Dies ist die Ergänzung zum Artikel „Wenn der Investor kommt“, welcher sich in der Lüderitzstraße abspielt. Der folgende Text bezieht sich einzig auf die Gewerberäume im Erdgeschoss. Es ist empfehlenswert, den Ausgangsartikel zuvor zu lesen.
Rückblick.
Mitte März luden die neuen Mieter der Gewerberäume zur Besichtigung ein. Nach allerlei Dreck, Nachtlärm sowie Ungewissheit, eine Methode um mit der Nachbarschaft in Kontakt zu kommen. Auch wenn ich kein Mieter des Hauses bin, war ich persönlich dort und so entstand dieser Text:
So begebe ich mich mit Neugier zur erwähnten Führung. Es ist April-Wetter. Sonne und Regen wechseln sich ab. Begleitet von frischen Böen, die die Lüderitzstraße auf- und ab peitschen.
Ich gehe in den Hausflur, folge einer Dame, die in besagte „Wohnung“ geht und sage „Hallo“. Von einem anderen Herrn kommt ein freundliches „Hallo“ zurück, die Laune reicht zum fröhlichen Händedruck.
Während meine Blicke noch durch den Raum schweifen, vom stylishen Dekofahrrad an der Wand, hoch zu dem eingezogenen Zwischenboden, für die Erhöhung der Bettenkapazität, hinüber zur Klimaanlage, stehen plötzlich 4 oder 5 weitere Leute in der Wohnung. Sie alle kennen sich, sie alle kennen die beiden Inhaber. Es folgt ungläubiges Staunen, über die Veränderung, welche hier stattfand. Wie schlimm es damals aussah. Nun dieser großartige Fußboden. Einfach toll, alles toll, alles geil, drücken diese Gesichter aus, der Mief des Alten ist endlich weg.
Ich schlendere auf und ab, gucke mir die Regale und
Schränke an. Ikea. Hier wird sich jeder Urlauber wohlfühlen. Zeitgleich denke
ich an die überteuerten Studentenapartments in der Utrechter Straße.
Einfachste technische Einrichtung, Mikrowelle von Exquisit, aber Mietpreise,
als hätte man eine integrierte Profiküche. Mit der Not lässt es sich immer am
leichtesten spielen.
Nun geht es rüber in das zweite Apartment, das größere der beiden – zu dem Zeitpunkt hat der Schneider auf der anderen Seite des Aufgangs noch 14 Tage bis sein Mietvertrag enden wird. 6 Leute können hier schlafen. Ein Zwischenboden sorgt wieder für zusätzliche Betten, im separaten Schlafzimmer am Ende der „Wohnung“ Stimmungsbilder an der Wand, die vermitteln: Berlin ist einfach geil.
Im unteren Bereich flimmert ein Fernseher an der Wand, auf dem jetzt ein Vorher-Nachher-Video abgespielt wird. Die Menge staunt noch einmal, wie es vorher hier aussah, wie heruntergekommen. Nur der Boden in der Küche nebenan wurde erhalten. Das war scheinbar eine saugute Idee, verrät die Euphorie in der Stimme beim Erzählen. Ansonsten war es einfach krass, ist der gemeinsame Tenor. Was so krass war, das weiß ich nicht genau. Es war halt krass. Aber nun ist alles geil.
6 Wochen dauert der Umbau zu Apartments wie diesen normalerweise. 6 Wochen, um den Mief alteingesessener Gewerbe zu beseitigen. Nur hier, im Wedding, dauerte es 4 ½ Monate, vieles ist schiefgelaufen.
Aber nun, fertig. Überall in Berlin gibt es diese Apartments, aber das ist das erste Projekt im Wedding. Hier ist richtig geiles Berliner Leben, heißt es. Ich überlege kurz „war“ in den Satz einzustreuen, belasse es aber doch beim einfachen Zuhören.
Wer hier wohnen wird, wird komplett unterschiedlich sein, erzählt mir einer der beiden Herren. Zumeist Geschäftsreisende, manchmal Familien. Was man nicht will, sind Handwerker. Die saufen manchmal oder schmeißen Flaschen auf die Straße. Aber die Apartments sind sowieso höherpreisig, schiebt man noch ein, Problem gelöst. Geil.
Die gängigen Buchungsportale führen Wohnungen wie diese. Ein intelligentes Buchungssystem wird den Preis ermitteln, den der Markt je nach Zeitpunkt und Dauer hergibt. Wobei das Wort Wohnung das böse Wort mit W ist. Es ist Gewerbe. Miete im Schnitt maximal 4 Wochen. Ein Wohncharakter besteht. Es sei wie ein Hotel. Verrückterweise Apartments. Es ist gut, wenn man die Gesetze kennt.
Wie sie auf dieses Objekt kamen? Diese Gewerbeflächen wurden frei, mit der Option auf das Gewerbe nebenan. Das macht es später leichter für die Putzteams.
Außerdem ist der Wedding richtig
geil im Kommen. Darum ist man jetzt das erste Mal in Wedding. Er schiebt noch
schnell hinterher: Es hieße ja „im“ Wedding.
Die Stimmung ist superduper. Ich denke mir: Ich finde euch zwar nicht
sympathisch, aber eure Hausaufgaben habt ihr wenigstens gemacht.
Und dann stehen wir plötzlich alle gemeinsam in der Küche. Das Sektglas in der Hand. Wir stoßen an. Er lacht, sie lachen, ich lache, wir alle lachen. Maximale Rendite, maximal geil das Ganze hier. Alles geil, habe ich das Gefühl.
Ich schlendere noch etwas weiter durch die „Wohnung“, die keine ist. Es ist ein Gewerbe, ein Hotelzimmer. Strikt an die Gesetze haltend wird das auch so bleiben.
Der Sekt ist alle, es war leider nicht viel und ich überlege, was ich hier noch will. Diese Räume stehen für alles, was ich eigentlich verachte und was dennoch legal ist. Es steht für ein System, das krank macht. Welches die Lebensadern einer Stadt verstopft wie Kalkablagerungen in der Blutbahn. Es ist das Gerinnsel im Gehirn, das sich langsam aufbaut, jederzeit bereit zum Platzen. Dabei wünsche ich den beiden Herren nicht, dass sie mit ihren Ideen scheitern, die Folgen dieser Idee aber sind ungesund.
Mit betäubtem Schwung stelle ich das Glas auf der Küchenplatte ab, gehe nach vorne Richtung Tür und sage höflich „Danke“. Maximal geil. Maximalen Erfolg. Jetzt schon ein geiler Tag für alle hier, versuche ich auszudrücken. Das, so glaube ich, funktioniert nicht.
Ich stehe an der Tür und habe das Gefühl, die Blicke durchlöchern mich von hinten. Wer oder was war das, was wollte dieser Typ hier? Ob das wirklich so stimmt, dass weiß ich nicht. Ich drehe mich noch einmal um, schüttel die Hände der beiden Herren und gehe hinaus.
Draußen scheint die Sonne, die Wimpel der Lüderitzstraße flattern im Wind. Ich schüttel mich aus Reflex, ich räuspere mich sogar, ein Walk of Shame nach Hause. Nach 40 Metern kommt plötzlich wieder der Regen – es ist halt nie so schön, wie es am Anfang wirkt. Aber heute ist alles maximal geil, maximal krass, maximale Rendite. Was ein geiles System höre ich sie drinnen denken. Der Regen wird zu Hagel.
Dies ist die Ergänzung zum Artikel „Wenn der Investor kommt“, welcher sich in der Lüderitzstraße abspielt. Der vorhergehende Text bezog sich einzig auf die Gewerberäume im Erdgeschoss. Es ist empfehlenswert, den Ausgangsartikel zuvor zu lesen.