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Schreibcoach aus dem Kiez:
Guter Stil aus dem Wedding

14. Oktober 2023
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Kati Hertzsch lebt seit 2009 im Wed­ding. Seit 2014 hat sie ihr Büro im Stadt­teil und seit ver­gan­ge­nen August fin­det man auch die Agen­tur für guten Stil gretaschreibt.com im Bad­stra­ßen­kiez. Im Novem­ber steht ihr nächs­te Schreib-Work­shop an. In die­sem Text stellt sie sich und ihre Pro­fes­si­on vor.

Schreibcoach Kati Hertzsch. Foto: privat
Schreib­coach Kati Hertzsch. Foto: privat

Wir alle sind Autor:innen, wir ver­fas­sen jeden Tag Tex­te, wenn wir eine Nach­richt ins Tele­fon tip­pen oder eine E‑Mail schrei­ben. Aber sich hin­zu­set­zen und ein Buch zu schrei­ben, das ist schon ein Ding. Als ich 2009 für ein Prak­ti­kum nach Ber­lin gekom­men bin, hat­te ich kei­ne Ahnung, dass es den Beruf Lek­to­rin gibt, geschwei­ge denn, was die machen. Der Freund eines Freun­des (ha! Ber­lin) war der Ver­le­ger Chris­toph Links, der gleich nach der Wen­de einen Ver­lag für Poli­tik und Zeit­ge­schich­te gegrün­det hat­te, der heu­te im Auf­bau­haus am Moritz­platz zu fin­den ist. 

Ich habe schon immer wie eine Süch­ti­ge gele­sen und dach­te, ein Lite­ra­tur­stu­di­um sei eine gute Idee, doch nach den ers­ten Semi­na­ren bin ich vor lau­ter Theo­rie­kram und Staub und Lan­ge­wei­le lie­ber geflüch­tet und dann stand ich da, als Aus­hilfs­kell­ne­rin mit einem Magis­ter in Phi­lo­so­phie und Sprach­wis­sen­schaft (Klas­si­ker, ja, ja). Doch nach den ers­ten bei­den Wochen bei Chris­toph wuss­te ich: Das ist es. Das will ich. Dafür will ich mei­ne gan­ze Ener­gie her­ge­ben. Ich will Lek­to­rin sein.

Alte Schreibmaschine? Womit man schreibt, ist egal. Wichtig ist allein das wie. Foto: privat
Alte Schreib­ma­schi­ne? Womit man schreibt, ist egal. Wich­tig ist allein das wie. Foto: privat

Es ist unfass­bar span­nend, wie viel sorg­fäl­ti­ge Arbeit nötig ist, bis ein Buch im Laden liegt. Ein wich­ti­ger, aber weit­ge­hend unbe­kann­ter Teil davon ist das Lek­to­rat. Nein, das sind nicht die, die die Recht­schrei­bung kor­ri­gie­ren, son­dern Son­der­lin­ge und Nerds, die so tief in jeden Text hin­ein­krie­chen, dass sie ihn am Ende fast aus­wen­dig kön­nen, die Spra­che und Stil glät­ten, schie­fe Bil­der gera­de hän­gen und erbar­mungs­los auf der Jagd nach fie­sen Wie­der­ho­lun­gen sind, die uner­bitt­lich auf Logik pochen, auf Erzähl­per­spek­ti­ve, auf den Fluss, den Sound, die Figu­ren­re­de, jede noch so klei­ne Anga­be über­prü­fen, die fra­gen, mäkeln, boh­ren, kleis­tern, umgra­ben und am Ende mit einer sanf­ten Hand­be­we­gung das Laken glatt­strei­chen und den Text zurück in die Hän­de der Autor:innen geben. Wir kon­su­mie­ren Tex­te wie ande­re Men­schen Scho­ko­la­de und lesen wie Ver­durs­ten­de. Und immer, wirk­lich immer fällt uns etwas auf. Kei­ne Spei­se­kar­te, die nicht unter die Lupe genom­men wird, kein Post, Arti­kel, Buch der Kon­kur­renz, das man nicht zumin­dest inter­es­siert abklopft.

Nach dem Sach­buch­lek­to­rat bei Chris­toph Links bin ich zum Ber­lin Ver­lag gewech­selt, der damals ein Imprint des Har­ry-Pot­ter-Ver­lags Bloomsbu­ry beher­berg­te und vor allem auf Unter­hal­tungs­li­te­ra­tur spe­zia­li­siert war. Da hat­te ich schon längst Wit­te­rung auf­ge­nom­men und woll­te hoch hin­aus. Min­des­tens die Schwei­zer Ber­ge soll­ten es sein, der Ver­lag mit den auf­fäl­li­gen wei­ßen Buch­um­schlä­gen: Dio­ge­nes, Ver­lags­hei­mat von so außer­ge­wöhn­li­chen Autor:innen wie John Irving, Mar­tin Suter, Don­na Leon aber auch Legen­den des Kri­mis wie Ray­mond Chand­ler und Dashiell Ham­mett, Ross Mac­do­nald und Eric Ambler. Er ver­wal­tet die lite­ra­ri­schen Nach­läs­se von Gigan­ten wie Patri­cia High­s­mith und Fried­rich Dür­ren­matt, hat Janosch popu­lär gemacht, ver­legt Bern­hard Schlink und Ingrid Noll, Patrick Süs­kind und Pau­lo Coelho. 

Seit eini­gen Jah­ren weht ein biss­chen Wind durch die Rei­hen und jun­ge Autor:innen wie Ele­na Fischer, die gera­de für den Deut­schen Buch­preis nomi­niert war und noch immer auf der Best­stel­ler­lis­te steht, oder Bene­dict Wells, des­sen Roman „Vom Ende der Ein­sam­keit“ Hun­dert­tau­sen­den etwas bedeu­tet, Danie­la Kri­en oder Ste­fa­nie vor Schul­te sind star­ke weib­li­che Stimmen.

Schreibcoach Kati Hertzsch. Foto: privat
Schreib­coach Kati Hertzsch. Foto: privat

Ähm, wo war ich ste­hen­ge­blie­ben? Genau, beim Bücher­ma­chen. Und dann waren auf ein­mal zehn Jah­re ver­gan­gen, ich hat­te zwei Kin­der, ein drit­tes kün­dig­te sich an und es war Pan­de­mie. Und die war trotz aller Angst und Unsi­cher­heit auch ein Geschenk für mich: Man kann ja auch zu Hau­se arbei­ten. Man kann Zeit mit den Kin­dern ver­brin­gen und dann arbei­ten, wenn es in den All­tag passt. Habe ich mich also glatt noch mal in die­sen Beruf ver­liebt. Und gleich wie­der neue Plä­ne gemacht, denn die Arbeit im Ver­lag ist zwar nach wie vor mein Traum, aber für gewis­se Din­ge gibt es dort wenig Raum. Das gemein­sa­me Ent­wi­ckeln von Tex­ten etwa, die noch in den Anfän­gen ste­cken. Das Ver­mit­teln von Hand­werks­zeug, um gut durch den Schreib­pro­zess zu kom­men. Das Beglei­ten von Autor:innen auf ihrem Weg zum Manu­skript. Des­halb habe ich die Agen­tur für guten Stil gegrün­det und sie nach mei­ner ältes­ten Toch­ter benannt: www.gretaschreibt.com.

Ich bin immer wie­der über­wäl­tigt, wie vie­le Men­schen Geschich­ten in sich tra­gen, wie vie­le den Mut haben, sie auf­zu­schrei­ben, wie vie­le sich auf das Wag­nis ein­las­sen, einen Text zu schrei­ben, den ande­re lesen sol­len. Und wie viel Zeit und Ener­gie dar­in steckt! Mona­te, manch­mal Jah­re knap­sen sich Autor:innen die Stun­den am Schreib­tisch von Erwerbs- oder Care-Arbeit ab, stel­len fest, wie ein­sam es (auch) ist, zu schrei­ben, allein zu zwei­feln, sich im Text fort­zu­be­we­gen, ohne zu wis­sen, ob das über­haupt einen Sinn hat, ob das über­haupt gut ist, was man da macht. Für all die­je­ni­gen möch­te ich mit mei­nem Wis­sen als Lek­to­rin und mei­ner Lei­den­schaft für Tex­te zur Ver­fü­gung stehen. 

Ich bie­te klas­si­sche Lek­to­ra­te an, aber auch mei­nen Lese­ein­druck oder ein umfas­sen­des Gut­ach­ten über ein Manu­skript, wir kön­nen in Coa­chings gemein­sam ganz tief in Tex­te ein­stei­gen oder ich neh­me euch das Expo­sé­schrei­ben ab (unse­xy as hell, ich weiß!). Das Herz der Agen­tur sind Lek­to­rats­work­shops, in denen es drei Tage lang nur um Text, Text, Text geht. Da gibt es Feed­back zu den Lese­pro­ben und Pro­jekt­ideen, ich gebe mei­nen Ein­druck über Qua­li­tät und Ver­lags­rei­fe der Manu­skrip­te wie­der, ich ver­mitt­le und übe Grund­la­gen des Lek­to­rie­rens, damit frau/man sich danach selbst hel­fen kann. Und man kann mich und eine Lite­ra­tur­agen­tin nach Her­zens­lust ins Kreuz­ver­hör neh­men, wie das eigent­lich alles funk­tio­niert, wenn der Roman dann mal fer­tig ist. A pro­pos Roman: Damit ken­ne ich mich ein­fach am bes­ten aus, bei Lyrik und Sci­ence Fic­tion, Fan­ta­sy und Hor­ror bin ich raus. 

Das nächste Schreibseminar

Werbematerial für die Agentur für guten Stil. Grafik: privat
Wer­be­ma­te­ri­al für die Agen­tur für guten Stil. Gra­fik: privat

Das nächs­te Semi­nar fin­det vom 3. bis 5. Novem­ber 2023 online via Zoom statt. Du brauchst einen Rech­ner und eine Inter­net­ver­bin­dung, ein biss­chen Kaf­fee und Zeit. Wir star­ten am Frei­tag um 14 Uhr und sind am Sonn­tag fer­tig, wenn alle kei­ne Lust mehr haben. Bis zum 20. Okto­ber soll­test du mir min­des­tens 20, höchs­tens 50 Sei­ten Text schi­cken, dazu einen Pro­jekt­be­schrieb, aus dem ich dei­ne Idee erken­nen kann und wo es mit dem Text hin­ge­hen soll. Wir sind maxi­mal acht Teil­neh­mer, sodass genug Zeit bleibt, um inten­siv über die von mir vor­lek­to­rier­ten Tex­te zu spre­chen. Ich zei­ge, was Lek­to­rat kann, was ein Lek­to­rat für dei­nen Text bedeu­ten wür­de, gebe Hin­wei­se, wo es hakt und wie man das lösen kann. Im Nach­gang des Lek­to­rats hast du ins­ge­samt 50 von mir lek­to­rier­te Sei­ten Text, also eine schö­ne Lese­pro­be, um dich damit an Lite­ra­tur­agen­tu­ren und Ver­la­ge zu wenden.

Lite­ra­tur ist mein Leben und ich bin glück­lich, wenn ich das mit ande­ren tei­len kann. Kürz­lich muss­te ich mich einen Tag von der Fami­lie abmel­den (ein wenig Schnup­fen gaben dem Gan­zen den nöti­gen Ernst), um mich in Jar­ka Kurb­so­vas Roman „Marsch­lan­de“ zu ver­sen­ken. Also los, nehmt eure Tex­te aus der Schublade!

Text: Kati Hertzsch, Fotos: privat

Gastautor

Als offene Plattform veröffentlichen wir gerne auch Texte, die Gastautorinnen und -autoren für uns verfasst haben.

2 Comments

  1. Lie­ber Weddingweiser,
    einen Text über sich selbst zu ver­fas­sen ist oft eine inter­es­san­te Sache. Dies aller­dings über die neue Selbst­stän­dig­keit mit Ankün­di­gung zu Semi­na­ren zu tun, nennt man Werbung.
    Ich hof­fe, dass dies nicht der neue Stan­dard wei­te­rer Arti­kel wird.
    Es ist toll, dass ihr über Gewer­be­trei­ben­de im Kiez berich­tet. Dann aber bit­te mit der not­wen­di­gen jour­na­lis­ti­schen Distanz.

    Ein regel­mä­ßi­ger Leser.

    • Hal­lo Tim, ich fand es ein­fach bes­ser, wenn gera­de ein Schreib­coach sich selbst vor­stellt. Und ich fin­de, sie kann wirk­lich unter­halt­sam schrei­ben. Das sagt schon was über sie aus. Aber natür­lich sind stark wer­ben­de Tex­te nicht mein Anspruch. Ich sehe es als Aus­nah­me. Wobei ich sagen muss, dass bei uns in der Redak­ti­on die Schmerz­gren­ze bei dem The­ma enorm unter­schied­lich loka­li­siert ist… Vie­le Grüße!

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