Die 28-jährige Kira Möller ist ein Fan der Demokratie. Die Beobachtung, dass immer weniger Menschen zu Wahlen gehen, trieb sie dazu an, sich in ihrem Politikstudium mit Bürgerbeteiligung zu beschäftigen. Ihr Masterarbeit in Euopean Studies in Frankfurt/Oder schrieb sie über zufällige und doch repräsentative Auswahlverfahren für Bürgerparlamente. Schon während des Studiums arbeitete sie bei einer Agentur, die Bürgerbeteiligung organisiert. Nach einer Babypause klappte es sofort mit dem Einstieg ins Bezirksamt. Sie ist dort für das Büro für Bürgerbeteiligung verantwortlich. Im Interview des Weddingweisers stellt sich Fragen, wie Politik oder Beteiligung, das richtige Vorgehen bei den Straßenumbenennungen im Afrikanischen Viertel und was das eigentlich ist, das richtige Einbringen.
Frage: Was ist das überhaupt: Beteiligung?
Kira Möller: Das ist eine schwierigere Frage als es auf den ersten Blick scheint. Für mich ist es zunächst die informelle Beteiligung. Also alle zusätzlichen Beteiligungsangebote, die nicht gesetzlich vorgeschrieben sind, wie Wahlen oder Volksentscheide ist.
Dann unterteile ich Beteiligung in drei Stufen: Information, Konsultation, Kooperation. Information ist relativ klar. Bei der Konsultation wird die Meinung der Bürger eingeholt. Die Entscheidungsträger im Amt erhalten also ein Feedback. Wichtig ist bei dieser Stufe, dass begründet wird, warum dann Wünsche doch nicht geklappt haben und umgesetzt wurden. Die dritte Stufe ist die Kooperation. Zum Beispiel wenn beim Bau einer neuen Straßenbahnlinie zwei Varianten vorgestellt werden und die Bürger darüber entscheiden können, welche Variante umgesetzt wird. Diese Art der Bürgerbeteiligung kommt erfahrungsgemäß eher selten vor.
Frage: Wir erleben, wie sich Politik aus der Breite zurückzieht. Bezirke werden vergrößert werden und geben Kompetenzen ans Land ab. Gibt es zu viel Beteiligung und zu wenig Politik?
Kira Möller: Das lässt sich nicht eindeutig beantworten. Ein übergeordneter Blick kann bei komplexen Fragen sinnvoll sein. Zum Beispiel finde ich es richtig, dass sich der Bund beim Thema Schule einbringt, um einheitliche Bildungsabschlüsse anzustreben. Hier ist eine breite Perspektive gut. Aber es stimmt auch, dass Entscheidungen die zentral getroffen werden, legitimiert werden müssen. Da kann Bürgerbeteiligung helfen, Legitimation immer wieder einzuholen. Voraussetzung ist, dass Bürgerbeteiligung ernst genommen wird.
Frage: Heiß diskutiert wurden im Wedding die Straßenumbenennungen im Afrikanischen Viertel. Wie würden Sie vorgehen?
Kira Möller: Den Prozess der Straßenumbenennung im Afrikanischen Viertel hätte in vielen Punkten transparenter gestaltet werden müssen. Es hätte offen über die Zusammensetzung der Jury, die Arbeitsweise sowie die eingereichten Namensvorschläge kommuniziert werden sollen. Unverständlich für mich ist auch, wieso kein Anwohner in der Jury vertreten ist. So hätte sichergestellt werden können, dass ihre Interessen in die Entscheidungsfindung mit einbezogen werden.
Frage: Es kommt auch vor, dass Menschen beklagen, sie hätten sich bei einer durchgeführten Beteiligung nicht richtig einbringen können. Was ist da wahrscheinlich schief gelaufen?
Kira Möller: Das empfinde ich als schade. Man muss dann fragen, warum ist dieser Eindruck entstanden? So darf zum Beispiel nicht im Vorfeld schon das Ergebnis entschieden sein. Wenn aus bestimmten Gründen keine Mitsprache möglich ist, dann muss man ehrlich sein und eine Informationsmaßnahme durchführen. Auch bringt es nichts, eine Beteiligung zum Bau eines Hauses zu starten, aber in Wahrheit kann nur entschieden werden, ob der Blumentopf rechts oder links hingestellt wird. Und es muss vorab dargelegt werden, was das Thema der Entscheidung ist. Wenn die Gegenstände der Beteiligung klar sind, dann ist es auch in Ordnung, wenn bestimmte Dinge vorab entschieden wurden. Es gibt zum Beispiel immer rechtliche Gründe, die nicht aufgehoben werden können. Und schlussendlich muss von vornherein klar sein, dass es darum geht, Kompromisse zu schließen.
Der Bezirk Mitte hat ein Büro für Bürgerbeteiligung eingerichtet. In diesem Büro am Schreibtisch sitzt seit 1. Dezember 2017 Kira Möller. Im Interview mit dem Weddingweiser erklärt sie, was sie vorhat, was Beteiligung überhaupt ist und wie Bürger ihren Kiez verändern können.
Siehe zum Büro auf dem Weddingweiser auch den Artikel Zwischen mehr und scheinbar mehr: Neue Regeln fürs Bürgerwort.
Wie Bürger an Entscheidungen zu beteiligt werden können, damit beschäftigt Deutschen Städtetag im „Thesenpapier zur Weiterentwicklung lokaler Demokratie“.
Wie Städte und Gemeinden in Deutschland sich Leitlinien zur Bürgerbeteiligung geben, dokumentiert das Netzwerk Bürgerbeteiligung.
Auf den Seiten des Quartiersmanagements Ackerstraße und Soldiner Straße stellt sich Kira Möller ebenfalls Fragen zur Beteiligung.
Text und Fotos: Andrei Schnell