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Bowlingcenter für immer geschlossen:
Lesermeinung: “Ungerecht, wofür man sich einsetzt – und wofür nicht”

Nicht Corona hat dem Bowlingcenter den Garaus gemacht, sondern der neue Besitzer des Gebäudes. Unseren Leser ärgert das, und er stellt sich noch weitere Fragen - auch über Karstadt.
9. Juni 2021
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Bowlingcenter und real im Schillerparkcenter

Unser Leser Felix Mül­ler bedau­ert die Schlie­ßung des Bow­ling­cen­ters Schil­ler­park, weil das Gebäu­de in einen Büro­kom­plex umge­baut wird. Doch dar­aus erge­ben sich für ihn vie­le Fra­gen für die Post-Coro­na-Zeit. Was wol­len wir ret­ten? Wofür soll­te sich die Poli­tik interessieren?

Verbittert wegen der Schließung des Bowlingcenters

Foto: Bow­ling­cen­ter Schillerpark

“Ich habe das lan­ge gar nicht wahr­ha­ben wol­len oder nur so halb ver­folgt, weil ich dach­te: Da wird sich schon eine Lösung fin­den. Aber nun sieht es ja so aus, als kämen in das Gebäu­de Ein­zel­han­del (also wohl die mil­li­ons­te H&M oder Rewe-Filia­le) und dar­über hin­aus Büros, Büros, Büros, Büros – Din­ge, die die Welt braucht.
 
Mich ver­bit­tert das. Seit ich vor über zwölf Jah­ren in den Wed­ding gezo­gen bin, war das Bow­ling­cen­ter ein fes­ter Bezugs­punkt. Wenn mei­ne Part­ne­rin und ich wegen Arbeit oder ande­ren Din­gen am Ende und gestresst waren, lau­te­te die Ant­wort dar­auf meist “Lass uns eine Run­de bow­len gehen”. Seit wir einen Sohn haben, gehen wir mit ihm ins Bow­ling­cen­ter. Er rollt ech­te Kugeln, seit er zwei Jah­re alt ist. Im unend­li­chen Coro­na-Lock­down hat er nicht etwa die Kita ver­misst oder das sams­täg­li­che Kin­der­tur­nen (letz­te­res zumin­dest ein biss­chen). Statt­des­sen frag­te er immer wie­der: “Wann gehen wir wie­der ins Bow­ling­cen­ter?” Das war für uns fuß­läu­fig. Es war, wie zuvor auch, der Ort für den Stress­ab­bau. Es bricht mir das Herz, ihm zu sagen, dass es das bald nicht mehr gibt und wir in Zukunft drei Mona­te vor­her einen Ter­min machen und dann nach Königs Wus­ter­hau­sen gur­ken müs­sen, um zu bow­len, was wir dann rea­lis­ti­scher­wei­se nicht mehr tun wer­den.
 

Karstadt wird um jeden Preis gerettet

Mich erschreckt, wie sang- und klang­los die­ser Ort unter­geht (ja, auch der real-Markt, der den Men­schen eine Alter­na­ti­ve zum “Kauf­land aus der Höl­le” bot). Vor allem, und das regt mich extra auf, im Ver­gleich zu Kar­stadt am Leo. Da ist eine Ein­zel­han­dels­ket­te, die schon gro­ße Tei­le des 20. Jahr­hun­derts ver­schla­fen hat und im 21. Jahr­hun­dert nie ankam, und deren ein­zi­ge Exis­tenz­be­rech­ti­gung ist, dass sie als Treff­punkt für Senio­rin­nen und Senio­ren dient. Sobald aber ihr unwei­ger­li­ches Ende naht, wird sie mit Klau­en und Zäh­nen ver­tei­digt und mit allen denk­ba­ren Mit­teln der Bezirks- und Lan­des­po­li­tik künst­lich wei­ter­be­atmet. Dafür stirbt sie dann fünf Jah­re spä­ter, und der nächs­te Wahn­wit­z­in­ves­tor steht bestimmt längst auf der Mat­te, um in dem Gebäu­de was zu bau­en? Büros, Büros, Büros und “Ein­zel­han­del” (Rewe und H&M, eine Mil­li­on und eins). Als ob man die Immo­bi­lie nicht bes­ser nut­zen könn­te. Der Asia­markt funk­tio­niert, der Rest wäre super für Urban Gardening/Agriculture, Kul­tur­ein­rich­tun­gen, öffent­li­che Dienst­leis­tun­gen, Manu­fak­tu­ren und, hey, war­um nicht, eine Bow­ling­bahn. Und ger­ne ein Senio­ren­ca­fé, dort wo bis­her das Restau­rant ist. Statt­des­sen muss hier wei­ter ein Mau­so­le­um ver­wal­tet wer­den, bis der nächs­te Tur­bo­ka­pi­ta­list Ein­zug hält. Und ich will mich damit nicht über die Leu­te lus­tig machen, die da arbei­ten, aber deren Jobs hat am Ende das Gale­ria Kar­stadt Kauf­hof-Manage­ment ver­sem­melt, schon vor lan­ger Zeit.

Jüngere scheinen nicht zu interessieren

Sor­ry, ich will die­se Fra­gen eigent­lich nicht so pole­misch sehen, aber die Coro­na­kri­se hat etwas mit mir gemacht. Wäh­rend alle Welt zu Soli­da­ri­tät mit den Alten auf­rief, wur­den die Fami­li­en und jun­gen Leu­te in den Müll gekloppt. Wir haben ange­bo­ten, ein­kau­fen zu gehen, und der Dank war, dass die Oldies uns ange­f­ratzt haben, wenn unser Klei­ner mal unter dem Flat­ter­band durch auf einen der ohne­hin ver­wais­ten Spiel­plät­ze in unse­rer Sied­lung schlüpf­te. Im Bow­ling­cen­ter waren Fami­li­en, jun­ge Leu­te, und vor allem sehr vie­le Leu­te mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund. Viel­leicht ist das auch ein Fak­tor für die Indif­fe­renz, wen inter­es­siert schon ein Ort, den tür­ki­sche Jugend­li­che fre­quen­tie­ren? Es ist unge­recht, wofür man sich ein­setzt – und wofür nicht. Da wird das Him­mel­beet von der Oli-Kahn-Gedenk-Schei­ße ver­drängt, Simit Evi gibt auf und gegen­über der Näh­ma­schi­nen­la­den, der wirk­lich Cha­rak­ter hat­te (und ja, wir woll­ten uns immer mal eine Näh­ma­schi­ne zule­gen und haben es dann doch nicht getan). Kar­stadt aber war ein wich­ti­ger Ort für die (wei­ße) alte Gene­ra­ti­on, also muss er um jeden Preis geret­tet wer­den. Eine Frei­zeit­ein­rich­tung, die tag­täg­lich bis zum Anschlag voll war mit Kin­dern, Jugendlichen/ jun­gen Leu­ten, Fami­li­en und Hob­by­sport­lern scheint dage­gen nicht vie­le zu interessieren.”

Unser Leser Felix Mül­ler
 

Gastautor

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4 Comments

  1. “Wäh­rend alle Welt zu Soli­da­ri­tät mit den Alten aufrief …”

    Auf­rief.

    Um feh­len­de Unter­stüt­zung für die instru­men­ta­li­sier­ten Men­schen zu tar­nen, die man nicht gefragt hat, ob sie,
    um nicht viel­leicht zu ster­ben, des Lebens beraubt wer­den möch­te. Wenn man “nicht mehr so lan­ge hat”, ist ein Jahr viel­leicht das letzte!

    Um zu ver­schlei­ern, dass eine Len­kung und Bebuß­gel­de­rung der ele­men­tars­ten Lebens­be­rei­che nicht nur kei­ne Soli­da­ri­tät sein kann, son­dern Soli­da­ri­tät, die von Her­zen, aus Mit-Mensch­lich­keit ent­steht, effek­tiv verhindert!

    Mora­li­sie­ren­der, selbst­be­weih­räu­chern­der Eti­ket­ten­schwin­del. Widerlich.

  2. “in Zukunft drei Mona­te vor­her einen Ter­min machen und dann nach Königs Wus­ter­hau­sen gur­ken müs­sen, um zu bowlen”
    Völ­lig über­trie­ben, es gibt in Ber­lin vie­le ande­re Bow­ling Cen­ter, wo man am glei­chen Tag vor­bei kom­men kann.

    Die 20 Minu­ten U‑Bahn fah­ren schafft ihr.

  3. Ich, olle, wei­ße Nicht-Oma, füh­le mich ziem­lich und zu unrecht diffamiert.
    Als Rent­ne­rin, des­sen bin ich mir sehr bewusst, habe ich durch Coro­na wenig Nachteile.
    Aber doch eini­ge: Ein­sam­keit, kei­ne Kin­der um mich, ein­kau­fen gehen – ob real, Kar­stadt oder klei­ne (tür­ki­sche) Läden traue ich mich nur wenn es unbe­dingt sein muss.
    Wäre dies der ers­te Bei­trag, den ich im Wed­ding­wei­ser lese, wäre es auch der letzte.

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