Es ist spät geworden, die fünfte Stunde der BVV-Sitzung ist angebrochen, als die Nerven bei den Bezirkspolitikern plötzlich blank liegen. Johannes Schneider von den Grünen ruft erregt: “Sie melden sich hier zu jedem Thema zu Wort…”, als ob die freie Rede nicht gerade der Sinn des Bezirksparlamentes wäre. Auslöser für den Gefühlsausbruch um halb elf ist das Thema Verkehr im Sprengelkiez. Beziehungsweise ein Streit um Verkehrsberuhigung. Wir haben am 22. April die Verordneten beobachtet und fassen für euch den Aufreger des Abends zusammen.
Der Vorsteher – eine Art Versammlungsleiter oder Saalpräsident – Frank Bertermann ruft Drucksache 2852 auf. Soweit so formal. So läuft die Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung seit Stunden. Abgestimmt werden soll über Verkehrsberuhigung im Sprengelkiez. “Redebedarf?” Den hat der Verordnete Uwe Hennig von der CDU. “Das ist ein Musterbeispiel an unterlassener Bürgerbeteiligung”, sagt er zu dem Antrag zur Verkehrsberuhigung, den die SPD eingebracht hat. Bevor eine Forderung erhoben werde, müsse untersucht werden, ob die Forderung berechtigt sei, sagt er mit Blick auf die noch ausstehende Verkehrszählung im Sprengelkiez. Die Attacke reicht aus, um die Befürworter von Diagonalsperren und Schrittgeschwindigkeit emotional aus der Reserve zu locken. Damit wird offenbar: das Thema Verkehr ist nicht nur auf der Straße ein heißes Eisen.
Pro und Contra Verkehrsberuhigung
Gegen ein Weniger an Autoverkehr argumentiert die CDU. Neben der fehlenden Bürgerbeteiligung in dieser Frage, bringt sie das Argument vor, der 142er-Bus brauche beim Abbiegen mehr Platz als eine Diagonalsperre hergebe. Außerdem: Der Parkdruck zeige, dass offenbar viele Leute einfach ein Auto besitzen. “Unsere Verkehrspolitik schließt niemanden aus”, formuliert ein CDU-Verordneter, was heißen soll: die anderen Parteien machen einseitig Verkehrspolitik gegen das Auto.
Als Befürworter der Verkehrsberuhigung sprechen Verordnete der SPD und der Grünen. Sie sagen, die Polizei messe gehäuft zu schnelles Fahren in der Triftstraße, “direkt an der Leo-Lionni-Grundschule”. Eine umfangreiche Bürgerbeteiligung habe es über die Stadtteilvertretung schon vor Jahren gegeben. Der Parkdruck entsteht vor allem durch die Angestellten des Robert-Koch-Instituts und des Virchow-Klinikums. Die eindeutigen Wahlergebnisse gerade im Sprengelkiez sprechen für Ziele von SPD und Grünen. Das Viertel werde von Autofahrern genutzt, um Ampeln auf Fenn‑, Müller- und Luxemburger Straße zu umgehen. Und zudem sei der Antrag in “mildester Form verfasst”, weil von Prüfungen und Alternativvorschlägen die Rede sei.
Pirat meldet sich zu Wort
Nach langem Hin und Her – zu keinem Tagesordnungspunkt wurde an diesem Abend länger diskutiert – meldet sich schließlich Michael Konrad von der Partei Die Piraten zu Wort. Gewissermaßen als Höhepunkt der hitzigen Debatte. Auf Twitter bezeichnet er sich selbst als Pöbelbeauftragten. Einerseits tritt man ihm nicht zu nahe, wenn man sagt, er redet gern. Andererseits ist im Verwaltungsrecht klar geregelt: “Die Freiheit der Rede ist eine unverzichtbare Kernkompetenz der demokratisch legitimierten Mitglieder einer Vertretung. Entsprechendes ist für Bezirksverordnete anzunehmen.” (Zitat aus einem Rechtskommentar) Dennoch bekommt er nun zu hören: “Ich erwarte qualifizierte Redebeiträge”.
Konsequenz des Beschlusses
Die Abstimmung war am Ende eindeutig. SPD, Grüne und Linke nahmen den Antrag an. Die drei Parteien haben die klare Mehrheit in der BVV. Für Außenstehende ist es fast erstaunlich, dass dieser Tagesordnungspunkt für eine solche Aufregung und für erhitzte Gemüter sorgte. Denn die Fraktionsstärken waren von Anfang an bekannt. Der Antrag war zu keinem Zeitpunkt gefährdet. Zudem ging ein anderer Verkehrsantrag geräuschlos über die Bühne. Die CDU wollte mehr Parkplätze vor dem Volkspark Rehberge. Die Ablehnung lief ohne heiße Debatte ab.
Und wird der Sprengelkiez nun ungemütlich für Autofahrer? Sehr wahrscheinlich nicht. Denn die Entscheider im Bezirk sind nicht die Verordneten, sondern die Verwaltung. Und die Bezirksverwaltung wiederum ist der Senatsverwaltung untergeordnet. Und nicht zuletzt gibt es Gesetze und Vorschriften. Wenn es unbequemer für Autofahrer wird, dann wegen Beschlüssen, die vor langer Zeit gefasst wurden. Etwa, dass Parkraumbewirtschatftung im gesamten Wedding kommt und damit auch im Sprengelkiez. Was von den Vorschlägen des Antrags 2852 schlussendlich umgesetzt wird, kann niemand vorhersagen – und wird in jedem Fall dauern.
Details zum Verkehrskonzept
Konkret wird im Antrag 2852 gebeten, “Durchgangsverkehr mit motorisierten Kraftfahrzeugen zu unterbinden und Konflikte zu mindern”. Dazu soll das Nordufer eine Fahrradstraße werden, am Pekinger Platz Konflikte zwischen Fußgängern und Radfahrern entschärft werden, eine Diagonalsperre in der Samoastraße und in der Tegeler Straße eingerichtet werden und ein Verkehrsberuhigter Bereich mit 7 km/h erlassen werden.
Der Antrag zur Verkehrsberuhigung ist offenkundig inspiriert von Vorschlägen des Runden Tisch Sprengelkiez. Dieser hat eine Powerpoint-Präsentation erstellt, die auf Folie 39 eine konkrete Wegeführung zeigt.
Mehr Infos zur BVV-Sitzung am 22. April
Die Fraktionen stellen ihre Arbeit auf ihren Webseiten vor. Viele veröffentlichen auch Berichte zu den BVV-Sitzungen aus ihrer Sicht (hier nach Stärke sortiert):
Fraktion der SPD (15 Verordnete)
Fraktion der Grünen (12 Verordnete)
Fraktion der Linken (11 Verordnete)
Fraktion der CDU (7 Verordnete)
AfD und FDP bilden jeweils eine Fraktion, die Piraten bilden eine Gruppe. Die drei zusammen kommen auf neun Verordnete.
Als Anwohner der Kiatschoustr kann ich die angeblich einstimmige Meinund des “ Runder Tisch Sprengelkiez – Verkehrsplanung“ nicht nachvollziehen, aus einer verkehrsberuhigten, relativ schmalen Straße, eine Durchgansstraße in beide Richtungen zu planen. Eine schmale Straße mit Pflastersteinen.!! Ich nehme an, an ihrem Runden Tisch sitzt bisher kein Teilnehmer aus der Kiatschoustraße. Bitte auch deren Bedürfnisse berücksichtigen.
Danke für den Artikel, das wäre mir sonst entgangen und schön das es Fortschritte gibt.
Die Initiativen dafür sind sicherlich engagiert, aber informieren nicht/sehr spät über Neuigkeiten:
https://www.kiezblocks.de/sprengel/
http://runder-tisch-sprengelkiez.de/Arbeitsgruppen/
Komplett verstanden habe ich nicht, wo was passieren soll. Gilt jetzt die schwer lesbare Karte von Folie39? Die Diagonalsperren kann ich darin nicht erkennen.
Hallo Max, der Runde Tisch Sprengelkiez hat den Antrag NICHT eingebracht, insofern gelten die dortigen Vorschläge nicht. Aber offenbar ist der Antrag von der dortigen Stelle inspiriert.
Alle Ideen des Antrags sollen geprüft werden. Die Verwaltung kann und wird für sich entscheiden, was sie für umsetzbar hält.
Im Antrag 2852 ist gefordert: “Eine mögliche Variante: Einfahrtverbot in die Samoastraße von der Sprengelstraße und der Lynarstraße. Aufhebung der Einbahnstraßenführung in der Kiautschoustraße und Wegfall der Parkplätze auf der südlichen Seite dieser Straße. Die Samoastraße wäre dann nur über die Kiautschoustraße erreichbar. Ausfahrten in alle Richtungen bleiben erhalten.” – “Einrichtung von Diagonalsperren auf der Kreuzung Tegeler Straße / Sprengelstraße von Nordwest nach Südost oder der Schließung der Tegeler Straße an der Einmündung Luxemburger Straße für den motorisierten Verkehr.” – “Einbahnstraße Föhrer Straße und Lynarstraße” – Bild, wie ich es deute, hinter diesem Link: https://weddingweiser.de/wp-content/uploads/2021/04/sprengel.jpg
Danke für die ausführliche Antwort.
Und die erste nicht eingescannte Karte 😉