Jährlich werden mehr als ein Drittel aller produzierten Lebensmittel weltweit weggeworfen. Die App Too Good To Go versucht dem entgegenzuwirken, indem Betriebe überschüssiges Essen kurz vor Ladenschluss zu einem günstigeren Preis anbieten. Besonders Cafés, Supermärkte und Bäckereien im Wedding stehen nun im Fokus des Managements. Bereits 17 Betriebe – darunter Cafés, Ketten und Caterer – haben ein Profil in der App.
Nur der sahnige Rand und der Rest einer halben Nudel lassen darauf hindeuten, dass sich einst ein Auflauf in der großen Blechschale befand. Nun ist sie leer – genauso leer wie der übrige Teil der Vitrine, wären da nicht noch die drei belegten Brötchen. In wenigen Minuten wird die Bäckerei „Café und Back“ am Nauener Platz schließen. Der Verkäufer – alle nennen ihn „Volle“ – hofft darauf, dass noch jemand die Brötchen für die Hälfte des Preises abholen wird. Dass diese und andere Reste anderer Cafés, Restaurants und Caterer nicht im Müll landen, wird durch die kostenlose App Too Good To Go möglich gemacht. Darin sehen die Nutzer alle teilnehmenden Gastronomiebetriebe, die kurz vor Ladenschluss die Portionen mit einem Rabatt von mindestens 50 Prozent anbieten. Im Durchschnitt beträgt der Preis für eine Portion dann 3 Euro. Der Kunde bezahlt direkt per App und das Essen ist reserviert. Eine Sicherheit für den Betrieb und mit 1 Euro gleichzeitig auch die Einnahmequelle der App.
Lebensmittelabfall ein echtes Problem
Gegründet wurde das Unternehmen 2015 in Dänemark, auch mit dem Ziel, CO² einzusparen. Die Herstellung der Nahrungsmittel bedeutet schließlich nicht nur Wasserverbrauch, sondern ebenso Emissionen. „Wäre Lebensmittelverschwendung ein Land, wäre es der drittgrößte CO²-Emittent hinter den USA und China“, heißt es auf der Website. Insgesamt würden mehr als ein Drittel aller produzierten Lebensmittel im Abfall landen. Wenig verwunderlich also, dass das dänische Unternehmen bald auch nach Deutschland expandierte. Denn mit jährlich 18 Millionen Tonnen Lebensmittelabfall ist auch hierzulande die Lebensmittelverschwendung ein riesiges Problem.
Im Wedding den ersten Schritt gehen
„Es geht nicht darum, irgendwem eine Schuld zuzuschieben”, plädiert Franziska Lienert, zuständig für Marketing und PR bei Too Good To Go. Betriebe müssen schließlich dank der App nichts unnötig entsorgen, können sich etwas dazuverdienen und Verbraucher sparen am Preis. Die hohen Nutzerzahlen und auch Stimmen der Gastronomiebetreiber zeigen Zufriedenheit: So zum Beispiel bei Volle von Café und Back. Er würde durch die vorherige Bezahlung nicht betrogen und das Programm gebe ihm die Sicherheit, dass die Leute das Essen auch wirklich essen. Auch Raid, der Inhaber des Falafelimbisses Tahina an der Ecke Drontheimer Straße / Koloniestraße ist schon seit eineinhalb Jahren dabei und optimistisch. Bisher hätte er immer zwei Portionen eingestellt, doch eigentlich würde er lieber mehr anbieten. Für ihn ist nicht nur die ökologische Komponente wichtig, sondern auch die Soziale. Es gebe schließlich so viele bedürftige Leute; viel zu schade wäre es die Lebensmittel wegzuschmeißen.
Too Good To Go hat seinen deutschlandweiten Sitz in der Gustav-Meyer-Allee. Zuständig für den Wedding ist Carolin Schultz, die sie selbst im Stadtteil wohnt. Sie ist auch ehrenamtliche Foodsaverin der Organisation Foodsharing. Eine Konkurrenz sehe sie darin allerdings nicht. Bei Too Good To Go seien die Hürden im Vergleich zum Foodsaving einfach geringer. So trägt ein Foodsaver die ganze Haftungs- und Verteilungsverantwortung, indem er alle Lebensmittel rückstandslos abnehmen muss. „Wir versuchen einfach mit einem anderen Tool Lücken aufzufüllen“, stimmt Lienert ihr zu. Mit möglichst vielen Lebensmittelinitiativen soll kooperiert werden. So haben auch die Tafel und die Obdachlosenhilfe ein Profil in der App, das zum Spenden aufruft. Bei Strudelka wird zum Beispiel eine Coexistenz von Foodsharing und Too Good To Go gepflegt. An manchen Tagen können die Foodsaver kommen, an anderen die Appnutzer.
Die angebotenen Portionen sind dabei unterschiedlich groß, erklärt Schultz: „Bei einem Café kann ich eher kleine Portionen erwarten, während es in Backhäusern – wie zum Beispiel dem Divan Simit Evi in der Müllerstraße – eher größere gibt.“ Aber natürlich hinge die Portionsgröße auch von den Resten der Betriebe ab. Abgefüllt werden die Portionen meistens in kompostierbaren Tüten, die Too Good To Go zur Verfügung stellt. Viele Betriebe plädieren allerdings auch in ihrem Profil dafür, dass die Kunden ihre eigenen Behälter mitnehmen.
Schultz und Lienert wollen noch mehr Betriebe zum Mitmachen engagieren. Ein vermutlich endloser Kampf. Doch mit Organisationen wie Too Good To Go, der Tafel und Foodsharing werden Schritte gegangen, um ein großes Problem anzugehen und es nicht immer nur anzusprechen.
Diese Betriebe machen im Wedding mit:
Caterer: Fabrik 23, Kochende Welten (beide in den Gerichtshöfen)
Cafés: Zaunkönig, Chamälion Cafe, The Cedar, Freysinn„Tara, Repariererei
Bäcker: Baguetterie, Sofra, Hofbäckerei, La Rose, Kamps (Der Clou), Güli’s Back & Café, Divan Simit Evi, Mr. Pfani
Sonstige: Nordsee, Kamal Indisch, Tahina Imbiss (Falafel), Real
und viele mehr!
Die Idee, Lebensmittel vor dem Müll zu retten, liegt der Autorin Annika Keilen sehr am Herzen. In diesem Feld selbst ehrenamtlich engagiert, freut sie sich, dass die Wertschätzung von Lebensmitteln immer mehr in den gesellschaftlichen Konsens rückt.
[osm_map_v3 map_center=“52.5439,13.3899” zoom=“18” width=“100%” height=“450” ]
Ich hab mir die App gerade mal installiert um sie anzugucken. Dabei ist mir aufgefallen, dass dort jetzt schon die Angebote für heute Abend drin stehen und die teilweise sogar “ausverkauft” sind. Ich dachte, dort geht es darum, abends noch schnell Reste loszuwerden. Ist es dann nicht kontraproduktiv, morgens schon zu planen und anzukündigen, wie viel am abend übrig sein soll?
Es gibt eine Standardplanung für bestimmte Tage. Die Gastronome können die aber über den Tag hinweg modifizieren.