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Geschichtsveranstaltung:
Geschichtsprojekt zeigt seltenes Filmmaterial

Zwei Beispiele politischer Filmarbeit aus den 1970er Jahren im Brunnenviertel.
11. August 2021

Wäh­rend heu­te eini­ge glau­ben, ins Sprach­ge­fü­ge ein­grei­fen zu kön­nen, so glaub­ten in den 1960er Jah­re Stadt­pla­ner das gewach­se­ne Stadt­ge­fü­ge bes­ser for­men zu kön­nen. Kras­ses­tes Bei­spiel für die­ses Expe­ri­ment ist das Brun­nen­vier­tel, Deutsch­lands größ­tes Gebiet einer Flä­chen­sa­nie­rung – Kri­ti­ker spre­chen von Kahl­schlag­sa­nie­rung. Gab es im Wed­ding dage­gen wirk­lich kei­nen Wider­stand, wie vie­le den­ken? Doch! Das Geschichts­pro­jekt Anno erzählt zeigt sel­te­nes Film­ma­te­ri­al vom Kampf um die Put­te, einem Jugend­zen­trum, Schü­ler­la­den und Hob­by­raum in der Rüge­ner Stra­ße. Eines der frü­hen besetz­ten Häu­ser Berlins.

Anno erzählt zeigt am 16. August zwei fil­mi­sche Wer­ke der 1970er Jah­re, die eng mit stadt- und sozi­al­po­li­ti­schen Kämp­fen ver­bun­den sind: „Mie­ter­so­li­da­ri­tät‟ von Max Wil­lutz­ki und Gerd Con­rad­ts „Put­te muss blei­ben‟. Der Film­ku­ra­tor Flo­ri­an Wüst ord­net zunächst die Bedeu­tung der Fil­me ein. Nach der Vor­füh­rung beant­wor­tet Fil­me­ma­cher Gerd Con­radt Fra­gen des Publi­kums. Ein­lass ist um 20 Uhr im Olof-Pal­me-Zen­trum in der Dem­mi­ner Stra­ße 28. Der Ein­tritt ist frei.

Geschichtlicher Hintergrund

Im Früh­jahr 1974 wur­de die „Put­te“ in der Rüge­ner Stra­ße 20 geräumt und abge­ris­sen. Das Kin­der- und Jugend­zen­trum, das auch als Wohn­ge­mein­schaft, Schü­ler­la­den und Hob­by­raum dien­te, war eines der ers­ten besetz­ten Häu­ser in West-Ber­lin. Das von Gerd Con­radt gemein­sam mit einer Semi­nar­grup­pe des Insti­tuts für Thea­ter­wis­sen­schaf­ten der FU Ber­lin gedreh­te Video Put­te muss blei­ben zeigt den Kampf der betrof­fe­nen Wed­din­ger Jugend­li­chen um den Erhalt ihres Pro­jekts. Neben der Dar­stel­lung der Wohn- und Lebens­ver­hält­nis­se im Brun­nen­vier­tel sowie Inter­views mit Anwoh­nern, Mit­strei­tern der Put­te und Ver­tre­tern von Poli­zei und Bezirk doku­men­tiert das Video die Demons­tra­tio­nen gegen den Abriss, die damals auf brei­te Unter­stüt­zung stie­ßen, aber letzt­lich erfolg­los blie­ben: die Abriss­bir­ne durch­lö­chert mit gna­den­lo­ser Gewalt die gemau­er­ten Wän­de des Hau­ses. Die zehn Jah­re spä­ter aktua­li­sier­te Fas­sung des Vide­os macht sicht­bar, dass die Ver­spre­chun­gen, an glei­cher Stel­le eine neue Ein­rich­tung für Jugend- und Kin­der­ar­beit zu bau­en, bis dahin nicht erfüllt wurden.

Als Vor­film zeigt Anno erzählt Max Wil­lutz­kis Kurz­film Mie­ter­so­li­da­ri­tät von 1970 über die ver­hin­der­te Zwangs­exmit­tie­rung einer sie­ben­köp­fi­gen Fami­lie im Mär­ki­schen Vier­tel. Vie­le der Bewoh­ner des his­to­ri­schen Brun­nen­vier­tels wur­den damals im Rah­men der städ­te­bau­li­chen Sanie­rung des süd­li­chen Wed­dings in das Mär­ki­sche Vier­tel umgesetzt.

Bei­de Fil­me sind Bei­spie­le für die Ansät­ze sowohl der poli­ti­schen Film­ar­beit als auch der Mit­te der 1970er Jah­re auf­kom­men­den video­ak­ti­vis­ti­schen Bewe­gung, um eine kri­ti­sche Gegen­öf­fent­lich­keit her­zu­stel­len. Der von den neu­en media­len Mit­teln unter­stütz­te Wider­stand gegen die Sanie­rungs­po­li­tik des Senats führ­te spä­tes­tens in den 1980er Jah­ren zur Umori­en­tie­rung hin zu einer behut­sa­me­ren Stadt­er­neue­rung. Was vor 50 Jah­ren im Wed­ding und im Mär­ki­schen Vier­tel geschah, ist heu­te hin­sicht­lich der wie­der zuge­spitz­ten Woh­nungs­fra­ge und der Ver­drän­gung von ein­kom­mens­schwa­chen Haus­hal­ten, Klein­ge­wer­be und sozia­len wie kul­tu­rel­len Ein­rich­tun­gen in Ber­lin aktu­el­ler denn je.

PS: Beschäf­tigt man sich mit Oppo­si­ti­on im Wed­ding, dann stößt man auf mehr Bei­spie­le als gemein­hin erwar­tet wird. Der Abriss der Schrip­pen­kir­che in der Acker­stra­ße ver­lief nicht geräusch­los. Fotos zei­gen Demons­tra­tio­nen zur Bil­dungs­po­li­tik an der ursprüng­li­chen Ran­ke-Schu­le in der Lüt­ti­cher Stra­ße. Der his­to­ri­sche Teil der heu­ti­gen Biblio­thek am Lui­sen­bad steht nur des­halb, weil Bür­ger die Abriss­bag­ger stopp­ten. Aus Haus­be­set­zun­gen gin­gen die PA58 und die Fabrik Oslo­er Stra­ße her­vor. Eine sys­te­ma­ti­sche Beschrei­bung von Pro­test­be­we­gun­gen im soge­nann­ten stil­len und armen Wed­ding steht noch aus.

(Der Text über­nimmt eine Pres­se­mit­tei­lung, ver­fasst von Flo­ri­an Wuest. And­rei Schnell ist einer der Orga­ni­sa­to­ren der Veranstaltung.) 

Andrei Schnell

Meine Feinde besitzen ein Stück der Wahrheit, das mir fehlt.

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