Nicht allen Weddingern gefällt das neue Rathausumfeld. Vielen ist es zu kahl: »Diese Steinwüste hat 4,5 Millionen Euro Steuergeld gekostet«, titelte die Boulevardzeitung »B.Z.« nach der feierlichen Eröffnung – und sprach damit vielen Anwohnern aus der Seele.
Tiefergelegtes Bodenniveau
Ein großer Teil des verbauten Geldbetrages ist allerdings unter dem Platz verbuddelt. Dort wurde unter anderem eine Regenwasserzisterne eingerichtet, die dafür sorgt, dass bei Starkregen die im Wedding übliche Mischwasserkanalisation nicht überläuft und den ganzen Unrat der Stadt ungeklärt in die Spree spült. Und weil die Kapazität der Kanalisation unter der Müllerstraße begrenzt ist, mussten zudem neue Abwasserrohre in Richtung Genter Straße verlegt werden. Das kostete viel Zeit und Geld – zu sehen ist davon freilich nichts mehr. Die Unzufriedenheit mit dem neuen Platzbereich entzündet sich jedoch nicht an dem Geld, das seine Neugestaltung verschlungen hat. Die meisten stören sich an der steinernen Weite, die er jetzt ausströmt. Und in der Tat hat dieser Teil des zentralen Wedding durch die Neugestaltung seinen Charakter grundsätzlich geändert. Viele Bäume sind verschwunden, weil die Hochbeete, in denen sie wurzelten, abgebaut wurden und weil die Treppen, die einst zu dem Bereich unter dem ehemaligen BVV-Saal am ehemaligen Rathaus-Neubau geführt haben, zugunsten eines sanften, barrierefrei begehbaren Bodengefälles abgetragen sind. Wo sich das Bodenniveau änderte, mussten die alten Bäume weichen, denn man kann sie ja nicht samt Wurzelwerk einfach einen Meter tiefer legen. Und die neuen Bäume, die etwa entlang des »Elise-und-Otto-Hampel-Wegs« am Rathaus gepflanzt sind, wirken im Vergleich dazu noch mickrig. Es wird noch ein paar Jahre dauern, bis sie ihre volle Pracht entfalten.
Wieso aber, so fragen sich viele, konnte man die Hochbeete, die den Platz einst strukturiert hatten, nicht belassen? Man hätte sie ja auch neu einfassen können, so dass sie eine zeitgemäße Gestalt annehmen, und dabei beispielsweise auch Bänke an ihren Rändern anbringen können. Die Planung wurde allerdings nicht im Geheimen gemacht, sondern öffentlich in zahlreichen und auch gut besuchten Veranstaltungen diskutiert. Und es gibt ja auch nicht wenige, die den jetzigen Zustand für besser halten als den früheren. Denn sie erkennen in der Übersichtlichkeit des Rathausumfeldes einen eigenen Wert. Nicht nur, weil sie das Sicherheitsgefühl stärkt, den Drogendealern weniger Verstecke für ihre zweifelhafte Ware bietet und dem geplanten Platzdienst die Arbeit erleichtert, der – ähnlich wie auf dem Leopoldplatz – auch im Rathausumfeld für die Einhaltung der Grundregeln des menschlichen Zusammenlebens sorgen soll. Zudem trägt die neue Gestaltung auch dem Umstand Rechnung, dass das Straßen- und Grünflächenamt in Mitte personell kaum noch in der Lage ist, die vorhandenen Grünflächen nachhaltig zu pflegen, und deshalb kategorisch pflegeleichte Neugestaltungen des öffentlichen Raumes verlangt.
Öffentliche Räume, die Weite ausstrahlen
Einen Wert stellt die Übersichtlichkeit aber auch deshalb dar, weil »Weite« in der dicht besiedelten Innenstadt vielen ein besonderes Bedürfnis ist. Immer mehr Menschen wohnen hier in immer engeren Verhältnissen – der neue Trend auf dem Immobilienmarkt sind ja auch im Wedding extrem kleine »Mikro-Apartments«. Und immer mehr Kulturen treffen hier aufeinander. Die Zuwanderung aus dem Ausland wird in den nächsten Jahren ganz sicher weitergehen, ob man das nun gut findet oder nicht. Wo unterschiedlich geprägte Menschen aber eng aufeinander leben, da brauchen sie öffentliche Räume, die Weite ausstrahlen. Da wird die Entspannung, die ein unverstellter Blick »über die Steppe« uns Menschen nun einmal bietet, zu einem Grundbedürfnis. So oder so ähnlich denken derzeit jedenfalls viele, die sich professionell und intensiv mit urbaner Landschaftsarchitektur und der Gestaltung des öffentlichen Raums aus-einandersetzen.
Der »steinerne Stadtplatz«, an dem sich die Kontroverse entzündet, bildet zudem nur eine Teilzone des neuen Rathausumfeldes. Die anderen Zonen sind der neue »Lesegarten« an der Bibliothek, der »Elise-und-Otto-Hampel-Weg« entlang des Rathauses mit seinen Bänken und Aufenthaltsbereichen sowie die Liegewiese an der Genter Straße. Im kommenden Sommer wird sich herausstellen, ob diese klare Zonierung tatsächlich so funktioniert, wie sich die Planer das vorgestellt haben: Dass die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen, die hier aufeinandertreffen, sie sich aneignen – ob es nun Studenten der Beuth-Hochschule, Arbeitslose vom Jobcenter, Beamte aus dem Rathaus oder Flüchtlinge aus den Weddinger Wohnheimen sein mögen. Und dass sie sich hier gegenseitig als Stadtbürger wahrnehmen und nicht ausblenden, wie es ansonsten ja leider allzu oft üblich ist.
Autor: Christof Schaffelder, Ecke Müllerstraße
Dieser Artikel erschien zunächst in der Sanierungszeitschrift “Ecke Müllerstraße”
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