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Zusammenbruch in Trümmern:
Wedding am Ende des Krieges und in der frühen Nachkriegszeit

8. Mai 2025
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Am 8. Mai feiern wir den 80. Jahrestags des Kriegsendes. Wie haben die Weddinger diese Zeit erlebt, was waren ihre größten Probleme? In diesem Artikel aus dem Buch "Der Wedding. Vergangenheit und Veränderung" von Bernd Schimmler geht es um diese Zeit.

Das Kriegsende brachte für den Wedding noch zahlreiche Zerstörungen. Die Sowjets forderten die Berliner zur Kapitulation auf. Der Wedding – insbesondere die Schulstraße – wurde zur Hauptkampflinie, und Soldaten versuchten, die Ringbahn zu verteidigen. Mit Pflastersteinen, Gegenständen und Fahrzeugen ließ die SS in der Brunnenstraße unter Aufsicht Barrikaden errichten. Zivilisten wurden zu diesen Arbeiten herangezogen. Zeitzeuge Rudi Jacsen berichtete, wie sowjetische Artillerie und Luftwaffe diese Arbeiten unterbrachen und wenigen die Flucht ermöglichten. Die 10. SS-Panzerdivision „Frundsberg“, die ihren Gefechtsstand im Humboldthain hatte, versuchte vergeblich, das „Großdeutsche Reich“ zu retten. Augenzeugen berichteten, wie erbarmungslos der Tod unter jungen Flakhelfern wütete – viele von ihnen waren erst 14 bis 16 Jahre alt.

Flakturm Gesundbrunnen 1943; Foto: Familienarchiv Heinz Radtke

Auch kirchliche Bauten wie die St.-Paul-Kirche wurden durch das Kriegsgeschehen schwer beschädigt, da dort Flakgeschütze der Wehrmacht aufgestellt worden waren. Eine Schadensmeldung vom 18. März 1945 dokumentiert zerstörte Wohnhäuser, unterbrochene Verkehrsverbindungen und viele Tote im Bezirk. Noch bis zum 29. April wurde im Wedding Brot gebacken. Am 2. Mai 1945 sprengte ein SS-Kommando den S-Bahntunnel unter dem Landwehrkanal. Das eindringende Wasser erreichte auch den U-Bahn-Tunnel zwischen dem Bahnhof Wedding und Kreuzberg – rund 1.000 Menschen, die dort Schutz gesucht hatten, ertranken.

Auch nach dem offiziellen Kriegsende setzte sich das Leid vieler Weddinger fort. Zwar war der Krieg vorbei, doch auch unter den ersten sowjetischen Besatzungstruppen kam es zu Übergriffen. Viele Vergewaltigungen in den Nachkriegswochen hinterließen tiefe Spuren. Besonders in der sowjetisch besetzten Zone (SBZ) wurde dieses Thema später tabuisiert.

Bereits am 3. Mai 1945 befahl das sowjetische Bezirkskommando Wedding die sofortige Aufnahme der Trümmerberäumung. Die Verwaltung erhielt die Vollmacht, dafür alle Einwohner heranzuziehen. Doch viele Verwaltungsstrukturen waren durch die Flucht der NS-Funktionäre zusammengebrochen. So wurde das Rathaus vor dem Abzug durch die Nationalsozialisten zerstört, und etwa 1,5 Millionen Reichsmark aus der Bezirkskasse mitgenommen. Viele NS-Verwaltungsbeamte versuchten zu fliehen oder sich bei der sowjetischen Kommandantur anzubieten. Der Weddinger NS-Bürgermeister Sutthoff-Groß begab sich – laut eigener Aufzeichnungen – nach Potsdam, um seine Dienste anzubieten. Er wurde verhaftet und starb später im Lager Buchenwald.

Das Rathaus Wedding heute

Die Nachkriegsverwaltung begann unter wechselnden Umständen. Laut verschiedenen Quellen wurde Scigalla (KPD) von den Sowjets am 8. Mai 1945 als Bürgermeister eingesetzt, manche DDR-Quellen nennen sogar den 28. April. Dem Heimatarchiv zufolge gab es vor Scigalla noch weitere Amtsinhaber. Ein Ausweis belegt Willi Nathan als Leiter der Finanzverwaltung ab dem 1. Mai 1945. Unterschrieben war dieser Ausweis von Carl Schröder, der darin als Bürgermeister bezeichnet wurde. Schröder wurde Anfang Mai von den Sowjets abgeholt, danach verliert sich seine Spur. Scigalla trat seine Nachfolge an.

Nachtrag: Widerstandskämpfer aus dem Bezirk

Nach dem Krieg, 1945 oder 1946, stellte eine Bezirksamtsdienststelle fest, dass 98 Weddinger ihren Widerstand mit dem Leben bezahlen mussten. 1.367 Weddinger waren in den Zuchthäusern und Konzentrationslagern inhaftiert. Ob die rassisch Verfolgten damals schon mitgerechnet wurden, ist nicht klar ersichtlich, da erst ab September 1945 eine Abteilung für die „Opfer der Nürnberger Gesetze“ geschaffen und eine jüdische Hilfsstelle eingerichtet wurde. Im Laufe der Jahre kamen noch zahlreiche Opfer hinzu, die durch die Rückkehr nach Berlin bekannt wurden.

Autor: Bernd Schimmler

Auszug aus dem Buch "Der Wedding. Vergangenheit und Veränderung", das wir hier besprochen haben, und das ihr unter der ISBN-10-3946327354 bestellen könnt.

Gastautor

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4 Comments Schreibe einen Kommentar

  1. Mein Urgroßvater wurde in den letzten Tagen gezwungen,im Alter von 80 Jahren, noch eine Waffe in die Hand zu nehmen.Letztmalig sah man ihn an der Prinzenallee.Meine Urgroßmutter starb im Dezember 45, vor Verzweiflung.

  2. Ich bin zwar erst 1949 im Dezember geboren in der Togostr. 77, kann mich aber noch gut erinnern in Trümmern gespielt zu haben. Mein Opa hatte aus dem ersten WK ein steifes Bein und mein Vater hatte verkrüppelte Füsse und brauchte darum nicht zum Wehrdienst, die Togostr. war eigentlich gut erhalten, nur an den Enden waren Trümmergrundstücke. wo sich Schrott- oder Kohlenhändler niedergelassen hatten. Mein Opa starb 1960 und meine Oma 1967. Heute bedauere ich es, sie nie nach ihrem Leben gefragt zu haben, aber damals als Kind war das nicht vor Interesse, meine Eltern starben 1996, ohne je darüber gesprochen zu haben. Die Familie meiner Mutter, die aus Schlesien gefüchtet war, habe ich nie kennengelernt, da sie in der DDR lebten. Ich bin froh, das wir seit her keinen Krieg mehr bei uns erleben mussten unf empfinde immer noch Trauer und Mitleid für die vielen Millionen Toten, die der Krieg über die Menschen brachte, Und sie haben nichts daraus gelernt,

  3. Hallo

    ich selbst habe an diesen Tag keine Erinnerung... bin zwar im Mai geboren aber zwölf Jahre später.
    Wir hatten drei Soldaten in unserer Familie, alle zwischen 32 und 35 als es 1939 losging, es waren 2 Großväter - mütterlich und väterlichseits und der Bruder meiner Oma väterlichseits. Alle hatten wohl Glück niemand in Gefangenschaft aber leicht verletzt: Großvater hatte keine rechten Daumen mehr und der Onkel hatte einen Granatsplitter?an die Stirn bekommen .Über diese kleine Stelle war die Haut drüber gewachsen, aber drunter fehlte der Knochen. Als kleines Kind hab ich da immer drauf gestarrt weil es pulsierte... aber niemand hat auch nur irgend jemals ein sterbens Wörtchen über all das Erlebte verlauten lassen... nix null nada.

    Das einzige was ich mal meiner Oma aus den Rippen leiern konnte, war das sie auf sich allein gestellt, meinen Vater und seine Schwester mit Cousine in unsere Heimat unserer UrUrgroßeltern schickte , als es wohl ungemütlich wurde in Berlin und als dann die russische Armee dann Richtung Deutschland/Berlin marschierte sind dann natürlich alle geflüchtet aus Schlesien

    Nun ist niemand mehr da und irgendwie fehlt mir dieser Teil unserer Familiengeschichte....

    in diesem Sinne

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