Ein Bericht über Verdrängung von Mietern, für die kein Neubau hilft und über das was folgt, wenn Kleingewerbe verschwindet. Diese Geschichte ist so lang, weil sie aufgeschrieben werden muss und sie ist so kurz, weil nicht alles geschrieben werden darf.
Eine Blaupause
16,4 Milliarden Euro wurden 2016 auf dem Berliner Immobilienmarkt hin und her geschoben (Quelle: BMU). Ein Teil dieser Summe stammt aus dem Verkauf eines Hauses in der Lüderitzstraße.
Ein typischer Berliner Altbau – gut in Schuss. Die Lage? Aufstrebend! Das sind die Keyfacts, mit denen solche Objekte beworben werden. An Käufer, die zumeist leicht zu finden sind, aber am liebsten anonym bleiben wollen. Es ist aber auch das Zuhause von Menschen. Von Jungen und Alten, von Arbeitslosen, Studierenden, ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen. Familien, Paare, WitwerInnen oder Singles. Bewohnt von Alteingesessenen, denen vorgeworfen wird, sie wollen, dass alles bleibt, wie es ist und Zugezogenen, denen man anlastet, alles zu verändern, die aber mittlerweile schneller in den Strudel des Mietenwahnsinns reingerissen werden, als sie ihre Umzugskartons auspacken können.
Die Bewohner des Hauses der Lüderitzstraße erhielten 2016 die Nachricht, dass das Gebäude an zwei neue Eigentümer verkauft wurde. Kurz danach waren bereits Vermesser im Gebäude. Weshalb? Das konnte man zu diesem Zeitpunkt nur ahnen. 2019 war es dann Gewissheit, die Eigentümer hatten einen Antrag auf Umwandlung in Eigentumswohnungen gestellt. Die Information darüber bekamen die Mieter nicht von den Eigentümern persönlich, sondern von der Mieterberatung Wedding, welche vom Fachbereich Stadtplanung des Bezirksamts Mitte damit beauftragt wurde. Da sich das Haus in einem Erhaltungsgebiet befindet, besteht eine Informationspflicht. Die Genehmigung zur Umwandlung in Eigentumswohnungen in einem Erhaltungsgebiet, muss des Weiteren durch das zuständige Amt erteilt werden, dafür reicht es schon, wenn folgendes Kriterium erfüllt ist: „[…] muss das Bezirksamt die Umwandlung gemäß § 172 BauGB u.a. genehmigen, wenn sich der Vermieter verpflichtet, innerhalb der nachfolgenden sieben Jahre nur an die Mieter des Hauses zu verkaufen“. (Berliner-Mieterverein) Für einen Investor sind 7 Jahre eine kurze Zeit.
Kurzer Ortswechsel: Berlin-Neukölln. Hier befindet sich die Kiezkneipe Syndikat. 33 Jahre lang, doch zum Jahreswechsel 2018/2019 sollte die Kneipe geräumt werden. Gekündigter Mietvertrag. Keine Chance auf Verlängerung. Keine Gesprächsbereitschaft seitens der Vermieter.
Moabit, Alt-Moabit 104 A: 50 Jahre lang war an dieser Adresse der Handwerksladen „Heimwerk“. Status: gekündigt.
Wilsnacker Straße, Moabit: Sitz einer Galerie, Status: gekündigt. Friedrichshain, Samariterstraße: Blumenladen „Pusteblume“ Status: gekündigt. (Berliner Morgenpost)
Was haben diese Häuser mit der Lüderitzstraße gemeinsam?
Die beiden neuen Eigentümer Dr. Ilja Gop und Roy Frydling in der Lüderitzstraße sind keine Unbekannten in der Immobilienbranche. Einer der beiden, Roy Frydling, ist Geschäftsführer der Pears Global Real Estate Germany GmbH und ein medienscheuer Mensch. Fotos von ihm sind nicht zu finden. Die Unternehmenshomepage ist offline, seitdem herauskam, dass die Firma 75 weitere Briefkastenfirmen (1) besitzt, welche unter anderem als Eigentümer der erwähnten Häuser in Neukölln, Moabit und Friedrichshain auftreten. 6200 Wohnungen in Berlin insgesamt (2), welche dem Netzwerk zugeschrieben werden. Vollständigkeit ungewiss.
Was war, was wird.
Für die Mieterinnen und Mieter der Lüderitzstraße blieb es nach Bekanntwerden des Verkaufs erst mal ruhig. Die beiden bestehenden Gewerbe im Erdgeschoss sind dagegen, wie in den Beispielen aus den anderen Kiezen, mittlerweile geräumt. Die Töpferei Schwarz nach über 40, der Schneider Ankobea nach 14 Jahren. Ankobea hätte noch die Chance gehabt, eine Mieterhöhung zu akzeptieren. Aber die hätte bei mindestens 500 € gelegen, unbezahlbar, und für ihn eher ein „Alibi-Angebot“ (siehe auch: Des Schneiders neue Räume).
Gewerbe ist gegen Verdrängung kaum geschützt, vor allem die Mietpreise können jeglicher Fantasie entspringen. Sei es, um soziale Einrichtungen fernzuhalten oder um Leerstand zu rechtfertigen.
Kurz nachdem der Töpfer raus war, begannen die Arbeiten in den ehemaligen Räumlichkeiten. Was, oder wer genau dort reinkommen soll, war lange nicht klar. Die Handwerker waren nicht sehr gesprächig, arbeiteten auch mal während der Ruhezeiten, genauer gesagt mitten in der Nacht. Die Bitte war, bei Lärm nicht die Polizei zu rufen, sondern eine im Flur ausgehängte Handynummer.
Die Einladung
Zum Ende der Bauarbeiten in den ehemaligen Gewerberäumen des Töpfers gab es schließlich doch eine Info über die neuen Mieter. Die Bewohner des Hauses erhielten eine Einladung zur Führung durch die neuen Räumlichkeiten für Mitte März. Zwei Hotel-Apartments würden entstehen. Wohnen auf Zeit. Für Geschäftsreisende oder UrlauberInnen. Die Firma, die auf dem Briefkopf steht, wurde erst am 15. November 2018 in das Handelsregister eingetragen, die Internetseite bis heute noch im Aufbau. Informationen über das Geschäftsmodell: Fehlanzeige. Der Vorstand der Firma ist Inhaber einer weiteren Firma, welche damit wirbt: „[…] Wir vermieten Ihre Immobilie stets zum bestmöglichen Mietzins. […] selbstverständlich kennen wir uns bestens mit den örtlichen Gesetzen wie der Mietpreisbremse, der ortsüblichen Vergleichsmiete (bzw. Mietspiegel) und dem Zweckentfremdungsverbotsgesetz aus und sind stets auf dem neusten Stand, um die bestmögliche Vermietung zu gewährleisten. […]“ (Webseite)
Finden und Anmieten kann man beide Apartments über Airbnb. Ein Apartment, 6 Nächte, Ende April: zwischen 933 € und 1.210 €. Lukrativer als der Töpfer ist es allemal. Das andere Apartment ist in diesem Zeitraum bereits belegt.
Weitere Informationen am Ende des Textes
Die Sorgen der Mieter der Lüderitzstraße, dass mit Geschäftsmodellen wie diesen die Nachbarschaft ausblutet, insbesondere das Kiezleben, welches auch durch die verschiedenen Gewerbe lebendig bleibt, sind berechtigt. Erst recht, wenn an der Geschäftsadresse, die auf dem Briefkopf der neuen Gewerbemieter steht, noch 217 weitere Firmen ihren Firmensitz haben: Friedrichstraße 171. (Stand 07.04.) eine Anschrift vieler Briefkastenfirmen und ein gängige Praxis, nicht erst seit gestern.
Neben der Töpferei und dem Schneider gehen solche Verkäufe auch für die Mieter der Wohnungen nie ohne Hiobsbotschaften über die Bühne. Neben der erwähnten Umwandlung in Eigentumswohnungen gab es direkt nach dem Verkauf die ersten Mieterhöhungen. Ende Dezember 2018, zwischen Weihnachten und Silvester, kam dann der Brief, vor dem viele MieterInnen momentan Angst haben: „Modernisierungsankündigung“. Scheinbar schnell zusammengeschustert, geradezu „dilettantisch“ geschrieben, wie ein Anwohner im Gespräch anmerkte, sei diese Ankündigung gewesen. Eine Fassadendämmung sei geplant, Fenstertausch, und in einem Nebensatz ist von einem Aufzug die Rede. Es wirkt, als wäre es das Ziel gewesen, das Schreiben unbedingt vor dem 1. Januar 2019 zu verschicken, um die Modernisierungsumlage von 11% statt 8% abgreifen zu können. Das Ganze zusätzlich etwas schwammig beschrieben, um sich später nicht auf konkrete Aussagen festnageln zu lassen.
Ob die erforderlichen Unterlagen beim zuständigen Amt ebenfalls in 2018 eingehen mussten, ist strittig, denn das sind sie nicht. Stand jetzt, reicht eine einfache Ankündigung für die Mieter, die Einreichung beim Amt aber auch im neuen Jahr. Einer Genehmigung steht somit wahrscheinlich nichts im Wege.
Des Weiteren gab es fragwürdige Methoden seitens der neuen Eigentümer, um an Wohnraum zu kommen, die bis jetzt unter Zuhilfenahme von Anwälten und dem Mieterverein erfolglos blieben. Eine genauere Beschreibung des Wie und Was ist leider aus Angst der Mieter vor Repressionen an dieser Stelle nicht öffentlich möglich. Verschiedene Mängel im Treppenhaus wurden dagegen bis heute nicht beseitigt, vermutlich weil Reparaturarbeiten nicht auf die Miete aufgeschlagen werden können. Als Beispiel: Die Deutsche Wohnen gibt im Schnitt von 5 Jahren 9,91 €/qm² für Reparaturen aus, für Modernisierungen dagegen hat sich der Wert von 4,67 €/qm² auf 22,85 €/qm² fast verfünffacht, schreibt der Tagesspiegel.
Eine der Wohnungen im Haus ist an die NGB-Living vermietet, so verrät es das Klingelschild […] „einer der größten professionellen Anbieter von studentischen Wohnkonzepten in Berlin.“ […] (Quelle), eine weitere an den Sportverein TUS Makkabi. Ob das unter Zweckentfremdung von Wohnraum fällt, ist an dieser Stelle fraglich, das müssen Juristen klären. Des Weiteren stehen mittlerweile auch einige Wohnungen leer. Der Anfang von spekulativem Leerstand? Reine Spekulation.
Das Haus in der Lüderitzstraße ist nur ein Beispiel, es könnte auch in der Seestraße stehen, in der Schwedenstraße oder in Kreuzberg. Die Frage, die sich die Mieter stellen ist: Was bringen Definitionen wie ein Erhaltungsgebiet, wenn der Schutz scheinbar nicht vorhanden ist? Eine automatische Zustimmung zur Eigentumsumwandlung, wenn die Frist von 7 Jahren bewahrt wird, scheinbare Zweckentfremdung, Verdrängung von Gewerbe und Modernisierungen, die Wohnung danach allzu oft unbezahlbar machen. So leben viele Mieter in Berlin in Angst vor dem Gang zum Briefkasten. Unabhängig von Deutsche Wohnen, Vonovia und Co. Es ist die Angst vor der Ungewissheit, die Angst, dass die Spekulanten immer schneller sind als die Politik. Die Spirale dreht sich anfangs langsam, dann ist man plötzlich mittendrin.
Es gibt bei alledem auch positive Beispiele, AmMa65 im Wedding hatte es geschafft, sich aus den Fängen eines Investors zu befreien, der 2015 schon im Tagesspiegel prophezeite, dass sich auch alle außerhalb des Rings auf etwas gefasst machen müssen: „Randlagen, […], werden in den nächsten Jahren interessanter werden, da sich viele Leute die Innenstadt nicht mehr leisten können.“ (Tagesspiegel 06.02.2015). Aber in der Summe gewinnen in diesem „Monopoly für Erwachsene“ die anderen, und das wird, so titelt der Tagesspiegel, auch ein Problem für die Stadtstruktur werden, Eine Generation geht für die Stadt verloren (Tagesspiegel vom 24.3.2019).
Boden ist endlich, nicht vermehrbar und von Wertsteigerung besonders betroffen. Jede neue Straßenbahnhaltestelle, jedes Café, ja sogar jeder Fahrradstreifen, wertet ein Viertel, eine Straße, ein Haus auf. Bezahlt von der Allgemeinheit, der öffentlichen Hand. Gleichzeitig wächst aber auch die Hand der Investoren, um kräftig zuzulangen und mit ihr auch der Zorn der Mieter. Die Vergesellschaftung von 75 Briefkästen sollte dabei ein legitimes Mittel von vielen sein.
Wie viel Anteil am Umsatz der Immobilienbranche dieser Hausverkauf hatte, wird man wahrscheinlich nie herausfinden. Die Mieter der Lüderitzstraße müssen nun abwarten, wie sich die ganze Lage entwickelt und welche Mittel und Wege die Politik kurzfristig bereithält, um sich zur Wehr zu setzen. Der Gang zum Briefkasten wird damit auf lange Sicht ein unbequemer, aber sie haben nur einen.
Danke für deinen gut recherchierten Artikel. Als Bewohner der Lüderitzstraße merke ich, wie die Einschläge immer näher kommen. Zuerst die Renovierung der Häuser Ecke Kongostraße durch die vonovia, dann der Skandal mit völlig runtergekommen Haus an der Ecke Kamerunerstraße, das vom Gesundheitsamt geräumt werden musste… Ich selbst habe es mit 12 Euro Kaltmiete (Mietspiegel sagt 8,56 Euro) mal mir der Mietpreisbremse versucht. Doch die Mietright GmbH, die sich als Kämpfer für die Mieterrechte darstellt, hat mir nach einem halben Jahr geschrieben: Sie werden keine Klage erheben. Das Amtsgericht Wedding lasse alle Klagen auf Mietminderung liegen, bis das Bundesverfassungsgericht über die Rechtmäßigkeit der Mietpreisbremse entschieden hat. Das kann noch bis Ende 2019 dauern…