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Mut, Hoffnung, Widerstand:
Kämpferische Frauen aus dem Wedding

20. Juli 2024

Das neue - im Juni erschienene Werk in der Reihe Wedding-Bücher – schildert, nach einem einführenden Beitrag über die politische Entwicklung von dem Aufbruch mit Weimar und seiner Verfassung hin zur NS-Diktatur, wobei die Sicht der Frauen hervorgehoben wird.

Danach werden die Lebenswege von neun Frauen geschildert, die wichtige Teile ihres Lebens im Wedding verbrachten. So auch Elly Kaiser, aus einer sozialdemokratischen Familie, lebte mit dem Sozialdemokraten Alexander Stein, ursprünglich russischer Sozialdemokrat zusammen, arbeitete in der SPD-Reichstagsfraktion und fanden – wie der Politologe Peter Lösche es formulierte – in der „sozialdemokratischen Solidargemeinschaft“ im in der Friedrich-Ebert-Siedlung eine Wohnung. Nach 1933 blieb nur der Weg in die Emigration über Prag, Paris, Marseille und dem Weg über die Pyrenäen und Portugal und nach einem bürokratischen Hin- und Her nach New York. Auch ihre Schwester Fanny Hüllenhagen wird in dem Buch gewürdigt, die in der Bellermannstraße 14 in einer kleinen Wohnung die jüdisch-verfolgte Wirtschaftswissenschaftlerin Dr. Helene Leroi versteckte und so über die NS-Zeit rettete.

Der zitierte Politologe Lösche war der Sohn von Dora Lösche, die auch in der Friedrich-Ebert-Siedlung wohnte. Ihr Ehemann Bruno war Weddinger Bezirksverordneter, sie selbst arbeitete in der USPD- später der SPD-Fraktion im Preußischen Landtag. Ihr Mann kam 1933 zunächst in Polizeihaft, dann ins KZ, wo sie ihn mit Hilde des Rechtsanwaltes Ernst Fraenkel herausholte. Fraenkel emigrierte in die USA, schrieb wegweisendes über die NS-Diktatur und war dann Professor am Otto-Suhr-Institut der FU. Dora Lösche verlor die Wohnung in der Friedrich-Ebert-Siedlung und fand eine neue in Neukölln. Ihr Ehemann wurde im Nachkriegs Berlin Volksbildungsstadtrat in Tiergarten, sie widmete sich der sozialdemokratischen Frauenarbeit.  Ebenfalls in der Friedrich-Ebert-Siedlung wohnte Erna Wiechert, als sie nach ihrer Partei und AWO-Arbeit in Bielefeld nach Berlin kam. Sie wurde 1933 ebenso wie ihr Lebensgefährte und späterer Ehemann inhaftiert, ihr Verfahren aber eingestellt, wohl auch weil die Richter des Kammergerichts die Schilderungen über die Folter und Misshandlungen glaubten. Erna Wiechert war nach 1945 Stadträtin im Wedding und war für die erfolgreich für die Verbesserung der Ernährung in den Nachkriegsjahren und die Jugendarbeit zuständig. Später wirkte sie noch im Berliner Abgeordnetenhaus.

In der Friedrich-Ebert-Siedlung Foto: Tilman Vogler

Auch die Künstlerin Hilde Rubinstein lebte in der Friedrich-Ebert-Siedlung. Sie engagierte sich mit Theaterinszenierungen, die von den Nazis verboten wurden. Ihr Engagement für die KPD führte sie ins Gefängnis wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“. Im Anschluss emigrierte sie nach Schweden. Auf einer Reise in die stalinistische UdSSR wurde sie verhaftet als „Trotzkistin“. Sie sollte in NS-Deutschland abgeschoben werden, gelang aber die Flucht und kehrte nach Schweden zurück, wo Peter Weiss sie für seine literarischen Arbeiten über die Widerstand („Ästhetik des Widerstands“) interviewte.

Neben diesen genannten Frauen wurden noch drei weitere standhafte Frauen gegen das NS-Regime portraitiert: So Ruth Schwalbach, die mit ihrem Ehemann der KPD-Opposition im Wedding angehörte, die sog. Weddinger Opposition, war besonders aktiv. Während ihr Mann flüchten konnte, wurde sie inhaftiert. Auch nach der Entlassung blieb sie aktiv, wurde verurteilt, ausgebürgert, ging nach Frankreich, dort interniert wurde sie nach der Freilassung von der Gestapo in Paris inhaftiert. Nach dem Krieg gehörte sie der KPD an, verlor aber ihre Arbeitsstellen, wohl auch wegen ihrer Tätigkeit in der KPD-fernen Weddinger Opposition. Bis zu ihrem Tode lebte auch sie in der Friedrich-Ebert-Siedlung. Auch die Weddinger KPD-Bezirksverordnete und Metallarbeiterin Ella Trebe wird hier ein ausführliches Portrait gezeichnet. Sie war besonders engagiert in der Frauenarbeit der Gewerkschaft, nach 1933 im Widerstand – auch mit Kurierdiensten – aktiv. Nach ihrer Inhaftierung wurde sie 1943 im KZ Sachsenhausen auf Weisung des Reichsführers SS Himmler mit vierzehn weiteren Widerständlern erschossen. Das letzte Lebensbild in dem Buch wird der ethischen Sozialistin Maria Hodann gewidmet, die bis 1926 mit dem Reinickendorfer Amtsarzt Max Hodann verheiratet war, der - wie sein Weddinger Kollege Salo Drucker - von den Nazis entlassen wurde. Sie war aktiv im Internationalen Sozialistischen Kampfbund (ISK), der eine Einheitsfront gegen die Nazis anstrebte. Zwei große Verhaftungswellen der Gestapo folgten. Maria Hodann wurde rechtzeitig gewarnt und floh über Dänemark nach Großbritannien, wo sie in der Labour-Party aktiv war und mit späteren führenden Sozialdemokraten aktiv war und nach dem Krieg in der Sozialistischen Internationale tätig war.

Dieses Buch weckt die Erinnerung an kämpferische Frauen aus dem Wedding und wegen der Nähe ihrer Wohnungen zur Friedrich-Ebert-Siedlung ist es auch eine Geschichte, wie eine Nachbarschaft auch politisch prägend sein kann. Was sagen die Nachkommen dieser mutigen Frauen, wenn sie im Tagesspiegel vom 6.7.2024 lasen, dass der ehemaliger AfD-Politiker Andre Poggenburg in einer Rede „Volksrichter und Arbeitslager“ forderte?    

Autor: Bernd Schimmler                                                

Walter Frey, Brunhilde Wehinger: Mut Hoffnung Widerstand, Politisch engagierte Frauen in Berlin-Wedding während der Weimarer Republik und der NS-Diktatur. Band 10 in der Reihe „Wedding-Bücher“ im Verlag Walter Frey, Berlin 2024, 254 Seiten, € 20.

Gastautor

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