Die verschwundene Geschäftswelt im Wedding wird gern beklagt. Legendär waren die vielen Kaufhäuser wie Hertie an der Chausseestraße, Held an der Brunnenstraße oder Bilka in der Müllerstraße. In Letzterem gab es so viele Fachgeschäfte, dass die schnurgerade Meile sogar als Ku’damm des Nordens bezeichnet wurde. Und das war nicht ironisch gemeint, denn trotz der Lage im weniger gut betuchten Arbeiterstadtteil gab es auch ein paar hochpreisige Kleidungsgeschäfte oder Filialisten. Aber war früher alles besser?
Von der einstigen Pracht der Geschäftsstraßen mit Angeboten für jede Preisklasse ist nahezu nichts mehr übrig. Das kann man bedauern, aber muss man sich wundern? Denn dafür gibt es zum Beispiel im Gesundbrunnen-Center 100 Shops. Die Kaufkraft wurde einfach dort gebündelt. Auch finden Geschäftsinhaber kaum Nachfolger für ihre immer älter und weniger werdende Kundschaft. Und die Jüngeren kaufen im Zweifel eben im Internet. Das Ende der Geschäftsstraßen war also absehbar und kein Straßenmanagement hat ihm wirklich etwas entgegensetzen können, weder im Wedding noch anderswo.
In den Kiezen selbst gab es früher viele kleine Händler für Lebensmittel wie Fisch, Milch und Eier, Handwerksbäcker und ‑fleischer sowie für Obst und Gemüse. An manchen Hausfassaden erinnern noch verblassende Schriftzüge daran. Mit der Müllerhalle gab es sogar einen überdachten Markt. 2012 wurde die Halle, die zuletzt mehr Leerstand hatte als belegte Flächen, abgerissen und durch einen Supermarktneubau ersetzt. Von denen gibt es immer größere Filialen, vielleicht zu viele – denn auch in den beiden riesigen real-Filialen im Wedding sind längst die Lichter ausgegangen. Ob sich da eine Trendwende abzeichnet – weg von den Hypermärkten mit Parkhaus zu fußläufig erreichbaren kleinen Märkten?
Wie heute eingekauft wird
Was den Lebensmitteleinkauf angeht, halten sich die Weddinger alles offen. Denn es gibt noch die klassischen Wochenmärkte: die Weddinger Märkte auf dem Leopoldplatz und in der Genter Straße haben ihre treue Kundschaft. Auch die türkischen Supermärkte florieren seit Jahrzehnten und es sind nicht nur Migranten, die dort einkaufen und die Vielfalt schätzen. Und mit dem Kartoffelladen in der Lüderitzstraße gibt es sogar einen richtigen Hofladen bei uns. Wie der kooperativ betriebene Supermarkt Super Coop in den Osramhöfen beweist, wollen auch immer mehr Weddinger abseits der großen Ketten einkaufen. Brot gibt es in vielen kleinen Bäckereien, die meistens von türkischen Familien betrieben werden. Dort gibt es neben neben günstigen Brötchen oft auch Aufback-Graubrot und leckere Simit-Sesamringe im Angebot. Und können wir nicht heute zu fast jeder Tageszeit Kleinigkeiten im Späti an der Ecke erstehen? Für ganz Bequeme gibt es dann noch die vielen Lieferdienste, ob vom lokalen Supermarkt oder eilig mit dem Fahrrad vom Dark Store um die Ecke. Ein moderne Erscheinung sind die Öffnungszeiten: Noch vor wenigen Jahrzehnten machten die Geschäfte schon um 18.30 Uhr zu, heute öffnen nicht nur große Ketten zwischen 7 Uhr morgens und spät am Abend.
Den Niedergang der Geschäftsstraßen und den Verlust der kleinen Läden kann man zu Recht bedauern. Aber es gibt eben auch Hoffnung, dass im Wedding neue Geschäftsideen dafür sorgen, dass nicht alle Ladenflächen leerstehen. Und dass Unternehmergeist immer auch einen Platz in unserem Stadtteil findet.
Vielleicht war früher nicht alles besser, sondern einfach nur anders?
Bei der Wiederholung der Läden auf der Müllerstr. fehlen noch die Barbershops, Wettbüros, Spielcasinos und die als Cocktailbar getarnten Hinterzimmer-Spielhöllen, auch Geldwaschanlagen. Oft auch in den Nebenstraßen der Müllerstr. zu finden.
Diese Angebote gehen voll an meinem Bedarf vorbei. Aber es scheint eine Nachfrage zu geben.
Und die schafft das Angebot.
Hallo
die Müllerstr mitte der 70er war ein Genuss… es gab gute kleine Geschäfte… div. Jeansläden , einen guten aber teuren Herrenausstatter (also schicke Anzüge). , Karstadt C&A , mehrere Woolworths , Bilka usw
Heute ist die Strasse verdreckt , es wiederholt sich immer in der gleichen Reihenfolge Bäckerei-Handyshop-Thaiimbiss-Döner-Spätkauf ‑Bar-Shishabar und wieder von vorne
Die hier in der Radaktion neu Hinzugezogenen kennen die Müller so eben nicht mehr… darum ist es eben nicht einfach nur anders sondern Früher war es wirklich schöner auf der Müller
Dennoch wie immer noch eine schöne Woche
Es wird ja gar nicht bezweifelt, dass die Müllerstraße früher lebendiger und schöner war, aber aufgrund anderer Kundenwünsche und eines anderen Einkaufsverhaltens wird diese Zeit wohl nicht mehr zurückkommen.
Es fehlt: “… und einer anderen Bevölkerungsstruktur..”
Aber zurückkommen wird hier nix – eher geht es (spätestens wenn Galeria mal weg ist – weiter bergab!
Hallo nochmal verbinde die Punkte – in diesem Fall diese 3 Kommentare :))
.…anderer Kundenwünsche und eines anderen Einkaufsverhaltens… plus .…und einer anderen Bevölkerungsstruktur…Bäckerei-Handyshop-Thaiimbiss-Döner-Spätkauf ‑Bar-Shishabar
noch vergessen 1‑Euroläden!!
in diesem Sinne
“Und die Jüngeren kaufen im Zweifel eben im Internet!”
Ist das nicht ein wenig pauschal? Wir (beide deutlich über 60, bzw. fast 70) kaufen nahezu 70% aller Waren (ausser Lebensmittel u.ä.) im Internet ein!
Warum:
1. Gibt es hier die deutlich größere Auswahl (u.a. stößt man auf Dinge, die man in keinem Laden sieht!
2. Es gibt ein unbegrenztes Umtauschrecht – d.h., man darf sich auch einmal “vertun”. In vielen Geschäften ist eine Rückgabe nicht (oder nur gegen Gutschein) möglich!
3. Das Einkaufen in den vorhandenen/verbliebenen Geschäften ist hier kein Genuss (aber man kann/will) ja nicht immer auf den Kudamm!
4. Die Müllerstraße lädt nun wirklich nicht zu Bummeln ein. Hin – kaufen – und schnell wieder weg!
Naja, dass sie das auch so machen ändert ja nichts an der Aussage, dass Jüngere es im Zweifel tun, oder?