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Im grünen Norden des Wedding:
Afrikanisches Viertel – Ungewöhnliche Straßennamen

Hier lassen es sich Familien gut gehen - ein grüner und zunehmend lebendig werdender Kiez mit ruhigen Wohnstraßen und direkter Anbindung an den Volkspark Rehberge und den Plötzensee.
22. Dezember 2020
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Wie in kei­nem ande­ren Teil von Ber­lin-Wed­ding spie­geln sich in die­sem grü­nen Vier­tel Welt­an­schau­un­gen und poli­ti­sche Ein­flüs­se in den Stra­ßen­na­men und in der Archi­tek­tur der Gebäu­de. Togo­stra­ße, Kame­ru­ner Stra­ße, Swa­kop­mun­der Stra­ße - im ansons­ten unschein­bar wir­ken­den Wohn­ge­biet öst­lich des Volks­parks Reh­ber­ge tra­gen die Stra­ßen exo­tisch anmu­ten­de Namen. Das Gelän­de des spä­te­ren Volks­parks war vom Ham­bur­ger Kauf­mann Carl Hagen­beck für eine Aus­stel­lung vor­ge­se­hen, in der auch Afri­ka­ner zur Schau gestellt wer­den sollten.

Straßennamen repräsentieren deutsche Kolonialgeschichte

Das Vier­tel weist meh­re­re Bau­pha­sen auf: am Ende des 19. Jahr­hun­derts wur­de mit der plan­mä­ßi­gen Anla­ge zwi­schen See- und Ota­wi­st­ra­ße begon­nen. Die Benen­nung der Stra­ßen erfolg­te aus einer kolo­nia­len Eupho­rie her­aus, die das Deut­sche Reich damals erfasst hat­te.  Mit der “Kon­go-Kon­fe­renz”, einer Afri­ka-Kon­fe­renz der euro­päi­schen Groß­mäch­te in Ber­lin im Jah­re 188485 wur­de der afri­ka­ni­sche Kon­ti­nent will­kür­lich auf­ge­teilt. Neue Gren­zen zer­ris­sen die ange­stamm­ten Sied­lungs­räu­me der afri­ka­ni­schen Völ­ker. Für das Deut­sche Reich fiel nur ein ver­gleichs­wei­se klei­nes Stück vom Kuchen ab, näm­lich Kame­run, Togo, Deutsch-Süd­west (heu­te Nami­bia), Deutsch-Ost­afri­ka und San­si­bar (heu­te Tan­sa­nia). Nach die­sen so genann­ten “Schutz­ge­bie­ten” wur­den die ers­ten Stra­ßen im Afri­ka­ni­schen Vier­tel benannt.

Auch drei Per­sön­lich­kei­ten der deut­schen Afri­ka­po­li­tik wur­den mit Stra­ßen­na­men geehrt: Gus­tav Nach­ti­gal, Franz Adolf Lüde­ritz und Carl Peters. Sie hat­ten dazu bei­getra­gen, Tei­le des Kon­ti­nents mili­tä­risch oder durch Kauf­ver­trä­ge für deut­sche Inter­es­sen zu sichern. Dabei wur­de wenig Rück­sicht auf die Urbe­völ­ke­rung genom­men- blu­ti­ger Höhe­punkt war die Nie­der­schla­gung des Here­ro-Auf­stands von 1904 bis 1908.

Nach dem Ver­lust der deut­schen Kolo­nien 1918 erfolg­ten wei­te­re Stra­ßen­be­nen­nun­gen – man woll­te sich nicht damit abfin­den, dass es eine deut­sche Kolo­ni­al­po­li­tik nicht mehr geben sollte.

Den Bewoh­nern des Afri­ka­ni­schen Vier­tels ist die Bedeu­tung der Namen nahe­zu unbe­kannt. Zusatz­ta­feln, die eine his­to­ri­sche Ein­ord­nung der Stra­ßen­be­zeich­nun­gen erlau­ben, feh­len bis heu­te . Eini­ge Par­tei­en, anti­ras­sis­ti­sche Initia­ti­ven oder Ver­ei­ne, die sich der Auf­ar­bei­tung der kolo­nia­len Geschich­te ver­schrie­ben haben, for­der­ten die Umbe­nen­nung ein­zel­ner Stra­ßen. Vor allem die drei Namen Lüde­ritz­stra­ße, Nach­ti­gal­platz und Peter­s­al­lee stan­den im Kreuz­feu­er der Kri­tik. Zwei Namen sind im Dezem­ber 2022 geän­dert wor­den (Nach­ti­gal­platz > Man­ga-Bell-Platz, Lüde­ritz­stra­ße > Cor­ne­li­us-Fre­de­ricks-Stra­ße). Über den his­to­ri­schen Kon­text des Vier­tels infor­miert eine Ste­le an der Mül­lerstra­ße / Ecke Ota­wi­st­ra­ße. Inzwi­schen ist eine mobi­le Web­site mit Audio­gui­des hin­zu­ge­kom­men, die der his­to­risch inter­es­sier­te Besu­cher mit sei­nem Smart­phone bei einem Spa­zier­gang her­un­ter­la­den kann. 

Moderne Architektur im Afrikanischen Viertel

In den 1920ern Jah­ren, als der Wed­ding ein eigen­stän­di­ger Bezirk in Ber­lin war, waren die dort regie­ren­den Sozi­al­de­mo­kra­ten beson­ders auf­ge­schlos­sen gegen­über dem “Neu­en Bau­en”, das den Woh­nungs­bau refor­mie­ren soll­te. Zudem ver­füg­te der Bezirk über gro­ße Frei­flä­chen im Nord­os­ten. So kam es, dass gera­de dort beson­ders vie­le Reform­an­sät­ze bei den neu zu errich­ten­den Wohn­häu­sern aus­pro­biert wurden.

Um 1927 ent­stan­den nach Ent­wür­fen des Archi­tek­ten Lud­wig Mies van der Rohe in der süd­li­chen Afri­ka­ni­schen Stra­ße vier Häu­ser­zei­len, die für die dama­li­ge Zeit eine beson­ders ratio­nel­le und auf das Wesent­li­che redu­zier­te Bau­wei­se dar­stel­len. Mies van der Rohe lei­te­te zeit­gleich auch die Pla­nung der als weg­wei­send ange­se­he­nen Wei­ßen­hof-Sied­lung in Stutt­gart und war dort für den Bau eines Wohn­ge­bäu­des verantwortlich.

Ideologisches Bauen und Versperren

1929 wur­de der ers­te Bau­ab­schnitt des nach damals sehr moder­nen land­schafts­pla­ne­ri­schen Kri­te­ri­en ange­leg­ten Volks­parks Reh­ber­ge west­lich des Afri­ka­ni­schen Vier­tels fer­tig­ge­stellt. In den Jah­ren bis 1931 ent­stand am nörd­li­chen Rand die Fried­rich-Ebert-Sied­lung, ein frü­hes Bei­spiel moder­nen Bau­ens der Archi­tek­ten Mebes, Emme­rich und Bru­no Taut. Was in der Nach­kriegs­zeit beim Wie­der­auf­bau “nor­mal” wur­de, war hier noch eine Pio­nier­leis­tung: Kon­se­quent wur­den die Häu­ser in Zei­len­bau­wei­se und mit Flach­dä­chern ver­se­hen errich­tet. Dadurch hat jede der 1.700 Woh­nun­gen einen Blick auf die Grün­flä­chen zwi­schen den Häu­ser­rei­hen. Neu war auch, dass auf Schmuck­ele­men­te ver­zich­tet wur­de – nur die Anord­nung von Fens­tern und Trep­pen­häu­sern sorgt für eine Fas­sad­en­glie­de­rung. Die Sied­lung wur­de nach dem sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Reichs­prä­si­den­ten Fried­rich Ebert benannt, zu des­sen Ehren man einen Gedenk­stein errich­te­te. Den Natio­nal­so­zia­lis­ten war dies eben­so ein Dorn im Auge wie die Archi­tek­tur der Sied­lung: Der Gedenk­stein wur­de kur­zer­hand ent­fernt, die Sied­lung umbe­nannt und nach Süden hin mit einer die Sicht­ach­se ver­sper­ren­den Bebau­ung in kon­ser­va­ti­ve­rem Stil ergänzt. Aus der Zeit um 1940 stammt die gesam­te Bebau­ung zwi­schen Nachtigalplatz/Petersallee und der Ota­wi­st­ra­ße. Die Gebäu­de sind ähn­lich schlicht gehal­ten wie die Fried­rich-Ebert-Sied­lung, jedoch ver­fü­gen die Häu­ser wie­der über Sat­tel­dä­cher. Der Gedenk­stein wur­de zwi­schen­zeit­lich wie­der als Kopie an der Afri­ka­ni­schen Stra­ße (nahe Swa­kop­mun­der Str.) aufgestellt.

Erwähnt wer­den soll­ten auch die Häu­ser in der San­si­bar­stra­ße, die zwar nicht mehr über Hin­ter­häu­ser ver­fü­gen, aber immer noch an der durch­ge­hen­den Block­rand­be­bau­ung fest­hal­ten. Nur im ver­gleichs­wei­se gro­ßen Block Sansibar-/Togo-/Otawistr./Afrikanische Str. haben die Archi­tek­ten das “Ver­bot” von Hin­ter­häu­sern umgan­gen: Zur Afri­ka­ni­schen Stra­ße hin öff­net sich der begrün­te Hof, und anstel­le eines Vor­der­hau­ses gibt es hier zwei ein­zeln ste­hen­de “Tor­häu­ser”. In Ver­bin­dung mit dem ocker­far­be­nen Anstrich bie­tet die Wohn­an­la­ge mit Aus­rich­tung auf den Volks­park Reh­ber­ge einen reprä­sen­ta­ti­ven Anblick.

Hin­ter gleich­för­mi­gen Wohn­bau­ten an der Togo­stra­ße liegt die Klein­gar­ten­an­la­ge “Togo e.V.”, eine plan­mä­ßig errich­te­te Klein­gar­ten­an­la­ge aus dem Jahr 1939. Auch wenn sich der frü­her ver­wen­de­te Begriff Kolo­nie ein­deu­tig auf die Schre­ber­gär­ten bezieht, ist der Name – in Ver­bin­dung mit der ehe­ma­li­gen deut­schen Kolo­nie Togo – nicht weni­ger umstrit­ten als eini­ge ande­re Stra­ßen­na­men des Afri­ka­ni­schen Viertels.

Ein wenig bür­ger­li­cher, vor­städ­ti­scher und grü­ner als die ande­ren Kieze des Wed­ding – das Afri­ka­ni­sche Vier­tel ist seit eini­ger Zeit aus sei­nem Dorn­rös­chen­schlaf erwacht. Neue Cafés, sogar Bars und Gale­rien tau­chen als ers­te Vor­bo­ten einer Ver­än­de­rung der Nach­bar­schaft auf – ohne dass sich der Cha­rak­ter des Kiezes bis jetzt wesent­lich gewan­delt hät­te. Übri­gens woh­nen tat­säch­lich über­durch­schnitt­lich vie­le Afri­ka­nisch­stäm­mi­ge im Kiez.

Arti­kel über die Kame­ru­ner Straße

Arti­kel über die Togostraße

Film­pro­jekt Mül­ler Ecke Afrika

mehr Infor­ma­tio­nen zu den Stra­ßen­na­men im Einzelnen

Joachim Faust

hat 2011 den Blog gegründet. Heute leitet er das Projekt Weddingweiser. Mag die Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen gleichermaßen.

27 Comments Leave a Reply

  1. Bit­te das Wort “Schwarz­afri­ka­ner” strei­chen – es han­delt sich hier­bei um einen ver­al­te­te­ten, kolo­ni­al-gepräg­ten, ras­sis­ti­schen Begriff!

  2. […] schmut­zig. Die Son­nen­strah­len sind zu schwach, um den Win­ter­frost annä­hernd bezwin­gen zu kön­nen. Das Afri­ka­ni­sche Vier­tel im Ber­li­ner Stadt­teil Wed­ding har­mo­niert in sei­ner Archi­tek­tur farb­lich mit dem unrei­nen Schnee. An der Schnitt­stel­le zwischen […]

  3. […] auf der Rück­sei­te. In die­sen Tex­ten wird aus unter­schied­li­chen Per­spek­ti­ven auf die Geschich­te des Afri­ka­ni­schen Vier­tels, des deut­schen Kolo­nia­lis­mus in Afri­ka und des afri­ka­ni­schen Wider­stands ein­ge­gan­gen. Eigentlich […]

  4. […] Pio­nier­bau­ten im Stil der Neu­en Sach­lich­keit gel­ten die Wohn­ku­ben Lud­wig Mies van der Rohes an der Afri­ka­ni­schen Stra­ße. Anre­gen­de Ver­glei­che bie­ten die gleich­zei­ti­gen Wohn­bau­ten von Erich Glass an der Edinburger […]

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