Mobilität ist sehr individuell. Ob ich meine, ohne ein Auto kann ich nicht mobil sein oder ob ich alles mit dem Fahrrad und dem Nahverkehr erreichen kann, hängt von vielem ab: meinen Finanzen, meiner Lebenssituation, meinem Arbeitsweg und den Arbeitszeiten. Schwierig, da die richtige Verkehrspolitik für jeden Geschmack zu machen, die noch dazu auch das Bedürfnis nach Erholung, Bequemlichkeit und Ruhe einbezieht. Trotzdem will ich einen Vergleich wagen, auch wenn sich nicht jede und jeder in den geschilderten Situationen wiederfinden wird.
Eigenes Auto oder Carsharing?
Ein Auto besitze ich nicht, dafür finde ich die monatlichen Kosten zu hoch, und die vielen Staus haben für mich einen sehr hohen Nervfaktor. Außerdem macht mir der Berliner Stadtverkehr auf vier Rädern oft schlechte Laune. Wohl aber nutze ich von Zeit zu Zeit Carsharing, aber fast nur, wenn die Straßen eher leer sind und für Wege, für die man mit dem ÖPNV dank schlechter Umsteigezeiten einfach zu lange brauchen würde. Der Vorteil bei Miles, ShareNow und SixtShare: Parkgebühren sind in den Nutzungsgebühren inklusive. Alle diese stationsungebundenen Sharingdienste zusammengenommen haben im Wedding eine ganz gute Verfügbarkeit – meistens ist kein Fahrzeug mehr als einen Kilometer Fußweg entfernt. Ob es die richtige Größe und Antriebsart hat, ist natürlich nicht immer gewährleistet. Sind Elektroautos angesichts der für ihre Herstellung nötigen Rohstoffe und seltenen Erden überhaupt die bessere Wahl? Fraglich. Zumindest aber sind sie in der Stadt emissionsfrei.
Ob eigenes Auto oder Sharingfahrzeug: Sie stehen alle im gleichen Stau und nehmen beide öffentlichen Parkraum am Straßenrand in Anspruch. Jedenfalls versuche ich, ihre Nutzung auf ein unbedingt notwendiges Minimum zu begrenzen, auf vielleicht vier Mal im Monat. Und leiste mir lieber gelegentlich einen Mietwagen für den Familienurlaub, in der passenden Größe und Ausstattung.
Eigenes Fahrrad oder Leihrad?
Aufs eigene Fahrrad hingegen verzichte ich nicht so gern. Längere Wege und Radtouren sind damit am einfachsten zu realisieren. Im Wedding sind Leihräder seit ein paar Monaten auch eine tolle Ergänzung, wenn ich mal den Nahverkehr nutze oder schnell ein paar hundert Meter überbrücken möchte. Gerade das öffentlich geförderte Nextbike-System hat die Anzahl seiner Stationen im Wedding erheblich erhöht, auf inwzischen mehrere Dutzend. Die Stationen sind meistens virtuell und nur in der App sichtbar, d.h. man kann dort ausgeliehene Räder ohne Aufpreis abstellen, selbst wenn es kein Stationsschild oder andere Hinweise gibt. Um mal eben zum nächsten U‑Bahnhof zu radeln, sind die Nextbikes perfekt. Allerdings auch recht teuer, deshalb nutze ich das vergleichsweise günstige Jahresabo (50 Euro), mit dem ich immer eine kostenlose halbe Stunde pro Leihradmiete habe (dafür unbegrenzt viele Mieten).
Da wohl nicht viele Weddinger ein eigenes Lastenrad haben, ist gut zu wissen, dass es dafür auch zwei tolle Möglichkeiten gibt. Mit der fLotte existieren öffentliche kostenlose Lastenräder, die man in Bibliotheken, Stadtteilzentren u.ä. leihen kann. Leider muss man bei den meisten Rädern ein paar Tage im voraus buchen, aber mancher Großeinkauf oder Transport sollte ohnehin mit etwas Vorlauf geplant werden. Im Sprengelkiez gibt es zusätzlich einen kommerziellen Anbieter namens cargoroo, der nach Minuten abrechnet.
Was noch fürs Radfahren spricht: die Gesundheit. Es macht einfach Spaß, sich an der frischen Luft zu bewegen. Wenn dann auch noch die Fahrradinfrastruktur ausgebaut wird, kann man sich vielleicht auch eher auf die wichtigen Hauptstraßen trauen und ist nicht immer nur auf die holprigen Nebenstraßen angewiesen.
E‑Scooter
Wer nicht gerne läuft oder radelt, wird vielleicht auch einen E‑Scooter ausleihen. Hier gibt es zahlreiche Anbieter und die elektrischen Tretroller stehen auch in Massen auf den Gehwegen herum. Die Nutzung macht zwar Spaß, ist aber recht teuer und eine wackelige, um nicht zu sagen, gefährliche Angelegenheit. Außerdem sind die E‑Scooter kaum nachhaltig, da sie nach wenigen Monaten zum Elektroschrott werden. Das Aufladen durch sogenannte Juicer, die die Gefährte mit Lieferwagen einsammeln und zu Hause ans Stromkabel hängen, ist auch kein wirklich ökologisches Modell. Dass die abgestellten E‑Scooter die Gehwege verstopfen und für Menschen im Rollstuhl oder mit Sehbehinderung eine echte Gefahr darstellen, kommt noch dazu. Daher nutze ich persönlich keine E‑Scooter.
Fazit
Wie ich am Straßenverkehr teilnehme, ist eine sehr persönliche Entscheidung und hängt von vielen Faktoren ab. Weder sollte das Autofahren verteufelt werden noch kann es mit der einseitigen Bevorzugung dieses einen Verkehrsmittels so weitergehen. Weder sollte nur das Fahrradfahren als Allheilmittel gelten noch kann es mit schlechten und gefährlichen Radwegen so weitergehen. Es ist gut und wichtig, dass es flächendeckend Carsharing und Leihradsysteme gibt, damit man sich kurzfristig und spontan, als Ergänzung zum Öffentlichen Nahverkehr, mit oder ohne eigenes Auto und Fahrrad, fortbewegen kann. Verkehrsberuhigung, Parkgebühren und eine neue Verteilung der Verkehrsflächen sollten kein No-Go sein, wenn sich etwas ändern soll. Aber auch mehr Toleranz von allen Seiten und mehr Offenheit für neue Fortbewegungsformen sind nötig, damit wir uns im Wedding sicher und stressfrei bewegen.
Es gibt den Vorschlag, die Einbiegungen von den Hauptstraßen in die Wohnquartiere “aufzuplastern”, d.h. an das Niveau des Gehwegs anzuheben. Damit könnten insb. Senioren und Gehbehinderte leicht von Häuserblock zu Häuserblock (zu Haltestelle) ohne sich dabei ihren – rechtlich ohnehin schon geltenden, real aber häufig genommenen – Vorrang vor einbiegenden Pkw-Fahrern streitig machen zu müssen.
Ein gewichtiger Verkehrsteilnehmer fehlt in dem Modell. Der Fussgänger. Jeder Verkehrsteilnehmer ist zumindest kurzzeitig Fussgänger. Ohne ihn geht nichts! Wie soll man sein Sharingauto erreichen? Wie kommt man zur Bushaltestelle? Seine benötigte Verkehrsfläche sollte nicht vergessen werden.
Es gibt den Vorschlag, die Einbiegungen von den Hauptstraßen in die Wohnquartiere “aufzuplastern”, d.h. an das Niveau des Gehwegs anzuheben. Damit könnten insb. Senioren und Gehbehinderte leicht von Häuserblock zu Häuserblock (zu Haltestelle) ohne sich dabei ihren – rechtlich ohnehin schon geltenden, real aber häufig genommenen – Vorrang vor einbiegenden Pkw-Fahrern streitig machen zu müssen.