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Vor den Toren Berlins:
Stadt, Sand, Fluss: Die Geographie des Wedding

Zwischen Plötzensee und Humboldthöhe
30. September 2023
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Auf den ers­ten Blick wirkt die weit­ge­hend fla­che Topo­gra­phie unse­res Stadt­teils nicht beson­ders inter­es­sant. Dabei gibt es hier durch­aus natür­li­che Gege­ben­hei­ten, die den Wed­ding bis heu­te prä­gen, und sei es nur in den Namen, die sich heu­te hier noch finden. 

So wie hier auf der Düne Wed­ding haben vie­le Tei­le des Stadt­teils ursprüng­lich ausgesehen. 

Ein paar Fak­ten vor­weg. Der Wed­ding liegt etwa 35 – 45 Meter über dem Mee­res­spie­gel. Sei­ne land­schaft­li­che Erschei­nung ist von der letz­ten Eis­zeit geprägt. Im Wes­ten des Wed­ding wur­den aus Flug­sand meh­re­re Dünen­ket­ten gebil­det, dazwi­schen befin­den sich Seen und Fen­ne, die als Res­te frü­he­rer Gewäs­ser ver­blie­ben sind. Süd­lich von Rei­ni­cken­dorf nann­te man die Dünen “Wur­zel­ber­ge” (etwa auf dem Gelän­de des heu­ti­gen Schil­ler­parks). Im Wes­ten hei­ßen die Sand­dü­nen Leut­nants­ber­ge und Reh­ber­ge. Auf den Dünen gab es allen­falls Grä­ser und eini­ge Kie­fern, teil­wei­se eine dün­ne Humus­schicht, ansons­ten lag der Sand frei. Die heu­ti­ge Seen­ket­te Möwen­see, Sper­lings­see und Enten­pfuhl hieß frü­her „Das Lan­ge Fenn“. Es exis­tier­ten auch zwei natür­li­che Seen im heu­ti­gen Wed­ding, am bekann­tes­ten ist natür­lich der Plöt­zen­see (frü­her Gro­ßer Plöt­zen­see). Es gab auch einen Klei­nen Plöt­zen­see. Die­ser ging 1850 im Ber­lin-Span­dau­er Schif­fahrts­ka­nal auf. Der Schwar­ze Gra­ben hin­ge­gen ist kein natür­li­ches Gewäs­ser, son­dern ein Ent­wäs­se­rungs­ka­nal des 18. Jahrhunderts.

l: Reh­ber­ge, m: For­mung der Sand­dü­nen zu den Reh­ber­gen, r.: Mili­tär­ba­de­an­stalt Plöt­zen­see 1920

Unser (Ab)Fluss ist die Panke

Der Wed­ding hat zwei Gelän­de­ty­pen, die Tal­sand­flä­chen und den süd­west­li­chen Zip­fel der Hoch­flä­che des Bar­nim, eine Grund­mo­rä­ne aus Geschie­be­lehm. Das Ber­li­ner Urstrom­tal mit der Spree liegt zwi­schen dem Bar­nim und der Teltow-Hochfläche. 

Auf der Bar­nim-Hoch­flä­che befin­det sich die Was­ser­schei­de zwi­schen Nord- und Ost­see. Das ein­zi­ge natür­li­che Gewäs­ser, das den Wed­ding und Gesund­brun­nen durch­zieht, ist die Pan­ke. Das Pan­ke­was­ser fließt zum klei­nen Teil wie­der an der Fried­rich­stra­ße in die Spree und haupt­säch­lich über den Schif­fahrts­ka­nal in die Havel – somit in die Elbe und in die Nord­see. Die Pan­ke wur­de ab 1708 so oft umge­lei­tet und in einen Abwas­ser­ka­nal ver­wan­delt, dass man ihre natür­li­che Her­kunft kaum noch erah­nen kann. So wur­de bei­spiels­wei­se an der Tra­ve­mün­der und der Gro­pi­us­stra­ße ein Müh­len­gra­ben ange­legt, wodurch eine Insel ent­stand. Der alte Arm wur­de spä­ter zuge­schüt­tet (Ufer­stra­ße). Die an der Pan­ke lie­gen­den Was­ser­müh­len wur­den durch die für die­sen Fluss typi­schen Hoch­wäs­ser mehr­fach zer­stört. Sogar der Abfluss wur­de ver­än­dert, sodass die Pan­ke spä­tes­tens ab 1961 in Rich­tung Nordhafen/Schifffahrtskanal abfloss. Das alte Fluss­bett in Rich­tung Spree wur­de ver­rohrt und von der Pan­ke abge­schnit­ten. Als Süd­pan­ke wur­de es nach 1990 wie­der frei­ge­legt und mit dem heu­ti­gen Pan­ke­ab­fluss an der Schul­zen­dor­fer Stra­ße verbunden.

Der Ber­lin-Span­dau­er Schiff­fahrts­ka­nal selbst wur­de ab 1848 gegra­ben, ist also ein voll­stän­dig künst­li­ches Gewässer. 

Unter dem Pflaster der Sand

Wie muss man sich die Land­schaft zwi­schen Plöt­zen­see und Pan­ke vor­stel­len? Neben den besag­ten Flug­sand­dü­nen wucher­ten Kie­fern­ge­höl­ze, die sich mit Feucht­ge­bie­ten abwech­sel­ten. Land­wirt­schaft war kaum mög­lich, da die Boden­be­schaf­fen­heit als sehr ungüns­tig galt. Die Eis­zeit hin­ter­ließ im heu­ti­gen Wed­ding den soge­nann­ten Pan­kesan­der. San­der bestehen bei uns aus Quarz­sand und sind daher unfrucht­bar. Sie sind da ent­stan­den, wo Glet­scher­schmelz­bä­che wäh­rend der Weich­sel­eis­zeit vor mehr als 20.000 Jah­ren die End­mo­rä­ne durch­schnit­ten und sich als stark ver­floch­te­ner Fluss ver­brei­ter­ten. Dadurch ver­lor der Schmelz­bach an Geschwin­dig­keit und lager­te das mit­ge­führ­te Mate­ri­al als Sedi­ment ab.

Gab es Land­wirt­schaft? 1289 wur­de auf dem Wed­ding erst­mals ein Gehöft erwähnt, aber von einem gleich­na­mi­gen Dorf gibt es kei­ne Spu­ren. Die unfrucht­ba­re san­di­ge Hei­de­land­schaft, in der es nur weni­ge Äcker gab, war auch für die Stadt Ber­lin höchs­tens als Wei­de­land von Inter­es­se. Im Vor­werk Wed­ding, einem Guts­hof, der in etwa an der heu­ti­gen Wed­ding­stra­ße lag, wur­den vor allem Vieh­wirt­schaft und eine Schä­fe­rei betrie­ben. Spä­ter jag­ten die preu­ßi­schen Köni­ge Kanin­chen in einem Jagd­ter­rain an der heu­ti­gen Bel­ler­mann­stra­ße. Ansons­ten eig­ne­te sich der san­di­ge Boden gut als Artil­le­rie­schieß­platz, der sich unge­fähr west­lich des Loui­se-Schroe­der-Plat­zes befand (danach wur­de die Exer­zier­stra­ße benannt).

Doch so rich­tig mit die­sem “nutz­lo­sen” Gebiet abfin­den woll­ten sich die preu­ßi­schen Regen­ten nicht. Ab 1770 wur­den auf könig­li­ches Betrei­ben Kolo­nis­ten aus Süd­deutsch­land an der heu­ti­gen Gott­sched- und Rei­ni­cken­dor­fer Stra­ße ange­sie­delt, die das Land kul­ti­vie­ren soll­ten (Kolo­nie Neu-Wed­ding). 1781 wur­den wei­te­re 25 Kolo­nis­ten ange­sie­delt, sie beka­men ihr Haus geschenkt (Kolo­nie hin­ter dem Gesund­brun­nen). Es waren aller­dings kei­ne Acker­bau­ern, son­dern Obst- und Gemü­se­bau­ern. Das letz­te Kolo­nis­ten­haus aus dem Jahr 1782 an der Kolo­nie­stra­ße 57 gibt es heu­te noch. In der Kolo­nie befand sich auch eine Maul­beer­plan­ta­ge. Zur Bewäs­se­rung dien­te die Panke.

Heilwasser und Windkraft

Apro­pos Was­ser. 1748 kam man auf die Idee, das Was­ser an der Pan­ke­müh­le unter­su­chen zu las­sen. Es erwies sich als stark eisen­hal­tig und war ande­ren Heil­wäs­sern nicht ganz unähn­lich. Das Was­ser der Quel­le gefror nicht, so eisen­hal­tig war es. Dar­aus ent­stand der Bade­be­trieb am Gesund­brun­nen – des­sen Name und der der Bad­stra­ße sowie der Brun­nen­stra­ße gehen dar­auf zurück. Doch bei dem ein­set­zen­den Bau­boom Ende des 19. Jahr­hun­derts ver­sieg­te die Heil­quel­le endgültig. 

Nicht nur Was­ser­kraft wur­de im Wed­ding genutzt. Der star­ke Wind, der kei­ne natür­li­chen Hin­der­nis­se vor­fand, ließ zwar den Flug­sand in die Häu­ser und Woh­nun­gen flie­gen, aber er eig­ne­te sich auch für Wind­müh­len, die ab 1809 ent­stan­den. Ent­lang der Mül­lerstra­ße soll es 1846 bis zu 22 Wind­müh­len gege­ben haben, die gemein­sam mit umlie­gen­den Müh­len den größ­ten Müh­len­stand­ort Ber­lin bil­de­ten. Auch der Stra­ßen­na­me bezieht sich natür­lich auf den Berufs­stand des Müllers. 

Die Sanddünen werden geformt und bepflanzt

Wie schon erwähnt, war Flug­sand für die weni­gen Bewoh­ner der Mül­lerstra­ße äußerst stö­rend. Zwar eig­ne­te er sich als fei­ner Scheu­er­sand, aber 1903 kauf­te die Stadt das Gelän­de auf, um dort einen Park (Schil­ler­park) anzu­le­gen. Dazu wur­de der Sand mit einer 35 cm dicken Schicht aus Haus­müll und 35 cm dicken Schicht aus Dung­bo­den bedeckt.

Die Vege­ta­ti­on von Kie­fern und Trau­ben­ei­chen der Reh­ber­ge war durch den Schieß­platz der Artil­le­rie und die wil­de Abhol­zung für Feu­er­holz nach dem 1. Welt­krieg abge­tra­gen wor­den. Die Dünen dort waren so kahl, dass sogar Wüs­ten­fil­me gedreht wer­den konn­ten. Ab 1926 wur­de der Volks­park von Ber­lin aus Not­stands­mit­teln erwor­ben und als Arbeits­be­schaf­fungs­maß­nah­me ange­legt. Auch hier­für wur­de Mut­ter­bo­den und Stra­ßen­dung in gro­ßen Men­gen herangeschafft.

Geographie bis heute erlebbar

Wo ist die Land­schaft des Wed­ding heu­te noch erfahr­bar? Am ehes­ten viel­leicht auf der hohen Sichel­dü­ne des Volks­parks Reh­ber­ge, wo ein Höhen­wan­der­weg (Carl-Leid-Weg) vom Sta­di­on Reh­ber­ge zum Rathen­au­brun­nen ange­legt wur­de. Außer­dem han­delt es sich beim 7 Hekt­ar gro­ßen Plöt­zen­see und bei der Pan­ke um natür­li­che Gewäs­ser. Wie die Vege­ta­ti­on im Wed­ding ursprüng­lich aus­sah, ist nur noch auf der Düne Wed­ding erfahr­bar. Dort küm­mert sich der NABU durch regel­mä­ßi­ge Pfle­ge dar­um, dass sel­te­ne Grä­ser erhal­ten blei­ben und nur orts­ty­pi­sche Bäu­me und Gehöl­ze dort wach­sen. Es han­delt sich dabei um ein klei­nes Refu­gi­um für bestimm­te Seg­gen, Moo­se und auch Zaun­ei­dech­sen. Die Düne liegt auf dem Gelän­de des Schul-Umwelt-Zen­trums an der Scharn­we­ber­stra­ße und ist nur im Rah­men einer Füh­rung betretbar. 

Ent­lang der Acker­stra­ße im Brun­nen­vier­tel kann man die Hang­kan­te des Bar­nim-Pla­teaus noch heu­te sehen (die Sche­ring­stra­ße, die Feld­stra­ße und die Grenz­stra­ße haben kur­ze Stei­gun­gen). Die mit 85 Metern höchs­te Erhe­bung des Wed­ding, die Hum­boldt­hö­he am Flak­turm im Hum­boldt­hain, ist aller­dings nicht natür­li­chen Ursprungs, son­dern durch die teil­wei­se Zuschüt­tung des Flak­turms entstanden. 

Was bleibt noch? Zahl­rei­che Stra­ßen­na­men deu­ten auf die Geo­gra­fie des Wed­ding hin: See­stra­ße, Torf­stra­ße, Fenn­stra­ße, Trift­stra­ße, Acker­stra­ße, Feld­stra­ße, Gar­ten­stra­ße, Pank­stra­ße – der Wed­ding war eben nicht immer ein Moloch vol­ler Men­schen und Häu­ser, son­dern die meis­te Zeit eine länd­li­che Gegend vor den Toren der gro­ßen Stadt.

Wo der höchs­te und der tiefs­te Punkt des Wed­ding lie­gen, erfahrt ihr hier.

Joachim Faust

hat 2011 den Blog gegründet. Heute leitet er das Projekt Weddingweiser. Mag die Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen gleichermaßen.

4 Comments

  1. Ich bin am Gesund­brun­nen 60er Jah­re auf­ge­wach­sen. Mei­ne Fami­lie, kam 1895 aus den ost­deut­schen Gebie­ten dort­hin und blieb ihm treu. Die Zeich­nung von Höve­ner wur­de auch als Gemäl­de ver­ewigt und hing über 40 Jah­re, bei mei­ner Oma. Lei­der hat man es nach ihrem Tod, weg­ge­wor­fen (eine Schan­de) der Maler hieß Schil­low­ski oder so ähn­lich. Habe bis­her lei­der nichts über ihn gefun­den. Die Pan­ke war immer ein Mit­tel­punkt mei­ner Kind­heit, so wie die Geschich­te des Wed­ding, bis heute

  2. Seit 44 Jah­ren im Wed­ding (anfangs zufäl­lig, jetzt nicht mehr weg­zu­den­ken!) habe ich den Arti­kel mit gro­ßem Inter­es­se und Wis­sens­ge­winn genos­sen. Immer schön, wenn ein kom­pe­ten­ter Mensch sei­ne Kennt­nis­se auch sprach­lich kom­pe­tent vermittelt.

  3. Super inter­es­sant. Ich woh­ne seit 28 Jah­ren in Gesund­brun­nen und vie­les von dem genann­ten wuss­te ich schon. Aller­dings sind es die Zusam­men­hän­ge und die Details die die­sen Arti­kel so lesens­wert machen. Vie­len Dank!

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