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Müller42 #10: Der Spion

24. April 2020

Der Wed­ding. End­li­che Wei­ten. Dies sind die Aben­teu­er der Bewoh­ner des Wohn­hau­ses in der Mül­lerstra­ße 42, die schon oft zuvor da gewe­se­ne Gen­tri­fi­zie­rung bekämp­fen und dahin gehen, wo schon vie­le Wed­din­ger zuvor gewe­sen sind.

Eine Fort­set­zungs­ge­schich­te von Ruben Faust und Net­hais Sandt

Alle bis­he­ri­gen Fol­gen zum Nach­le­sen: (Fol­ge 1: Das Fahr­rad) (Fol­ge 2: Die Was­ser­la­che) ( Fol­ge 3: Die Leh­re­rin) (Fol­ge 4: Das Gefühl)(Fol­ge 5: Die Akti­vis­ten) (Fol­ge 6: Der Blu­men­strauß) (Fol­ge 7: Die Par­ty)  (Fol­ge 8:  Der Plan)  (Fol­ge 9: Das Gespräch)

Chris­ti­an Sang­hof ist vom Beruf her Haus­ver­wal­ter.  Er ist sich nicht sicher, wo genau im Leben er falsch abge­bo­gen ist, dass er sich jetzt an die­sem Punkt wie­der­fin­det. Aber er wird gut bezahlt, er kann für Frau und Kind sor­gen und das Aller­wich­tigs­te: Er, der schon von Kind auf immer als Außen­sei­ter gese­hen und gemobbt wur­de, kann jetzt mit Ende vier­zig sei­ne vol­le Auto­ri­tät aus­üben. Die Blei­be von vie­len Men­schen hängt von ihm und sei­ner Ent­schei­dung ab. Und die Mül­lerstra­ße 42 muss schon lan­ge reno­viert wer­den. Sehr lan­ge. Noch bevor die alte Dame im ers­ten Stock­werk gebo­ren wur­de. Er fühlt sich, gelin­de gesagt, geehrt.
Was Chris­ti­an jedoch aus sei­ner Kind­heit gelernt hat, ist, dass nicht vie­le Men­schen ger­ne nach der Pfei­fe von ande­ren tan­zen. Er kennt das bro­deln­de Gefühl im Inne­ren, das Ver­lan­gen, sich der höhe­ren Macht zu wider­set­zen, eine Revol­te zu star­ten, die Welt­herr­schaft an sich zu rei­ßen und bes­ser, güti­ger, gerech­ter zu regie­ren.  Als Kind hat er dafür immer eine run­ter­ge­hau­en bekom­men. Es hat ihn nicht davon abge­hal­ten, wei­ter­hin Rache­plä­ne zu schmie­den.
Und genau das möch­te er jetzt im Bezug zur Mül­lerstra­ße 42 ver­mei­den. Er ist die höhe­re Macht, die Bewoh­ner der Mül­lerstra­ße 42 hin­ge­gen die Kin­der, die sich unge­recht behan­delt füh­len. Er ist bes­ser als die Mob­ber von frü­her. Er kann das diplo­ma­tisch regeln. Ohne Gewalt.
Sein Plan sieht vor, die Bewoh­ner der Mül­lerstra­ße 42 für sich zu gewin­nen, den Kon­flikt fried­lich zu lösen, soweit das nun ein­mal geht. Chris­ti­an ist sich bewusst, dass es nicht ein­fach wer­den wür­de, die Mie­ter davon zu über­zeu­gen, wie toll es doch wäre, sich eine neue Woh­nung in Ber­lin zu suchen. Aber er wür­de sein Bes­tes versuchen.

Vor drei Wochen

„Guten Tag! Mein Name ist Chris­ti­an Sang­hof!“, begrüßt er die alte Dame am Fens­ter. Die­se wirft ihm einen miss­traui­schen Blick zu. Ihr Blick wan­dert immer wie­der zur Haus­tür, als wür­de sie in jedem Moment erwar­ten, dass er aus sei­ner Tasche eine Bom­be holt und sie ihr auf die Fuß­mat­te legt. „Doro!“, schnauzt sie eini­ge Sekun­den spä­ter zurück. „Man nennt mich Doro.“
Er hebt die Augen­brau­en. Sei­ne Zun­ge fährt ner­vös über sei­ne Unter­lip­pe. Doro wür­de ein schwie­ri­ger Bro­cken wer­den. „Ich bin hier gera­de lang gelau­fen…“, fängt er an zu erklä­ren, „… und habe mich an die­ses Haus hier erin­nert. Es soll ja dem­nächst neu reno­viert wer­den oder…?“
Doro schnaubt. „Dit is abso­lu­ter Unsinn. Dach­re­no­vie­rung haben’se jesacht. Ick glo­ob ooch…“ Sie zeigt ihm den Vogel. „Die wol­len uns alle raus­schmei­ßen! Aber wis­sen se watt? Ick leb hier jetz’ mein jan­zes Leb’n. Mich kriegen’se hier nich raus“. Ganz, ganz, schwie­ri­ger Bro­cken.
„Aber stel­len Sie sich doch vor, wie schön es wäre, zu der Fami­lie zu zie­hen…“, beharrt Chris­ti­an, „.. ein neu­es Leben zu begin­nen. Woan­ders.“
Die alte Dame guckt ihn jetzt miss­trau­isch an. „Wer sind se denn, dass se dit inter­es­siert, hm? Am Ende sind’se der Haus­ver­wal­ter!“  Tou­ché.  Chris­ti­an zuckt mit den Schul­tern und macht sich dran, schnell weg zu kom­men, den boh­ren­den Blick Doros im Rücken.

Vor zwei Wochen und drei Tagen 

Chris­ti­an Sang­ho­fer sitzt drau­ßen und war­tet dar­auf, dass ein Mie­ter der Mül­lerstra­ße 42 das Haus ver­lässt. Er muss nicht lan­ge war­ten, denn nur weni­ge Minu­ten, nach­dem er sich hin­ge­setzt hat, stürmt ein jun­ger Mann aus dem Haus her­aus. Sei­ne schwar­zen Locken ste­hen wild vom Kopf ab, er hat einen gehetz­ten Aus­druck in den Augen. Chris­ti­an ist sich sicher, dass das einer der Stu­den­ten sein muss, die ganz oben links woh­nen. „Guten Tag!“, begrüßt er den Mann.  „Mein Name ist Chris­ti­an Sang­ho­fer!“
Der Stu­dent bleibt ver­wirrt ste­hen. Dann stellt er sich als Phil vor.  „Sie sehen sehr gestresst aus“, beginnt Chris­ti­an das Gespräch. Phil schüt­telt den Kopf und lacht geküns­telt auf. „Ach was! Mir ist nur eben was Dum­mes pas­siert. Hat was mit dem Rad mei­ner Mit­be­woh­ne­rin zu tun.“
Chris­ti­an nickt ver­ständ­nis­voll, obwohl es ihn herz­lich wenig küm­mert. „Soso. Ich bin hier gera­de lang gelau­fen, und habe die Mül­lerstra­ße 42 wie­der­erkannt. Soll doch dem­nächst reno­viert wer­den, oder..?“
Phil kratzt sich am Kopf. „Ach ja, da war ja was.. Ist schon doof für uns. Ich bin Stu­dent, wis­sen Sie. Man fin­det nicht oft eine so gut lie­gen­de und vor allem bezahl­ba­re Woh­nung.“
„Es gibt doch Stu­den­ten­wohn­hei­me, oder…?“
„Ich weiß nicht so ganz… Sind Sie an einer Woh­nung inter­es­siert?“ , fragt Phil leicht irri­tiert. Chris­ti­an beschleicht der lei­se Ver­dacht, dass es viel­leicht doch eine gute Ent­schei­dung gewe­sen ist, Haus­ver­wal­ter zu wer­den. Als Spi­on eig­net er sich denk­bar schlecht.
„Nein, nein…“, er winkt ab. „Bin nur neu­gie­rig gewe­sen.“
Phil nickt, meint dann, er wür­de sich einen Döner holen gehen und verschwindet.

Vor zwei Wochen

„Aber dann muss­ten die Blei­roh­re aus­ge­tauscht wer­den, sie haben das gan­ze Haus saniert und die Mög­lich­keit gleich genutzt, um die Woh­nun­gen danach als Eigen­tums­woh­nun­gen zu ver­kau­fen“, hört Chris­ti­an nur weni­ge Meter wei­ter eine Frau erzäh­len. Er wirft ihr einen Blick über den Spiel­platz hin­weg zu. Sein Sohn spielt gera­de mit ande­ren Kin­dern, ein paar Minu­ten der Unauf­merk­sam­keit wer­den nicht sei­nen Tod bedeu­ten. Außer­dem ent­deckt er jetzt neben der Frau einer sei­ner Mie­ter. Frisch aus Prenz­lau­er Berg, wenn es ihm rich­tig ein­fällt. „Das ist ja ein Ding“, sagt die­ser. „Bei uns gab es auch gera­de ein Schrei­ben, das dar­auf hin­weist. Ich mache mir echt Sor­gen.“ Das Schrei­ben hat er, Chris­ti­an höchst­per­sön­lich, abge­schickt. Es macht ihm Sor­gen, dass die Bewoh­ner der Mül­lerstra­ße 42 es so schlecht auf­neh­men.  „Am Sams­tag ist am Leo­pold­platz eine klei­ne Demo gegen Gen­tri­fi­zie­rung geplant… Also wenn Sie mit­kom­men möch­ten?“
Chris­ti­an steht auf und ruft den Namen sei­nes Soh­nes. Die Wen­dung der Din­ge berei­tet ihm Bauchschmerzen.

Vor einer Woche

„Was hal­ten sie von der kom­men­den Haus­ver­samm­lung?“, fragt Chris­ti­an Sang­ho­fer Frau Faterl. Die­se steht am Tür­rah­men, etwas ver­wirrt, den Haus­ver­wal­ter per­sön­lich vor ihrer Tür ste­hen zu sehen. Chris­ti­an hat es mitt­ler­wei­le auf­ge­ge­ben, sich eine Tar­nung über­le­gen zu wol­len. Von sei­nen bis­he­ri­gen Kennt­nis­sen her sind alle im Haus abso­lut gegen die Haus­re­no­vie­rung und Haus­neu­ver­mie­tung – wer kann es ihnen ver­übeln? Er selbst sieht der Haus­ver­samm­lung mit Schre­cken ent­ge­gen.
„Ich weiß nicht…“, meint Frau Faterl zöger­lich, „Ich woh­ne erst seit vier Mona­ten hier. Und ich kann es nach­voll­zie­hen, dass sie das Haus reno­vie­ren wol­len. Es wirkt schon etwas… alt.“
Chris­ti­an spürt einen Hoff­nungs­fun­ken in sich auf­leuch­ten. Er kann es kaum glau­ben. Stößt er da wirk­lich auf Zustim­mung? Er drückt den Rücken durch. „Das freut mich sehr, Frau Faterl! End­lich jemand, der der­sel­ben Mei­nung ist wie ich.“
„Und im schlimms­ten Fall kann ich auch zu mei­ner Freun­din zie­hen, wäh­rend sie das Dach reno­vie­ren“, führt die Frau ihren Gedan­ken fort. „Aller­dings muss ich das noch mit ihr bespre­chen.“
Frau Faterl lächelt. „Hat das Ihre Fra­ge beant­wor­tet?“
„Aber natür­lich. Ihnen noch einen schö­nen Tag!“

Vor drei Tagen 

„Hören Sie…“ Chris­ti­an hebt über­rascht die Augen­brau­en, als ihm der Haus­meis­ter auf die Schul­ter tippt. Tat­säch­lich ist er ein letz­tes Mal her­ge­kom­men, um sich auf die Haus­ver­samm­lung men­tal vor­zu­be­rei­ten.  Nie­mals im Leben hät­te er damit gerech­net, dass ihn jemand anspre­chen wür­de.
„Sie arbei­ten in der Haus­ver­wal­tung, oder?“, fragt Herr Brown mit einem bri­ti­schem Akzent.
Chris­ti­an räus­pert sich und nickt dann. Wor­auf will der alte Mann hin­aus?
„Ich bin bereit, sie in der Haus­ver­samm­lung ein wenig zu unter­stüt­zen…“, mur­melt Herr Brown ner­vös, „… wenn sie mir einen Arbeits­platz in ihrer Fir­ma zusi­chern kön­nen.“
Ah, daher weht der Wind. Chris­ti­an über­legt kurz. Er ist der Haus­ver­wal­ter, an sich kann es ihm  gestoh­len blei­ben, was die Bewoh­ner über ihn den­ken und wol­len. Die letz­ten Tage haben ihm nur zu gut bewie­sen, dass es unmög­lich ist, sie mit Diplo­ma­tie umzu­stim­men. Aber es wür­de die Ver­samm­lung doch deut­lich erträg­li­cher machen, wenn zumin­dest noch eine wei­te­re Per­son auf sei­ner Sei­te ist. Solan­ge er Herrn Brown also nur in dem Glau­ben lässt, er hät­te einen siche­ren Arbeits­platz…
„Ich wer­de sehen, was ich tun kann“, ant­wor­tet er dem Haus­meis­ter mit einem auf­ge­setz­tem Lächeln. Herrn Browns Gesichts­zü­ge erhel­len sich schlag­ar­tig. Enthu­si­as­tisch umfasst er die Hän­de von Chris­ti­an, bedankt sich meh­re­re Male und geht dann pfei­fend davon.
Chris­ti­an Sang­hof atmet tief ein und aus. Noch drei Tage.

Jetzt

Illus­tra­to­rin: Net­hais Sandt

Chris­ti­an Sang­hof sitzt am Kopf­en­de des Tisches, die Papie­re vor sich. Sein Herz klopft schnel­ler als gewöhn­lich, sei­ne Hän­de schwit­zen. Ner­vös schaut er immer mal wie­der auf sei­ne Arm­band­uhr. In weni­gen Minu­ten wür­den die Bewoh­ner der Mül­lerstra­ße 42 den Hof betre­ten, wo er den Tisch und ein paar Stüh­le auf­ge­stellt hat. Er wünscht sich nur noch, die Zeit wür­de schnel­ler ver­ge­hen, sodass er die­se Haus­ver­samm­lung end­lich hin­ter sich hat. Vor sei­nem inne­ren Auge sieht er schon das lau­te Geschrei, den Pro­test, die wüten­den Gesich­ter. Bauch­schmer­zen erschwe­ren es ihm, auf­recht dazu­sit­zen.
Er atmet ein letz­tes Mal tief ein und aus. Dann öff­net sich die Hof­tür und Doro kommt , im Gefol­ge die Bewoh­ner der Mül­lerstra­ße 42.

Fort­set­zung folgt!

Alle Figu­ren und Namen sind rein fik­tio­nal und jede Über­ein­stim­mung mit der Rea­li­tät ist nur zufällig.

Müller42 ist eine Wed­ding­wei­ser-Text­rei­he von Ruben Faust und Net­hais Sandt. Sie wird immer diens­tags und frei­tags weitergeführt.

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