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Abriss Tegeler Straße:
Entschuldigung, ich reiße ihr Haus ab

24. Januar 2022

Der Lei­ter des Stand­orts Bay­er in der Mül­lerstra­ße Ste­fan Klatt hat sich ent­schul­digt. Sagt zumin­dest Stadt­rat Ephra­im Gothe. Aber wofür? Und bei wem? Und ist die Ent­schul­di­gung eine öffent­li­che? Oder hat er die Ent­schul­di­gung womög­lich ganz anders gemeint? Auf­klä­rung könn­te am Mitt­woch kom­men. Klar ist Stand heu­te, dass der Che­mie­kon­zern mit oder ohne gute Wor­te Wohn­häu­ser in der Tege­ler Stra­ße 2 bis 5 abrei­ßen will. Was pas­siert da gerade?

Tegeler Straße
Vom Abriss bedroht: Häu­ser in der Tege­ler Stra­ße. Foto: And­rei Schnell

“Der Stand­ort­lei­ter von Bay­er hat sich bei mir am Tele­fon ent­schul­digt, dass Ver­wer­fun­gen ein­ge­tre­ten sind”, hat Stadt­rat Ephra­im Gothe den Bezirks­ver­ord­ne­ten am letz­ten Don­ners­tag (20. Janu­ar) berich­tet. Er, Ephra­im Gothe, habe dem Mana­ger klar­ge­macht, dass ein Abriss eines leer­ste­hen­den Sei­ten­flü­gels in der Tege­ler Stra­ße zu “Ver­un­si­che­rung bei den Mie­tern und in der poli­ti­schen Land­schaft füh­re”. Vor allem der Zeit­ab­lauf sei aus Sicht des Stadt­ra­tes ungüns­tig. Bay­er woll­te heu­te (Mon­tag, 24. Janu­ar) und damit zwei Tage vor einer Sit­zung des Aus­schus­ses für Stadt­ent­wick­lung (26. Janu­ar) die Bag­ger los­schi­cken. Die­se Akti­on mit dem Sei­ten­flü­gel ist nun erst ein­mal ver­scho­ben. Akti­vis­ten haben zu einer Demons­tra­ti­on für den heu­ti­gen Mon­tag um 8 Uhr auf­ge­ru­fen. Sie wol­len, dass der Abriss eines ein­zel­nen Sei­ten­flü­gels und vor allem aller Miet­häu­ser nicht nur für den Moment, son­dern end­gül­tig abge­sagt wird.

Was genau hin­ter der Ent­schul­di­gung steht, das kön­nen die Bezirks­po­li­ti­ker am Mitt­woch nach­fra­gen. Ist die Ent­schul­di­gung ledig­lich an Ephra­im Gothe gerich­tet – oder an die Mie­ter? Ist damit ledig­lich der tak­tisch unklu­ge Zeit­plan (Abriss vor Sit­zung) gemeint? Steht der Stand­ort­lei­ter öffent­lich zu der Ent­schul­di­gung oder war sie Teil eines Hin­ter­zim­mer­ge­sprä­ches? Steckt in der Ent­schul­di­gung für poli­ti­sche Ver­wer­fun­gen die Aus­sa­ge, dass es dem Stand­ort­lei­ter nicht Leid tut, Mie­tern ihre Woh­nung zu neh­men? Der Wed­ding­wei­ser konn­te beim Stand­ort­lei­ter nicht nach­fra­gen, die Pres­se­ab­tei­lung des Che­mie­kon­zerns ließ eine Anfra­ge die­ses Blogs unbeantwortet.

Die Abrisspläne und die Politik

Am Mitt­woch wer­den Ste­fan Klatt und wei­te­re Bay­er-Mana­ger im öffent­li­chen Teil des Aus­schus­ses für Stadt­ent­wick­lung erwar­tet. Sie sol­len im Tages­ord­nungs­punkt 9.2 ihre Plä­ne erläu­tern. Bis­lang heißt es, dass der Che­mie­kon­zern Platz für Bau­con­tai­ner braucht. Einen Teil der Indus­trie­an­la­gen will der Che­mie­rie­se sanie­ren. Eini­ge Poli­ti­ker erwar­ten mehr. “Bay­er muss jetzt für Klar­heit sor­gen. Es gab in der Ver­gan­gen­heit vie­le Kon­zep­te, jetzt muss auch mal etwas umge­setzt wer­den”, sagt zum Bei­spiel Sascha Schug von der SPD. Er spielt auf gro­ße Bau­plä­ne des Kon­zerns an, die vor weni­gen Jah­ren vor­ge­stellt wurden. 

Die Lin­ken brin­gen ihre Sicht so auf den Punkt: “Abriss­plä­ne der Bay­er AG von bezahl­ba­ren Woh­nun­gen?” Sie tei­len in den sozia­len Medi­en ein Bild eines Bag­gers vor einem Schutt­berg. Sie drän­gen den Bezirk zum Erhalt der Miet­häu­ser und frag­ten am letz­ten Don­ners­tag (20. Janu­ar) in der Bezirks­ver­ord­ne­ten­ver­samm­lung (BVV): “Wie wirkt das Bezirks­amt auf Bay­er ein, um den Wohn­raum in der Fenn­stra­ße 3334 und /Tegeler Stra­ße 1 bis 7 im Bestand zu erhal­ten?” Abge­ru­fen wird damit das Bild David gegen Goli­ath, klei­ner Mie­ter gegen Mil­li­ar­den­kon­zern – und das in Zei­ten stei­gen­der Mieten.

Grü­ne und CDU haben sich in der BVV-Sit­zung am ver­gan­ge­nen Don­ners­tag nicht an der Debat­te beteiligt.

Längste Zwischennutzung im Wedding

Stadt­rat Ephra­im Gothe weist dar­auf hin, dass der Erhalt der Häu­ser recht­lich unmög­lich ist. Seit 1958 exis­tiert ein bezirk­li­cher Plan, in dem Bay­er (damals noch Sche­ring) das gesam­te Are­al an der Fenn­stra­ße als Expan­si­on­flä­che zusagt wird. In ver­schie­de­nen fol­gen­den bezirk­li­chen und lan­des­wei­ten Ent­wick­lungs­plä­nen wur­de die­se Zusa­ge wie­der­holt. “Die Poli­tik hat sich immer schon größ­te Mühe gege­ben, den Glo­bal Play­er zu för­dern”, sagt Ephra­im Gothe. Mit ande­ren Wor­ten, die Miet­häu­ser in der Tege­ler Stra­ße ste­hen seit 60 Jah­ren unter Vor­be­halt – die längs­te Zwi­schen­nut­zung, die der Wed­ding gese­hen hat.

Hoffnung Sozialplan

“Wir müs­sen uns auf den Sozi­al­plan kon­zen­trie­ren”, sagt Sascha Schug von der SPD. Der wäre jedoch eine frei­wil­li­ge Leis­tung des Welt­kon­zerns. Denn: “Der Bau­nut­zungs­plan wur­de bereits 1960 über­ge­lei­tet. Da zu die­sem Zeit­punkt noch kei­ne ent­spre­chen­den Rege­lun­gen bestan­den, kann Bay­er nicht zur Durch­füh­rung eines Sozi­al­plan­ver­fah­rens ver­pflich­tet wer­den”. Das hat Ephra­im Gothe bereits im Novem­ber den Ver­ord­ne­ten in der Gro­ßen Anfra­ge 3322/V erklärt. “Die Rege­lung über den Sozi­al­plan ist erst­mals durch das Städ­te­bau­för­de­rungs­ge­setz von 1971 in das Städ­te­bau­recht ein­ge­führt wor­den.” Ein Sozi­al­plan ist also ein zu einem spä­te­ren Zeit­punkt ein­ge­führ­ter Rechts­ge­dan­ke und Bay­er kann sich auf die ihm gemach­te älte­re Zusa­ge berufen.

Hintergrund

Bay­er hat am 20. April 2020 beim Bezirks­amt bean­tragt, vier Grund­stü­cke in der Tege­ler Stra­ße abrei­ßen zu dür­fen. Das Amt hat den Abbruch mit Datum 4. Novem­ber 2020 geneh­migt. Die Bestä­ti­gung, dass mit dem Wech­sel von Woh­nen zu Gewer­be kei­ne Zweck­ent­frem­dung vor­liegt, hat Mit­te am 3. Novem­ber 2020 ausgestellt.

Andrei Schnell

Meine Feinde besitzen ein Stück der Wahrheit, das mir fehlt.

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