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Leerstand im Brunnenviertel:
Ackerplatz: 111 Wochen Einkaufswüste

21. Dezember 2023

Jahrzehntelang versorgte ein Edeka in der Ackerstraße mehrere tausend Anwohner mit Milch, Kasslersteak und Kartoffeln. Doch nach einer Sanierung der Ladenzeile Ackerstraße 116 bis 118 ist bis heute kein neuer Lebensmittelhändler am Ackerplatz eingezogen. Nun haben Anwohner am 13. Dezember ihrem Ärger Luft gemacht. In ihren Augen trägt die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Degewo Schuld an 111 Wochen ohne Nahversorgung.

Thomas Jeutner
Pfarrer Jeutner wählt das Lied: "Macht hoch das Tor". Foto: Andrei Schnell

Ein Aufsteller mit einem Plakat, das eine Todesanzeige nachahmt, steht auf dem Ackerplatz. "Wir betrauern 111 Wochen ohne Edeka, ohne Nahversorgung im Kiez", ist zu lesen. Ein paar Anwohner stellen einen Tisch auf, bringen einen Topf mit Glühwein und verteilen Spekulatius. Pfarrer Thomas Jeutner von der Versöhnungsgemeinde hat seine Gitarre dabei und stimmt das Adventslied Macht hoch die Tür an. "Wir können bei der Tür ja an die Tür vom Edeka denken", begründet er, warum er diesen Kirchenklassiker als Protestlied gewählt hat. Gekommen ist auch Evelyne Leandro von der Stadtteilkoordination Brunnenstraße Nord. Auf Instagram hat das Quartiersmanagement Brunnenviertel auf den Termin hingewiesen. Es geht um ein Thema, das den Kiez bewegt.

Anlass für die Versammlung ist der Unmut vieler Menschen im Brunnenviertel, weil der Lebensmittelhändler Edeka nach einer Sanierung der Gebäude nicht zum Ackerplatz zurückgekehrt ist. Die Anwohner haben sich zu einer Initiative zusammengefunden. Sie vermuten, dass die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Degewo, der die Häuser am Ackerplatz gehören, nicht genügend tut, damit die leerstehenden Geschäftsräume wieder an einen Lebensmittelhändler vermietet werden. Zum Beispiel, dass sie ihre Mietvorstellungen reduziert. In einem Inserat geht die Degewo inklusive Mehrwertsteuer von einer Miete von 10.300 Euro für 505 Quadratmeter aus. Das sind 20,40 Euro pro Quadratmeter. Ohne Betriebskosten und ohne für die bei Gewerbemieten übliche Umsatzsteuer möchte die Degewo 7000 Euro Miete. Das sind 14 Euro kalt pro Quadratmeter.

Degewo sagt, es finde sich kein Mieter

111 Wochen
25 Anwohner beim Bürgertisch Ackerplatz. Foto: Andrei Schnell

Ein Pressesprecher der Degewo sagt: "Wir haben uns aktiv darum bemüht, einen Lebensmittelhändler für den Laden zu finden und nahezu alle Ketten angesprochen." Allerdings könnte in einer freien Marktwirtschaft niemand einfach angesiedelt werden. "Wir verstehen den Wunsch der Anwohner, dem wir von Anfang an Rechnung tragen wollten."

Den Leerstand will die Degewo offenbar beenden. Der Pressesprecher sagt: "Wir sind dabei, eine Lösung für die Fläche zu entwickeln." Das klingt nicht so, als ob zwingend ein Nahversorger zu der Lösung gehört. Weiter sagte der Pressesprecher, dass Lebensmittelhändler gegenüber der Degewo erklärt hätten, dass die Fläche in der Ackerstraße 116-118 zu klein für moderne Einzelhandelskonzepte und die Umsatzerwartung zu gering sei.

Brunnenviertel - Ende des Überflusses

Die Menschen im Brunnenviertel hatten dank der Brunnenstraße über viele Jahre hinweg eine hervorragende Ausstattung mit Lebensmittelläden. Doch nach und nach zogen sich die Supermärkte zurück. In der Brunnenstraße 132 (in der sich einst das Kino Atlantic befand) schloss vor mehr als einem Jahrzehnt der Discounter Aldi. Dann zog 2014 der Supermarkt Kaisers aus. Nach dem Abriss des Gebäudes und dem Bau von Kleinstwohnungen stehen seitdem in der Brunnenstraße 125 Einzelhandelsflächen leer. Und es zeichnet sich ab, dass das Kaufland in der Brunnenstraße 105-109 schließen wird. Auch der Großmarkt Real im nahen Gesundbrunnen Center ist gewichen. Nachfolger Rewe bietet nun nur noch auf einer Etage (Real hatte zwei Etagen) Lebensmittel an. Für die Anwohner zeichnet sich damit ein Trend ab: Die Zeiten des Überflusses und der Auswahl sind vorbei.

Ackerplatz in der Politik

Martha Kleedörfer
Bezirksverordnete Martha Kleedörfer. Foto: Andrei Schnell

Von den Bezirkspolitikern kam Martha Kleedörfer (Linke) zur Anwohnerversammlung auf dem Ackerplatz. Sie hat vorgeschlagen, dass die verärgerten Menschen einen Einwohnerantrag stellen sollten. Damit bliebe das Thema Leerstand im öffentlichen Gespräch. 1000 Unterschriften wären für einen solchen Antrag nötig. Die Idee fand nicht sofort Zustimmung, die Zahl 1000 klang offenbar hoch. Allerdings haben vor einem Jahr gerade mal zwei engagierte Mitglieder des Brunnenviertel e.V. gegen die Schließung des Kauflands innerhalb weniger Wochen über 800 gültige Unterschriften geschafft.

Die CDU-Fraktion hat zum Ackerplatz in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) einen Antrag und eine Anfrage gestellt. 2021 forderte die CDU den Bezirk auf: "Nahversorgung am Ackerplatz auch nach der Sanierung gewährleisten". Das Bezirksamt reagierte damals mit dem Hinweis, die Degewo habe bestätigt, dass wieder ein Nahversorgungsmarkt etabliert werden solle. 2022 fasste die CDU nach mit der Anfrage „Noch immer nix los in Sachen Nahversorgung am Ackerplatz?!“ In der Antwort des Bezirks hieß es, die Degewo stehe in letzten Vertragsverhandlungen mit einem potentiellen Mieter.

Am 21. September dieses Jahres hat ein Mitglied der Anwohnerinitiative in der BVV eine Einwohneranfrage gestellt und das Problem begründet: "Die nächsten Lebensmittelläden sind drei bis elf Bushaltestellen entfernt, für die vielen Alten und Gehbehinderten ein unüberbrückbares Hindernis". Unmittelbar neben dem ehemaligen Edeka befinden sich ein großes Seniorenwohnhaus und ein Pflegewohnheim. Tatsächlich zeigt eine Karte im Einzelhandelskonzept des Bezirks für das Brunnenviertel eine weiße Fläche. Das heißt: Der tiefe Wedding ist eine Einkaufswüste.

Bundestrend

Es ist ein bundesweiter Trend, dass die Zahl der Lebensmittelhändler (zu denen in der Statistik auch Drogerien gehören) zurückgeht. Im Jahr 2012 gab es in Deutschland 38.866 Geschäfte, 2022 war es 36.900. Vor allem Läden mit kleinen Flächen, also unter 400 Quadratmetern, schließen. Die Zahl ging in zehn Jahren von rund 10.000 auf rund 8000 zurück.

Gut untersucht ist, wie Käufer Geschäfte auswählen. So wissen die Lebensmittelhändler, dass für 77 Prozent das Preis-Leistungs-Verhältnis zählt. Auf Platz zwei steht das Sortiment. Auf Platz drei (69 Prozent) folgt die Erreichbarkeit. (Quelle Institut für Handelsforschung 2018). Das heißt, beim Punkt Erreichbarkeit reagieren Käufer empfindlich. Diesen Befund hat die Bürgerversammlung bestätigt.

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Der Text ent­stand in Zusam­men­ar­beit mit der Wed­din­ger All­ge­mei­nen Zei­tung (–> E‑Paper), der gedruck­ten Zei­tung für den Wed­ding. Autor ist And­rei Schnell.

Andrei Schnell

Meine Feinde besitzen ein Stück der Wahrheit, das mir fehlt.

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