Unser Leser Felix Müller bedauert die Schließung des Bowlingcenters Schillerpark, weil das Gebäude in einen Bürokomplex umgebaut wird. Doch daraus ergeben sich für ihn viele Fragen für die Post-Corona-Zeit. Was wollen wir retten? Wofür sollte sich die Politik interessieren?
Verbittert wegen der Schließung des Bowlingcenters
“Ich habe das lange gar nicht wahrhaben wollen oder nur so halb verfolgt, weil ich dachte: Da wird sich schon eine Lösung finden. Aber nun sieht es ja so aus, als kämen in das Gebäude Einzelhandel (also wohl die millionste H&M oder Rewe-Filiale) und darüber hinaus Büros, Büros, Büros, Büros – Dinge, die die Welt braucht.
Mich verbittert das. Seit ich vor über zwölf Jahren in den Wedding gezogen bin, war das Bowlingcenter ein fester Bezugspunkt. Wenn meine Partnerin und ich wegen Arbeit oder anderen Dingen am Ende und gestresst waren, lautete die Antwort darauf meist “Lass uns eine Runde bowlen gehen”. Seit wir einen Sohn haben, gehen wir mit ihm ins Bowlingcenter. Er rollt echte Kugeln, seit er zwei Jahre alt ist. Im unendlichen Corona-Lockdown hat er nicht etwa die Kita vermisst oder das samstägliche Kinderturnen (letzteres zumindest ein bisschen). Stattdessen fragte er immer wieder: “Wann gehen wir wieder ins Bowlingcenter?” Das war für uns fußläufig. Es war, wie zuvor auch, der Ort für den Stressabbau. Es bricht mir das Herz, ihm zu sagen, dass es das bald nicht mehr gibt und wir in Zukunft drei Monate vorher einen Termin machen und dann nach Königs Wusterhausen gurken müssen, um zu bowlen, was wir dann realistischerweise nicht mehr tun werden.
Karstadt wird um jeden Preis gerettet
Mich erschreckt, wie sang- und klanglos dieser Ort untergeht (ja, auch der real-Markt, der den Menschen eine Alternative zum “Kaufland aus der Hölle” bot). Vor allem, und das regt mich extra auf, im Vergleich zu Karstadt am Leo. Da ist eine Einzelhandelskette, die schon große Teile des 20. Jahrhunderts verschlafen hat und im 21. Jahrhundert nie ankam, und deren einzige Existenzberechtigung ist, dass sie als Treffpunkt für Seniorinnen und Senioren dient. Sobald aber ihr unweigerliches Ende naht, wird sie mit Klauen und Zähnen verteidigt und mit allen denkbaren Mitteln der Bezirks- und Landespolitik künstlich weiterbeatmet. Dafür stirbt sie dann fünf Jahre später, und der nächste Wahnwitzinvestor steht bestimmt längst auf der Matte, um in dem Gebäude was zu bauen? Büros, Büros, Büros und “Einzelhandel” (Rewe und H&M, eine Million und eins). Als ob man die Immobilie nicht besser nutzen könnte. Der Asiamarkt funktioniert, der Rest wäre super für Urban Gardening/Agriculture, Kultureinrichtungen, öffentliche Dienstleistungen, Manufakturen und, hey, warum nicht, eine Bowlingbahn. Und gerne ein Seniorencafé, dort wo bisher das Restaurant ist. Stattdessen muss hier weiter ein Mausoleum verwaltet werden, bis der nächste Turbokapitalist Einzug hält. Und ich will mich damit nicht über die Leute lustig machen, die da arbeiten, aber deren Jobs hat am Ende das Galeria Karstadt Kaufhof-Management versemmelt, schon vor langer Zeit.
Jüngere scheinen nicht zu interessieren
Sorry, ich will diese Fragen eigentlich nicht so polemisch sehen, aber die Coronakrise hat etwas mit mir gemacht. Während alle Welt zu Solidarität mit den Alten aufrief, wurden die Familien und jungen Leute in den Müll gekloppt. Wir haben angeboten, einkaufen zu gehen, und der Dank war, dass die Oldies uns angefratzt haben, wenn unser Kleiner mal unter dem Flatterband durch auf einen der ohnehin verwaisten Spielplätze in unserer Siedlung schlüpfte. Im Bowlingcenter waren Familien, junge Leute, und vor allem sehr viele Leute mit Migrationshintergrund. Vielleicht ist das auch ein Faktor für die Indifferenz, wen interessiert schon ein Ort, den türkische Jugendliche frequentieren? Es ist ungerecht, wofür man sich einsetzt – und wofür nicht. Da wird das Himmelbeet von der Oli-Kahn-Gedenk-Scheiße verdrängt, Simit Evi gibt auf und gegenüber der Nähmaschinenladen, der wirklich Charakter hatte (und ja, wir wollten uns immer mal eine Nähmaschine zulegen und haben es dann doch nicht getan). Karstadt aber war ein wichtiger Ort für die (weiße) alte Generation, also muss er um jeden Preis gerettet werden. Eine Freizeiteinrichtung, die tagtäglich bis zum Anschlag voll war mit Kindern, Jugendlichen/ jungen Leuten, Familien und Hobbysportlern scheint dagegen nicht viele zu interessieren.”
Unser Leser Felix Müller
“Während alle Welt zu Solidarität mit den Alten aufrief …”
Aufrief.
Um fehlende Unterstützung für die instrumentalisierten Menschen zu tarnen, die man nicht gefragt hat, ob sie,
um nicht vielleicht zu sterben, des Lebens beraubt werden möchte. Wenn man “nicht mehr so lange hat”, ist ein Jahr vielleicht das letzte!
Um zu verschleiern, dass eine Lenkung und Bebußgelderung der elementarsten Lebensbereiche nicht nur keine Solidarität sein kann, sondern Solidarität, die von Herzen, aus Mit-Menschlichkeit entsteht, effektiv verhindert!
Moralisierender, selbstbeweihräuchernder Etikettenschwindel. Widerlich.
“in Zukunft drei Monate vorher einen Termin machen und dann nach Königs Wusterhausen gurken müssen, um zu bowlen”
Völlig übertrieben, es gibt in Berlin viele andere Bowling Center, wo man am gleichen Tag vorbei kommen kann.
Die 20 Minuten U‑Bahn fahren schafft ihr.
Was bitte schön wurde für die Alten gemacht????????
Ich, olle, weiße Nicht-Oma, fühle mich ziemlich und zu unrecht diffamiert.
Als Rentnerin, dessen bin ich mir sehr bewusst, habe ich durch Corona wenig Nachteile.
Aber doch einige: Einsamkeit, keine Kinder um mich, einkaufen gehen – ob real, Karstadt oder kleine (türkische) Läden traue ich mich nur wenn es unbedingt sein muss.
Wäre dies der erste Beitrag, den ich im Weddingweiser lese, wäre es auch der letzte.