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Mehr als nur Einkaufen:
Rau, preiswert, herzlich: Genter Wochenmarkt

6. März 2024
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„2 Kilo, 2 Euro!“ Je näher ich dem Markt­schrei­er am Obst­stand kom­me, aber immer noch zöger­lich wir­ke, des­to höher wird der Rabatt. Erst nach­dem ich von dem klei­nen Tel­ler pro­biert habe, wie die Früch­te schme­cken, grei­fe ich dann bei “3 Kilo Cle­men­ti­nen für 2 Euro” zu. Man darf im Wed­ding eben nicht lan­ge fackeln. Und auch nicht zim­per­lich sein. Denn der Wochen­markt an der Gen­ter Stra­ße ist alles ande­re als ein gedie­ge­ner Fein­kost­markt: Hier wird geschrien, gehan­delt – und jeder Frau an die­sem kal­ten Mitt­woch, an dem nicht so viel los ist, wer­den von den Markt­schrei­ern Kom­pli­men­te hinterhergerufen.

Die­ser Ort, eigent­lich eine ruhi­ge Frei­flä­che im beschau­li­chen Teil des Brüs­se­ler Kiezes, ver­wan­delt zwei Mal in der Woche sei­nen Cha­rak­ter. Wenn man den Wed­ding wirk­lich erle­ben möch­te, soll­te man sich den Gen­ter Wochen­markt nicht ent­ge­hen las­sen. Nicht erst, seit die Mül­ler­hal­le 2012 ihre Pfor­ten schloss, son­dern schon seit über 80 Jah­ren, gibt es die­sen Markt. An sei­ner heu­ti­gen Posi­ti­on an der Rück­sei­te des Rat­hau­ses Wed­ding und ent­lang der Gen­ter Stra­ße befin­det er sich nun auch schon seit Jahr­zehn­ten. Immer mitt­wochs und sams­tags zwi­schen 7 und 16 Uhr grup­pie­ren sich Obst‑, Gemüse‑, Krims­krams- und Tex­ti­li­en­st­än­de in zwei Rei­hen anein­an­der. Dazwi­schen: Omis mit „Rent­ner­por­sche“, Fami­li­en, Spar­füch­se sowie vie­le Wed­din­ge­rin­nen und Wed­din­ger, die die nied­ri­gen Prei­se und die gro­ße Aus­wahl „auf ‘m Gen­ter“ zu schät­zen wissen.

Neben den übli­chen Obst- und Gemü­se­stän­den, wo die Sta­pel stän­dig anspre­chend arran­giert wer­den, gibt es aber auch regel­rech­te “Per­len” wie den Stand mit tür­ki­schem Honig und ande­ren ori­en­ta­li­schen Lecke­rei­en sowie den „Knopf­mann“. Hier wer­den Garn­rol­len, Stof­fe, Reiß­ver­schlüs­se und eben auch Knöp­fe in vie­len Far­ben und For­men prä­sen­tiert. Oli­ven, gefüll­te Papri­ka und Käse gibt es eben­so an einem Stand wie Börek, Simit und ande­re medi­ter­ra­ne Back­wa­ren. Dunk­les Bio­brot wer­det ihr aller­dings ver­geb­lich suchen. Ins­ge­samt ist der Gen­ter Markt näm­lich fast aus­schließ­lich tür­kisch-ara­bisch geprägt. So muss man auf Cur­ry­wurst ver­zich­ten, fin­det aber dafür einen sehr emp­feh­lens­wer­ten Göz­le­me-Stand. Imbiss­wa­gen, wo es Fleisch gibt, ver­kau­fen Halal-Pro­duk­te – Geflü­gel, aber kei­nen Schwei­ne­bra­ten. Beim Obst fin­det ihr Äpfel und Bir­nen, und eben auch Gra­nat­äp­fel. Pas­send zu den vie­len Süd­früch­ten gibt es dann auch einen Stand, wo man sich mit frisch gepress­tem Oran­gen­saft einen Vit­amin­schock ver­pas­sen kann. 

Gera­de seit der Schlie­ßung des Kar­tof­fel­la­dens von Bau­er Rep­pin suchen vie­le Wed­din­ger nach Alter­na­ti­ven zum klas­si­schen Super­markt. Auf dem Gen­ter Markt wer­den sie für fri­sche Waren schnell fün­dig. „Uns gibt es schon seit meh­re­ren Jahr­zehn­ten“, sagt der Ver­käu­fer am Kar­tof­fel­stand. Er selbst, einer der weni­gen deut­schen Stand­be­trei­ber, sei zwar noch nicht so lan­ge dabei, wirkt aber sicht­lich stolz auf die Eier, Zwie­beln, das Wur­zel­ge­mü­se und – natür­lich – Kar­tof­feln in allen mög­li­chen For­men und Far­ben, regio­nal und exo­tisch zugleich. Zudem fällt auf, dass hier kei­ne Öko­bau­ern aus der Regi­on zu fin­den sind, das ist eher diens­tags und frei­tags beim nahe­ge­le­ge­nen Öko­markt auf dem Leo der Fall.

Preis­lich unter­bie­tet der Gen­ter Markt alle ande­ren, auch die tür­ki­schen Super­märk­te an der nahen Mül­lerstra­ße. Und für Spar­füch­se wich­tig: Vor allem am Nach­mit­tag wer­den die Prei­se gesenkt. Dann lau­fen die Markt­schrei­er am Ende eines lan­gen Tages noch ein­mal zur Höchst­form auf – und auch die­sen Moment soll­te man ein­mal erlebt haben, wenn man den Wed­ding ver­ste­hen will. Denn der Stadt­teil ist wie der Gen­ter Wochen­markt: rau, laut, aber auch herzlich. 

Mitt­woch und Sams­tag 7 – 16 Uhr, Gen­ter Stra­ße zwi­schen Ost­ender Stra­ße und Lim­bur­ger Stra­ße, U Leopoldplatz

Joachim Faust

hat 2011 den Blog gegründet. Heute leitet er das Projekt Weddingweiser. Mag die Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen gleichermaßen.

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