­setzt. Dar­an erin­nert heu­te nichts mehr, vie­le heu­ti­ge Mitarbeiter:innen der Fabrik wüss­ten nichts von die­ser Ver­gan­gen­heit. „Ein Ziel für die Zukunft ist es daher auch, ein Gedenk­zei­chen für die Fabrik zu ent­wer­fen und anzu­brin­gen“, sagt Bet­ti­na Pinzl.

Der Kiez­spa­zier­gang zu den „Spu­ren der NS-Zwangs­ar­beit ent­lang der Pan­ke“ wird am 21. Janu­ar 2024 wie­der­holt. Start ist um 11 Uhr an der Fabrik Oslo­er Stra­ße. Einen Monat spä­ter, am 22. Febru­ar 2024, fin­det eine Geschichts­werk­statt zum The­ma „Geden­ken an die NS-Zwangs­ar­beit in der Fabrik Oslo­er Stra­ße“ in der Oslo­er Stra­ße 12 statt.

Stärkung für unterwegs: Kaffee, heißer Tee und Kekse. Foto: Hensel
Stär­kung für unter­wegs: Kaf­fee, hei­ßer Tee, Kek­se und das Begleit­falt­blatt. Foto: Hensel

Weiterlesen zum Thema

Mehr über Zwangs­ar­beit in Ber­lin gibt es beim Doku­men­ta­ti­ons­zen­trum NS Zwangs­ar­beit in Schö­ne­wei­de. Infor­ma­tio­nen sind über die Web­sei­te www.ns-zwangsarbeit.de zu fin­den. Dort gibt es auch die Mög­lich­keit, frü­he­re Lager zu recher­chie­ren (Direkt­link https://www.ns-zwangsarbeit.de/recherche/lagerdatenbank/), auch eini­ge Lager in Wed­ding und Gesund­brun­nen sind aufgeführt.

Trans­pa­renz­hin­weis: Der Kiez­spa­zier­gang an der Pan­ke wur­de von “Demo­kra­tie in der Mit­te” und “Mal laut gedacht. Poli­ti­sche Bil­dung im Kiez” orga­ni­siert, zwei Pro­jek­ten des Stadt­teil- und Fami­li­en­zen­trums der Fabrik Oslo­er Stra­ße. Unse­re Autorin Domi­ni­que Hen­sel ist Vor­stän­din im Ver­ein Fabrik Oslo­er Stra­ße e.V.

Dominique Hensel

Dominique Hensel lebt und schreibt im Wedding. Jeden zweiten Sonntag gibt sie hier den Newsüberblick für den Stadtteil. Die gelernte Journalistin schreibt für den Blog gern aktuelle Texte - am liebsten zu den Themen Stadtgärten, Kultur, Nachbarschaft und Soziales. Hyperlokal hat Dominique es auf jeden Fall am liebsten und beim Weddingweiser ist sie fast schon immer.

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