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Emotionale Debatte zur Verkehrsberuhigung im Sprengelkiez:
Verkehr zum aus der Haut fahren

BVV-Sitzung am 22. April
26. April 2021
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Es ist spät gewor­den, die fünf­te Stun­de der BVV-Sit­zung ist ange­bro­chen, als die Ner­ven bei den Bezirks­po­li­ti­kern plötz­lich blank lie­gen. Johan­nes Schnei­der von den Grü­nen ruft erregt: “Sie mel­den sich hier zu jedem The­ma zu Wort…”, als ob die freie Rede nicht gera­de der Sinn des Bezirks­par­la­men­tes wäre. Aus­lö­ser für den Gefühls­aus­bruch um halb elf ist das The­ma Ver­kehr im Spren­gel­kiez. Bezie­hungs­wei­se ein Streit um Ver­kehrs­be­ru­hi­gung. Wir haben am 22. April die Ver­ord­ne­ten beob­ach­tet und fas­sen für euch den Auf­re­ger des Abends zusammen.

Der Vor­ste­her – eine Art Ver­samm­lungs­lei­ter oder Saal­prä­si­dent – Frank Ber­ter­mann ruft Druck­sa­che 2852 auf. Soweit so for­mal. So läuft die Sit­zung der Bezirks­ver­ord­ne­ten­ver­samm­lung seit Stun­den. Abge­stimmt wer­den soll über Ver­kehrs­be­ru­hi­gung im Spren­gel­kiez. “Rede­be­darf?” Den hat der Ver­ord­ne­te Uwe Hen­nig von der CDU. “Das ist ein Mus­ter­bei­spiel an unter­las­se­ner Bür­ger­be­tei­li­gung”, sagt er zu dem Antrag zur Ver­kehrs­be­ru­hi­gung, den die SPD ein­ge­bracht hat. Bevor eine For­de­rung erho­ben wer­de, müs­se unter­sucht wer­den, ob die For­de­rung berech­tigt sei, sagt er mit Blick auf die noch aus­ste­hen­de Ver­kehrs­zäh­lung im Spren­gel­kiez. Die Atta­cke reicht aus, um die Befür­wor­ter von Dia­go­nal­sper­ren und Schritt­ge­schwin­dig­keit emo­tio­nal aus der Reser­ve zu locken. Damit wird offen­bar: das The­ma Ver­kehr ist nicht nur auf der Stra­ße ein hei­ßes Eisen.

Pro und Contra Verkehrsberuhigung

Gegen ein Weni­ger an Auto­ver­kehr argu­men­tiert die CDU. Neben der feh­len­den Bür­ger­be­tei­li­gung in die­ser Fra­ge, bringt sie das Argu­ment vor, der 142er-Bus brau­che beim Abbie­gen mehr Platz als eine Dia­go­nal­sper­re her­ge­be. Außer­dem: Der Park­druck zei­ge, dass offen­bar vie­le Leu­te ein­fach ein Auto besit­zen. “Unse­re Ver­kehrs­po­li­tik schließt nie­man­den aus”, for­mu­liert ein CDU-Ver­ord­ne­ter, was hei­ßen soll: die ande­ren Par­tei­en machen ein­sei­tig Ver­kehrs­po­li­tik gegen das Auto.

Als Befür­wor­ter der Ver­kehrs­be­ru­hi­gung spre­chen Ver­ord­ne­te der SPD und der Grü­nen. Sie sagen, die Poli­zei mes­se gehäuft zu schnel­les Fah­ren in der Trift­stra­ße, “direkt an der Leo-Lionni-Grund­schu­le”. Eine umfang­rei­che Bür­ger­be­tei­li­gung habe es über die Stadt­teil­ver­tre­tung schon vor Jah­ren gege­ben. Der Park­druck ent­steht vor allem durch die Ange­stell­ten des Robert-Koch-Insti­tuts und des Virch­ow-Kli­ni­kums. Die ein­deu­ti­gen Wahl­er­geb­nis­se gera­de im Spren­gel­kiez spre­chen für Zie­le von SPD und Grü­nen. Das Vier­tel wer­de von Auto­fah­rern genutzt, um Ampeln auf Fenn‑, Mül­ler- und Luxem­bur­ger Stra­ße zu umge­hen. Und zudem sei der Antrag in “mil­des­ter Form ver­fasst”, weil von Prü­fun­gen und Alter­na­tiv­vor­schlä­gen die Rede sei.

Pirat meldet sich zu Wort

Nach lan­gem Hin und Her – zu kei­nem Tages­ord­nungs­punkt wur­de an die­sem Abend län­ger dis­ku­tiert – mel­det sich schließ­lich Micha­el Kon­rad von der Par­tei Die Pira­ten zu Wort. Gewis­ser­ma­ßen als Höhe­punkt der hit­zi­gen Debat­te. Auf Twit­ter bezeich­net er sich selbst als Pöbel­be­auf­trag­ten. Einer­seits tritt man ihm nicht zu nahe, wenn man sagt, er redet gern. Ande­rer­seits ist im Ver­wal­tungs­recht klar gere­gelt: “Die Frei­heit der Rede ist eine unver­zicht­ba­re Kern­kom­pe­tenz der demo­kra­tisch legi­ti­mier­ten Mit­glie­der einer Ver­tre­tung. Ent­spre­chen­des ist für Bezirks­ver­ord­ne­te anzu­neh­men.” (Zitat aus einem Rechts­kom­men­tar) Den­noch bekommt er nun zu hören: “Ich erwar­te qua­li­fi­zier­te Redebeiträge”.

Konsequenz des Beschlusses

Die Abstim­mung war am Ende ein­deu­tig. SPD, Grü­ne und Lin­ke nah­men den Antrag an. Die drei Par­tei­en haben die kla­re Mehr­heit in der BVV. Für Außen­ste­hen­de ist es fast erstaun­lich, dass die­ser Tages­ord­nungs­punkt für eine sol­che Auf­re­gung und für erhitz­te Gemü­ter sorg­te. Denn die Frak­ti­ons­stär­ken waren von Anfang an bekannt. Der Antrag war zu kei­nem Zeit­punkt gefähr­det. Zudem ging ein ande­rer Ver­kehrs­an­trag geräusch­los über die Büh­ne. Die CDU woll­te mehr Park­plät­ze vor dem Volks­park Reh­ber­ge. Die Ableh­nung lief ohne hei­ße Debat­te ab.

Und wird der Spren­gel­kiez nun unge­müt­lich für Auto­fah­rer? Sehr wahr­schein­lich nicht. Denn die Ent­schei­der im Bezirk sind nicht die Ver­ord­ne­ten, son­dern die Ver­wal­tung. Und die Bezirks­ver­wal­tung wie­der­um ist der Senats­ver­wal­tung unter­ge­ord­net. Und nicht zuletzt gibt es Geset­ze und Vor­schrif­ten. Wenn es unbe­que­mer für Auto­fah­rer wird, dann wegen Beschlüs­sen, die vor lan­ger Zeit gefasst wur­den. Etwa, dass Park­raum­be­wirt­schatf­tung im gesam­ten Wed­ding kommt und damit auch im Spren­gel­kiez. Was von den Vor­schlä­gen des Antrags 2852 schluss­end­lich umge­setzt wird, kann nie­mand vor­her­sa­gen – und wird in jedem Fall dauern.

Details zum Verkehrskonzept

Kon­kret wird im Antrag 2852 gebe­ten, “Durch­gangs­ver­kehr mit moto­ri­sier­ten Kraft­fahr­zeu­gen zu unter­bin­den und Kon­flik­te zu min­dern”. Dazu soll das Nord­ufer eine Fahr­rad­stra­ße wer­den, am Pekin­ger Platz Kon­flik­te zwi­schen Fuß­gän­gern und Rad­fah­rern ent­schärft wer­den, eine Dia­go­nal­sper­re in der Samo­a­stra­ße und in der Tege­ler Stra­ße ein­ge­rich­tet wer­den und ein Ver­kehrs­be­ru­hig­ter Bereich mit 7 km/h erlas­sen werden.

Der Antrag zur Ver­kehrs­be­ru­hi­gung ist offen­kun­dig inspi­riert von Vor­schlä­gen des Run­den Tisch Spren­gel­kiez. Die­ser hat eine Power­point-Prä­sen­ta­ti­on erstellt, die auf Folie 39 eine kon­kre­te Wege­füh­rung zeigt.

Mehr Infos zur BVV-Sitzung am 22. April

Die Frak­tio­nen stel­len ihre Arbeit auf ihren Web­sei­ten vor. Vie­le ver­öf­fent­li­chen auch Berich­te zu den BVV-Sit­zun­gen aus ihrer Sicht (hier nach Stär­ke sortiert):

Frak­ti­on der SPD (15 Verordnete)

Frak­ti­on der Grü­nen (12 Verordnete)

Frak­ti­on der Lin­ken (11 Ver­ord­ne­te)

Frak­ti­on der CDU (7 Verordnete)

AfD und FDP bil­den jeweils eine Frak­ti­on, die Pira­ten bil­den eine Grup­pe. Die drei zusam­men kom­men auf neun Verordnete.

Andrei Schnell

Meine Feinde besitzen ein Stück der Wahrheit, das mir fehlt.

4 Comments

  1. Als Anwoh­ner der Kiat­schoustr kann ich die angeb­lich ein­stim­mi­ge Mein­und des “ Run­der Tisch Spren­gel­kiez – Ver­kehrs­pla­nung“ nicht nach­voll­zie­hen, aus einer ver­kehrs­be­ru­hig­ten, rela­tiv schma­len Stra­ße, eine Durch­gans­stra­ße in bei­de Rich­tun­gen zu pla­nen. Eine schma­le Stra­ße mit Pflas­ter­stei­nen.!! Ich neh­me an, an ihrem Run­den Tisch sitzt bis­her kein Teil­neh­mer aus der Kiat­schou­stra­ße. Bit­te auch deren Bedürf­nis­se berücksichtigen.

  2. Dan­ke für den Arti­kel, das wäre mir sonst ent­gan­gen und schön das es Fort­schrit­te gibt.

    Die Initia­ti­ven dafür sind sicher­lich enga­giert, aber infor­mie­ren nicht/sehr spät über Neuigkeiten:
    https://www.kiezblocks.de/sprengel/
    http://runder-tisch-sprengelkiez.de/Arbeitsgruppen/

    Kom­plett ver­stan­den habe ich nicht, wo was pas­sie­ren soll. Gilt jetzt die schwer les­ba­re Kar­te von Folie39? Die Dia­go­nal­sper­ren kann ich dar­in nicht erkennen.

    • Hal­lo Max, der Run­de Tisch Spren­gel­kiez hat den Antrag NICHT ein­ge­bracht, inso­fern gel­ten die dor­ti­gen Vor­schlä­ge nicht. Aber offen­bar ist der Antrag von der dor­ti­gen Stel­le inspiriert. 

      Alle Ideen des Antrags sol­len geprüft wer­den. Die Ver­wal­tung kann und wird für sich ent­schei­den, was sie für umsetz­bar hält.

      Im Antrag 2852 ist gefor­dert: “Eine mög­li­che Vari­an­te: Ein­fahrt­ver­bot in die Samo­a­stra­ße von der Spren­gelstra­ße und der Lyn­ar­stra­ße. Auf­he­bung der Ein­bahn­stra­ßen­füh­rung in der Kiautschou­stra­ße und Weg­fall der Park­plät­ze auf der süd­li­chen Sei­te die­ser Stra­ße. Die Samo­a­stra­ße wäre dann nur über die Kiautschou­stra­ße erreich­bar. Aus­fahr­ten in alle Rich­tun­gen blei­ben erhal­ten.” – “Ein­rich­tung von Dia­go­nal­sper­ren auf der Kreu­zung Tege­ler Stra­ße / Spren­gelstra­ße von Nord­west nach Süd­ost oder der Schlie­ßung der Tege­ler Stra­ße an der Ein­mün­dung Luxem­bur­ger Stra­ße für den moto­ri­sier­ten Ver­kehr.” – “Ein­bahn­stra­ße Föh­rer Stra­ße und Lyn­ar­stra­ße” – Bild, wie ich es deu­te, hin­ter die­sem Link: https://weddingweiser.de/wp-content/uploads/2021/04/sprengel.jpg

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